Vorläufige Einigung im
Syro-malabarischen Liturgiestreit
05. Juli 2024

Die nach der neuen Regelung gefeierte Sonntagsmesse im „Einheitsritus“ ist spärlich besucht
Pünktlich zum Ablauf des von der Syro-Malabarischen Kirche ausgesprochenen Ultimatums verkündeten die Vertreter des „aufständischen“ Klerus von Ernakulam-Angamaly, daß eine Einigung in den seit vielen Jahren mal offen und mal mehr im Hintergrund ausgetragenen Konflikt erreicht worden sei. Die Drohung, mehr als 450 Priester der Diözese und ihre Gemeinden offiziell zu Schismatikern zu erklären, ist damit fürs erste gegenstandslos.
Die erzielte Kompromissformel – soweit wir das zuverlässig erfahren konnten – sieht vor, daß „im Prinzip“ alle Pfarrkirchen von Ernakulam-Angamaly an Sonn- und Feiertagen eine Zelebration der hl. Messe im unlängst beschlossenen Einheitsritus anbieten sollen – mit Ausnahme derer, in denen sich die Gemeinden besonders vehement gegen die Übernahme der Reform ausgesprochen haben. Im übrigen können Priester und Gemeinden bei dem bleiben, was sie als ihre Tradition empfinden – nämlich die nach der lateinischen Liturgiereform auch für die Syro-Malabarer eingeführte durchgängige Zelebration „ad populum“.
Hier bleibt also fast alles offen, und es wird auch nicht dadurch sicherer fassbar, daß ausdrücklich die Fortsetzung der Gespräche zur weiteren Vereinheitlichung der Liturgie angekündigt worden ist. Inzwischen ist bei „ThePillar“, der unseres Wissens nach einzigen größeren westlichen Publikation mit kontinuierlicher Berichterstattung über die Entwicklung im indischen Kerala, erstmalig auch ein Artikel erschienen, der etwas mehr Aufschluß über die Hintergründe der Auseinandersetzung zu geben versucht. Was aus westlicher Sicht eher als Streit um nicht entscheidende Äußerlichkeiten gesehen werden kann, ist aus der Perspektive der Katholiken in Kerala eine grundsätzliche Auseinandersetzung um die Bestimmung ihrer Position in der indischen Gesellschaft und der Weltkirche.
Dabei treffen, wenn wir das richtig verstanden haben, zwei gegensätzliche Tendenzen aufeinander, die beide darin begründet sind, daß die „Thomaschristen“ Indiens im Zuge von Modernisierung des Landes und Globalisierung der Weltwirtschaft der Zahl nach erheblich zugenommen und geografisch enorm ausgebreitet haben. Aus einer kaum bekannten christlichen Minderheit irgendwo im indischen Hinterland ist die (nach den ukrainisch-griechischen Katholiken) zweitgrößte in Gemeinschaft mit dem Papst stehende Kirche des Ostens geworden. Sie ist nicht nur in vielen Regionen Indiens außerhalb Keralas vertreten, sondern hat auch starke Diaspora-Zweige vor allem in Nordamerika und Europa gebildet. Dort unterliegen die Syro-Malabarer extrem unterschiedlichen kulturellen Einflüssen. In Indien ist das insbesondere die starke Tendenz zur Re-Indisierung, der Abschüttelung kolonialer westlicher Einflüsse und der Wiederentdeckung eigener Traditionen. Da diese Traditionen jedoch sehr verschieden sind (hinduistische, islamische, buddhistische usw. Einflüsse) und zur Ausbildung unterschiedlicher „Identitäten“ drängen, müssen auch die Christen, wenn sie bestehen wollen, ihre eigene „Identität“ stärken – auch und vor allem in deren sichtbarsten Bereich, kulturell. Die Rückwendung zur „alten Tradition“ (vorkonziliar und vorkolonial) ist ein Ausdruck dieser Entwicklung.
Die in den Westen ausgewanderten Syro-Malabarer sehen sich in ihrer größtenteils antichristlich orientierten Umwelt demgegenüber stärker auf den Schulterschluss mit ihren lateinischen Glaubensgenossen verwiesen – dessen „nachkonziliare Errungenschaften“ in der Liturgie eingeschlossen. Und da diese Auswanderergemeinden nicht nur durch Herkunft und Familie, sondern auch durch Finanztransfers stark mit ihren indischen Ursprüngen verbunden sind, transportieren sie (ob gewollt oder unbewußt) diese Tendenz zur Verwestlichung auch stark nach Indien zurück.
In Kerala, das den Schwerpunkt der christlich-indischen Auswanderung in den letzten Jahrzehnten bildete, treffen nun wie es scheint diese beiden Tendenzen zur „Re-Indisierung“ und zur weiteren „globalen Verwestlichung“ innerhalb der katholischen Gemeinschaft besonders heftig aufeinander. Die Folgen sind unter anderem auch im Bereich der Liturgie zu besichtigen. Für die katholische Weltkirche ist das einerseits eine ärgerliche Störung und unangenehme Herausforderung, andererseits aber auch eine begrüßenswerte Möglichkeit, sich der Möglichkeiten und Grenzen ihrer eigenen Identität unter den Bedingungen der Globalisierung (und der dadurch provozierten Gegenbewegungen) nicht nur in Indien erneut zu vergewissern. Wohlfeiles Gerede von „Akkulturation“ und Import von Pachamama-Statuen oder Djembe-Trommeln nach Rom bietet noch nicht einmal eine Scheinlösung.
*