Frage: „Wozu sind wir auf Erden?“
Antwort: „Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und einst ewig bei ihm zu leben.“
Frage Nr. 1 aus dem „Grünen Schulkatechismus“ von 1955
Themen und Meldungen:
Neuer Verantwortlicher für die Tradition
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- 01. April 2019
Mitte Januar hatte Papst Franziskus die bisherige päpstliche Kommission Ecclesia Dei aufgelöst und vollständig in die Glaubenskongregation eingeordnet. Der bisherige Sekretär der Kommission Erzbischof Pozzo erhielt die Stellung des Superindenten des Chors der Sixtinischen Kapelle und hat mit seinem bisherigen Aufgabengebiet nichts mehr zu tun. Seit dem 30. März gibt es nun einen neuen Verantwortlichen für die Angelegenheiten der Gemeinschaften der überlieferten Liturgie und die Gespräche mit der Piusbruderschaft. Mit dieser Aufgabe betraut wurde Msgr. Patrick Descourtieux, ein langjähriger Mitarbeiter von Ecclesia Dei, der allgemein als Freund der Tradition und angenehmer Gesprächspartner eingeschätzt wird – auch gegenüber der Piusbruderschaft.
Das ist eine erfreuliche Nachricht. Die Freude wird allerdings dadurch beeinträchtigt, daß ein „Monsignore“ so, wie die Kurie nun einmal funktioniert, in der Verwaltung einen eher untergeordneten Rang einnimmt und völlig abhängig ist von den Aufträgen und Weisungen, die ihm von vorgesetzten Sekretären und Untersekretären im Namen des Präfekten erteilt werden. Noch schwerer wiegt der Umstand, daß Descourtieux kein Bischof ist und somit auch nicht fähig ist, Priester der altrituellen Gemeinschaften zu weihen, so wie das Erzbischof Pozzo, wenn auch sicher nicht ohne Absprache mit anderen Stellen, mehrfach getan hat. Diese Gemeinschaften werden somit in einer ganz wesentlichen Hinsicht noch enger an die römische Leine gelegt, als das bisher der Fall war – zumal der Vatikan zumindest einigen Diözesanbischöfen die Weisung erteilt hat, nicht mehr Priester zu weihen, als sie im Dienst in der eigenen Diözese einsetzen können.
Die Frage der Bischöfe für die Gemeinschaften der überlieferte Liturgie wird somit immer mehr zur Kernfrage für die Gestaltung der zukünftigen Stellung dieser Gemeinschaften im gesamtkirchlichen Rahmen. Es war diese Frage, die die Piusbruderschaft 1988 dazu bewog, aus der Disziplinargemeinschaft mit dem Bischof von Rom herauszutreten und „eigene“ Bischöfe zu weihen – eine Frage, die sich wegen des Alters und des schlechten Gesundheitszustandes ihrer Bischöfe in absehbarer Zeit wieder stellen dürfte. Und gegenwärtig deutet nichts darauf hin, daß „der Vatikan“ dazu bereit sein könnte, den traditions- und glaubenstreuen Gemeinschaften auch nur einen Teil der Freiheiten bei der Einsetzung von Bischöfen zuzugestehen, die er der kommunistischen Volksrepublik China im vergangenen Jahr eingeräumt hat.
50 Jahre Liturgiereform
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- 30. März 2019
Zum 50. Jahrestag der reformierten Liturgie bringt Die Tagespost – sie entscheidet sich für den 3. April als Stichtag – ein langes und lesenswertes Interview mit dem Münchener Liturgiewissenschaftler Winfried Haunerland und dem Freiburger Dogmatiker Helmut Hoping. Beide verschließen sich nicht der Einsicht, daß die Auswirkungen der Reform jedenfalls weit hinter den Erwartungen zurück geblieben sind – immerhin. Zwei Punkte des Gesprächs fanden wir besonders interessant. Beide Gesprächspartner werfen einen kritischen Blick auf das von der Liturgischen Bewegung angestrebte, von der reformierten Liturgie aufgenommene und inzwischen weiter vorangetriebene Ziel, die Liturgie als als „Gemeinschaftsaktivität“ zu verstehen und zu gestalten. Und insbesondere Hoping außert sich sehr kritisch zu der bemerkenswerten Tatsache, daß es für die bereits 2002 promulgierte Editio typica tertia des Missales immer noch keine deutsche Übersetzung gibt.
Zum Gemeinschaftscharakter der Messfeier räumt Haunerland ein
Die Liturgie wurde bis 1962 in der Regel als stille Messe gefeiert. Sie hatte ihren hohen spirituellen Wert darin, dass sie gleichsam einen geistlichen Raum schuf, in dem der Einzelne mit seiner Frömmigkeit Platz hatte und mit großer Freiheit seinen Anschluss suchen konnte. Es gab den Schott. Wer Rosenkranz betete, tat formal etwas anderes, war aber inhaltlich auch beim Leben Jesu, das in Tod und Auferstehung kulminiert. Das gleiche gilt für die Messandachten. Insofern ist die heutige Liturgie tatsächlich weniger offen für Individualitäten, sondern sucht eine gemeinschaftliche Form. Das kann man als „Tyrannei“ bezeichnen; aber Unterordnung ist eben der Preis des Gemeinschaftlichen.
Hoping ist hier wesentlich deutlicher und spricht aus, was wir in dieser Form von einem deutschen Universitätstheologen so noch nicht gehört haben (und auch selbst differenzierter ausdrücken würden):
Wir hatten es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einer Reihe von Bewegungen zu tun, die teilweise Berührungen hatten, etwa die Liturgische Bewegung, mit der nationalsozialistischen Bewegung. Der Gemeinschaftsbegriff ist wie derjenige der Bewegung gerade in Deutschland kein unschuldiger Begriff. Gemeinschaften sind in der Gefahr, dem Individuum Freiheiten zu nehmen. Die Messfeier wird von vielen heute primär als Gemeinschaftsfeier verstanden. Auf die Frage, wer Adressat der priesterlichen Vorstehergebete sei, hört man dann, wenig überraschend, sie seien an die vor Ort versammelte Gemeinde gerichtet, was theologisch falsch ist.
Auf die Frage des Interviewers, warum das offizielle Missale in der Form von 2002 in Deutschland immer noch nicht übernommen worden ist, antwortet zunächst Haunerland:
Auch die italienische Bischofskonferenz hat die „Editio typica tertia“ noch nicht. Das Mühsame liegt nicht nur an der Übersetzung. Die Bischöfe haben unterschiedliche Visionen, welche Form, welches Niveau, welche Klarheit, welche Art von deutscher Sprache gewollt wird. Das ist ein großes Problem.
Dass die Gottesdienstkongregation in den 1990er Jahren meinte, sagen zu können, wie es besser geht, hat die Bischöfe auch nicht überzeugt. „Magnum principium“ ist eine Herausforderung für unsere Bischöfe, denn sie müssen eine Weise finden, wie sie sich auf einen Weg so einigen, dass er auch zu einem Ergebnis kommt. Jetzt kann man nicht mehr sagen: Es liegt nur daran, dass es mit den Römern so schwierig ist.
Hoping spricht unverblümt den Kern der Sache an, um dann ebenso wie Haunerland die Bischöfe in die Pflicht zu nehmen:
Die Mehrheit der deutschen Bischöfe hat eine Revision des deutschen Messbuchs am Ende einfach nicht gewollt. Es war ein Machtkampf mit dem Vatikan, das wurde während des Übersetzungsprozesses immer deutlicher – und am Ende haben sich die Bischöfe für den Boykott entschieden. Wäre man Willens gewesen, hätte es auch einen Weg gegeben. Das zeigt die von den Bischöfen zu Advent eingeführte neue Einheitsübersetzung, bei der man mit wörtlichen und konkordanten Übersetzungen kein Problem hatte. (…) Nachdem „Magnum principium“ die Kompetenzen hinsichtlich Approbation und Rekognitio liturgischer Bücher geklärt hat, helfen in der Frage des Messbuchs keine Ausreden mehr. Die Verantwortung liegt bei den Bischöfen und sie sollten liefern.
In einem dritten Punkt lassen die beiden Gesprächspartner ebenfalls ein hohes Maß an Übereinstimmung erkennen – werden aber damit u.E. der tatsächlichen Lage in keiner Weise gerecht. Es geht um die neue „erweiterte“ Leseordnung, die von beiden prinzipiell positiv bewertet wird. Haunerland sieht darin „zumindest quantitativ“ einen „Riesenfortschritt“, Hoping immerhin noch einen „Gewinn“ - den die Bischöfe allerdings dadurch verspielt hätten, daß sie es ermöglichen, „aus pastoralen Gründen“ eine der nunmehr drei vorgesehenen Lesungen entfallen zu lassen. Dem ist einmal entgegenzuhalten, daß die heilige Messe nur sehr begrenzt ein Ort der Katechese sein kann, an dem das neue Testament möglichst vollständig vorgetragen wird und auch umfangreiche Texte aus dem alten Testament verlesen werden. Gewichtiger jedoch ist der Einwand, daß die neue Leseordnung ja das propagierte Ziel, den Gläubigen „den Tisch des Gotteswortes reicher zu bereiten“ (SC 51) bestenfalls der Menge nach erfüllt, inhaltlich aber dadurch konterkariert hat, daß viele unbequeme oder schwer verständliche Textstellen einfach ausgelassen werden oder „zwischen die Sonntage“ fallen. Das ist inzwischen so weithin bekannt und durch den „Index Lectionum“ von Hazell so eindeutig belegt, daß heute niemand mehr von „wirklichem Gewinn“ sprechen sollte, ohne rot zu werden.
Nicola Bux zur Taufe
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- 29. März 2019
In seinem Buch „Mit den Sakramenten spielt man nicht“, das wir hier bereits im Januar kurz vorgestellt hatten, bietet der Autor eine ausführliche Darstellung des theologischen Wesens und der liturgiegeschichtlichen Formentwicklung der Sieben Sakramente, zum Teil begleitet von der kritischen Darstellung von im Bereich des Novus ordo inzwischen nachgerade flächendeckend eingetretenen Mißständen. Zur Notwendigkeit der Taufe schreibt Bux:
Die letzten Worte Jesu, bevor er sichtbar diese Welt verließ, lauten: „Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet, wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16,16). Es ist also nötig, die Taufe zu empfangen, um in das ewige Leben einzugehen. Aber vorher treten wir in die Welt ein, in der das Böse herrscht, daher müssen wir von seiner Macht befreit und Kinder Gottes werden. Durch die Auflehnung Adams, des ersten Menschen, gegen Gott, sind wir Waisen geworden. Gott hat das Heil an das Taufsakrament gebunden, aber Er ist nicht an die Sakramente gebunden (KKK 1257) Wer zum Beispiel für den Glauben stirbt, ohne schon getauft zu sein, erlangt das Heil durch die „Bluttaufe“, durch die „Begierdetaufe“, wenn er das Verlangen nach der Taufe hatte.
Es fragt sich: Werden die Kinder, die ohne Taufe sterben, gerettet? Papst Innozent III. sandte 1201 an den Bischof von Arles, Imbert d‘Eyguiéres (1130 – 1202), einen Brief, in dem er betonte, daß die Taufe der Kinder nützlich und vernünftig ist, weil sie die Gefahr der Verdammung abwendet, ihre Wiedergeburt im Wasser und im heiligen Geist bewirkt und ihren Eintritt in das Himmelreich ermöglicht, in der Hoffnung, daß die Kinder, die ohne Taufe sterben, von der göttlichen Gerechtigkeit gerettet werden, die ihnen ein Heilmittel zukommen läßt. So denkt die Kirche auch heute noch.“
Soweit Bux auf S. 37/38 der deutschen Ausgabe. Anders als Bischof Imbert leben wir heute freilich in einer Zeit und einer Gesellschaft, die nicht vom Geist des Christentums dominiert wird – und sei das noch so oberflächlich. Wir wissen von Menschen – etwa den Indianern vor Kolumbus – die nie von Christus hören und nie von Missionaren erreicht werden konnten. Und wir ahnen, daß es solche „Präkolumbianer“ auch heute und fast überall geben könnte, zumal sich die Kirche von der Pflicht zur Mission seit Jahrzehnten praktisch dispensiert hat. Der kirchliche Mainstream zumindest in Europa, Rom keinesfalls ausgenommen, beruhigt sich in dieser Situation mit einer kaum verhüllten Allerlösungslehre – frei nach Goethes „wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“. Das wäre also das glatte Gegenteil zum Grundsatz „Ohne Taufe kein Eintritt ins Himmelreich“ - von dem die Kirche selbst freilich mit dem Konzept der „Begierdetaufe“ und dem Verweis auf Gottes unbeschränktes Gnadenhandeln im Fall der ungetauften schuldunfähigen Kinder Ausnahmen anerkennt. Warum und unter welchen Bedingungen sollten solche Ausnahmen auf „Schuldunfähigkeit wegen jugendbedingt unentwickelter Vernunft“ begrenzt bleiben?
Das skizzierte Problemfeld verlangt nach einer intensivere Ausleuchtung, als sie von Bux hier geboten wird. Möglicherweise würde das aber den Rahmen von Zielsetzung und Möglichkeiten einer kurzgefassten Darstellung überschreiten.
Nicola Bux: Mit den Sakramenten spielt man nicht, 156 Seiten, 14,80 €, Edition Una Voce, Tremsbüttel 2018.
Stationskirchen der Fastenzeit
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- 27. März 2019
Im Jahr 2013 hat summorum-pontificum.de an jedem Tag der Fastenzeit die römische Stationskirche dieses Tages vorgestellt – hier zum Inhaltsverzeichnis. Diese Vorstellungen oientierten sich im wesentlichen an dem 1926 erschienenen Buch „Die Stationskirchen des Missale Romanum“ von Johann Peter Kirsch und anderer Literatur aus der Vorkriegszeit – danach ist in Deutschland nichts wesentliches mehr erschienen. Für „Nicht-Römer“ haben unsere Kurzvorstellungen von damals immer noch manches Wisssenswerte zu bieten – aber die Forschungen sind weiter gegangen und haben sowohl zur Baugeschichte der Kirchen als auch zu den Bräuchen um die Stationskirchen viele neue Kenntnisse gebracht. Gregory di Pippo hat daher in diesem Jahr die Artikel von New Liturgical Movement zu den Stationskirchen überarbeitet und ergänzt. Dabei ist ihm nicht zuletzt die Tatsache zugute gekommen, daß die alten Bräuche um die Stationskirchen in den letzten Jahren in erheblichem Umfang wiederbelebt worden sind. In einigen Stationskirchen, die zumeist auch Titelkirchen von Kardinälen sind, feiern die Kardinäle selbst an diesem Tag ein feierliches Hochamt. Für andere haben sich Bruderschaften oder Freundeskreise gebildet, die dafür sorgen, daß an diesem Tag zumindest eine besonders feierliche Liturgie gefeiert wird und die die Kirchen auch das Jahr über mehr mehr oder weniger intensiv betreuen.
Hier Links zu den bisher in diesem Jahr erschienenen Beiträgen, in denen stets mehrere Kirchen zusammengefasst behandelt werden.
Roman Pilgrims at the Station Churches 2019 (Part 1)
Roman Pilgrims at the Station Churches 2019 (Part 2)
Roman Pilgrims at the Station Churches 2019 (Part 3)
In einer weiteren Serie hat New Liturgical Movement in diesem Jahr damit begonnen, die Stationskirchen nach dem mittelalterlichen Ritus von Paris vorzustellen. Viele davon sind zwar in der Zeit der Revolution zerstört worden, es gibt jedoch genug historische Unterlagen, um ein farbenreiches und vielfältiges Bild von dieser Facette des liturgischen Lebens in Frankreich zu zeichen. Die bisherigen Beiträge:
Lenten Stations in the Ancient Rite of Paris
Lenten Stations in the Ancient Rite of Paris (Part 2)
Lenten Stations in the Ancient Rite of Paris (Part 3)
Im Pontifikat der Pastoral
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- 26. März 2019
Dieses Video zeigt heute Rorate Caeli unter der Überschrift: „Wenn Sie nicht Papst sein wollen, dann treten sie ab!“
Maria am Webstuhl
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- 25. März 2019
Nach dem im 2. Jahrhundert entstandenen apokryphen „Protoevangelium des Jakobus“ empfing Maria die Verkündigung des Engels, als sie gerade damit beschäftigt war, im Auftrag der Priesterschaft Wolle für den Vorhang des Tempels zu spinnen oder zu verweben. Historisch ist das – wie so manches andere aus dieser erbaulichen Schrift – vermutlich nicht. Aber die Tatsache, daß die Legende gerade diese fromme Tätigkeit hervorhebt, ist von größter Bedeutung für das Verständnis der Menschwerdung Christi bereits in dieser allerfrühesten Zeit.
Der Vorhang des Tempels war nicht irgendein Bestandteil der Ausstattung des Tempels unter anderen, und die Arbeit an seiner Herstellung hat weitaus größere Bedeutung als etwa die Paramentenstickerei, der fromme Nonnen früherer Jahrhunderte einen großen Teil ihrer Arbeitszeit widmeten. Der Vorhang des Tempels markierte in der Theologie des Tempels – soweit sie uns erschließbar ist, das heutige Judentum hat so gut wie nichts davon bewahrt – die Grenze und Verbindung zwischen der Sphäre des ungeschaffenen Gottes und seiner überweltlichen Wirklichkeit und der geschaffenen Welt. Deshalb war der Vorhang auch in den Farben der vier Elemente gehalten, aus denen die Welt gemacht ist: Rot das Feuer, blau die Luft, purpur das Wasser und das Weiß die Erde, die Flachs und Leinen hervorbringt.
Im Allerheiligsten innerhalb des Vorhangs, das er einmal im Jahr am Entsühnungstag betreten durfte, trug der Hohepriester das weiße Gewand der Engel vor Gottes Thron. Außerhalb zeigte sein Gewand die gleichen Farben wie der Vorhang, den er als einziger durchschreiten durfte: In noch undeutlicher Weise verkörperte er in menschlicher Gestalt das Hinübergreifen, das Wirken des Allmächtigen in und an seiner Schöpfung. So ist der Vorhang des Tempels ein Typus, eine Vorgestalt oder Vorahnung der Inkarnation, und es ist überaus passend, daß Maria als Spinnerin der Wolle oder Weberin des Stoffes für diesen Vorhang dargestellt wird. Sie ist in der Gnade des Allmächtigen das lebendige Werkzeug der nicht nur wie beim Hohenpriester symbolischen, sondern der tatsächlichen Inkarnation des göttlichen Wortes.
Mit dem allmählichen Verlust der Erinnerung an den Tempel, deren Reste uns noch im „Jakobusevangelium“ und anderen Apokryphen begegnen, ist auch das Bild der Maria am Spinnrad verblaßt. Nur in der Buchmalerei einiger Stundenbücher des späten Mittelalters in Frankreich ist Maria, die das Wort der Verkündigung empfängt, gelegentlich webend oder spinnend dargestellt. Ansonsten zeigt die Kunst Maria meist im Gebet oder beim Lesen in der heiligen Schrift. Ganz untergegangen ist die Erinnerung an den Vorhang des Tempels aber dennoch nicht: Blau, Rot, Purpur und das sparsam sichtbare Weiß des Untergewandes sind bis in die Gegenwart die geradezu kanonischen Farben für die Darstellung des Gewandes der Gottesmutter – Maria ist gekleidet in den Vorhang des Allerheiligsten. Der amerikanische Maler Henry Ossawa Tanner (1859-1937) hat in seinem Bild der Verkündigung den Vorhang sogar unübersehbar als Hintergrund seiner eindrucksvollen Szene aufgespannt.
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Weitere Beiträge mit Bezug zum Tempelvorhang und der Inkarnation: Der zerrissene Vorhang und Der Vorhang des Allerheiligsten.