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Die Schwäche des Papstes offenbart Schwächen des Papsttums

20. März 2025

6 - Kirchenkrise

Der Papst in prächtiger Chorkleidung hoch zu Rosse. ;

Pius VI. hoch zu Ross

Der Vaticanista Francesco Antonio Grana hat dieser Tage die Ansicht geäußert, Papst Franziskus müsse seinen Lebensstil gründlich überdenken, falls und wenn er aus dem Krankenzimmer wieder in den Vatikan zurück­keh­ren könne. Das leuchtet ein – nach allem, was über den nun schon 30 Tage währenden Aufenthalt in der Gemelli-Klinik über den Gesundheitszustand des 88-jährigen verlautbart worden ist. Doch wir wollen weder über den Gesundheits­aus­sichten des noch amtierenden Pontifex noch über die Wahl seines Nachfolgers spekulieren, sondernbeginnen, darüber nachzudenken, welcher Arbeits- und Lebensstil denn wohl für einen Papst im 3. Jahrtausend angemessen sein könnte. Vielleicht steht es ja nicht nur um Franziskus schlecht, vielleicht steckt das ganze Papsttum in einer Krise, und Franziskus ist nur deren jüngster und heftigster Ausdruck.

Lebens- und Arbeitsstil der neueren Päpste wecken Besorgnisse. Spätestens seit dem Pontifikat Pius XII. und nicht zufällig verstärkt seit der massenhaften Nutzung des Fern­sehens in den Kernregionen der christlichen Welt seit Mitte der 50er Jahre leben die Päpste als AA-Promis, deren Arbeit und Leben unaufhörliche öffentliche Aufmerksam­keit auf sich zieht – und die auch gelegentlich in die Versuchung geführt wurden, den darin liegenden Erwartungen und Anforderungen zu entsprechen. Und es sind ja nicht nur die Medien. Der immer erschwinglicher werdende Linienflugverkehr brachte und bringt Pilger aus den fernsten Weltregionen nach Rom und – beginnend 1964 mit Papst Paul VI. – auch die Päpste selbst in die ganze Welt. Aus dem seit 1870 „Gefangenen im Vatikan“ wurde ein Papst zum Anfassen für alle.

Einen zweiten Qualitätssprung nach der massenhaften Nutzung des Fernsehens brachte dann die Entwicklung der digitalen Kommunikationsmittel, die mit der öffentlichen Nutzung von Internet und e-Mail ab Mitte der 90er Jahre quasi den Gegenkanal zum Fernsehen einrichtete: Nun konnten nicht nur Gläubige und Ungläubige aus aller Welt die Ereignisse in Rom detailliert miterleben, Papst und Kurie konnten nun auch mehr oder weniger in Echtzeit verfolgen, was „vor Ort“ vor sich ging – in über 2500 Diözesen. Das mußte in vielen Fällen die sachlichen und die administrativen Kompetenzen der Kurie überfordern. Das zugegebenerweise eher abstrakte und manchmal auch etwas brüchige Band der Liebe und des Vertrauens unter den Gliedern der Weltkirche wurde zunehmend durch Möglichkeiten zur Kontrolle und zum direkten Eingriff ergänzt und im aktuellen Pontifikat in allzu vielen Fällen weitgehend ersetzt.

Diese hier nur in groben Strichen skizzierte Entwicklung bewirkte eine ungeheure Ver­größerung der Arbeitslast für den Träger des Petrusamtes. Als öffentliche Person wurde er nicht nur auf Schritt und Tritt von aller Welt beobachtet und interpretiert, auch die Zahlen der um Audienz bittenden Rombesucher vervielfältigte sich, und immer öfter waren das nicht nur aus dem allgemeinen Kirchenvolk herausragende Kleriker oder andere Gläubige, etwa Politiker, mit denen (manchmal) wichtige Dinge zu besprechen waren, sondern Promis aus Kunst und Kultur, Sport und Tralala, die sich von einem Photo mit dem Papst eine Aufwertung ihres Marktwertes versprachen. Und umgekehrt: Photos vom Händedruck mit ultraliberalen oder offen kirchenfeindlichen Zelebritäten sollten auch dem Papst als Ausweis seiner Weltoffenheit dienen, oder, wie im Falle von Menschenfeinden wie Bill Gates oder George Soros zu vermuten, als potentielle Geld­geber für „fortschrittliche“ kirchliche Projekte nützlich sein. Fünf mal hat Franziskus in seiner Amtszeit die protestantische Bundeskanzlerin Merkel empfangen – als ob die zur Entwicklung der ohnehin randständigen deutschkatholischen Kirche irgend etwas beizutragen hätte.

Das alles macht schrecklich viel Arbeit, die in der ursprünglichen Arbeitsplatzbeschrei­bung des Papstes nicht vorgesehen ist. Und zu diesen Phototerminen kommt dann die mit den Verwaltungsaufgaben ständig zunehmende Zahl von internen Besprechungen und Audienzen.

Der Vatikan hat neben den 16 Dikasterien und dem Staatssekretariat noch drei Gerichts­höfe, und derzeit 10 (vor allem für wirtschaftliche Angelegenheiten zuständige) Räte und Sekretariate, dazu noch etwa 15 weniger hochrangige und bedeu­tende Verwaltungen. Wollte der Papst jeden höheren Verwaltungschef auch nur einmal im Monat zu einem halbwegs substantiellen Gespräch über die laufenden Angelegenheiten empfangen, wäre an jedem Arbeitstag einer fällig. Aber vielleicht zieht er ja auch die Arbeit ohne Unterstützung der Fachabteilungen vor: Franziskus hat bisher weitgehend nur von seinem „Küchenkabi­nett“ unterstützt 69 mit Gesetzeskraft ausgestattete Motu Proprien erlassen – bei Papst Johannes Paul waren es in 27 Jahren 11, bei Benedikt in acht Jahren ganze drei.

Vier jeweils mehrwöchige Bischofssynoden hat Franziskus einberufen, mehr oder weni­ger manipulativ begleitet und deren Erträge schließlich vor der Öffentlichkeit dargestellt. Die Kirche hat gegenwärtig etwa 2800 Diözesen. Die meisten davon haben mindestens einen Weihbischof, viele mehrere, Rom sogar neun. Die Gesamtzahl der Bischöfe wird auf gegenwärtig etwa 5000 - 6000 geschätzt. Wenn man deren durchschnittliche Amtszeit auf 20 Jahre ansetzt, sind im Jahr 250 – bis 300 Neuernennungen fällig. Und dann auch noch der Ärger mit den zu Recht oder zu Unrecht als Mißbrauchstätern oder Vertu­schern beschuldigten Prälaten oder den wegen Abweichungen von der Parteilinie in Ungnade gefallenen Bischöfen… Zwar gibt es dafür eine eigene Verwaltungsstelle – das von Kardinal Oullet geleitete Dikasterium für die Bischöfe – doch wird an dessen Effektivität mit guten Gründen gezweifelt: Immer wieder treten neu ernannte Bischöfe noch vor Weihe und Amtsantritt wieder zurück; teils aus nachvollziehbaren Gründen, teils weil sie von innerkirchlichen Gegnern abgeschossen werden. Kann man so mit den Nachfolgern der Apostel umgehen?

Pro Jahr halten die modernen Päpste knapp 50 real time weltweit verbreitete „Mitt­wochs­ka­te­chesen“ – die wollen ja nicht nur verlesen, sondern zumindest zu Teilen irgendwie vorbereitet sein. Das gleiche gilt für die großen Interviews, die neuere Päpste zu geben pflegen. Dabei überläßt Franziskus deren Schlußformulierung wie im Falle des atheistischen Gesprächspartners Eugeni Scalfari gerne diesem selbst – um anschließend zu verlautbaren, das dort aufgeschriebene sei Bestandteil seines Lehramtes. Dazu kom­men noch mehrmals im Jahr Auftritte in Interview- oder Dokmentarfilmen, die stets besonderen Aufwand erfordern – Regisseure und Maskenbilder haben da ihre eigenen Vorstellungen.

Zeitlich, kräftemäßig und nicht zuletzt auch finanziell besonders zehrend sind die päpst­lichen Reisen, von denen Franziskus in seinen bis jetzt 10 Amtsjahren etwa 80 hinter sich gebracht. 46 davon gingen ins Ausland, erforderten also neben einem mehrtägigen Auf­enthalt mit zahlreichen Verpflichtungen teilweise enorme Flugzeiten – jet-lag inbegriffen. Die anderen gingen zwar „nur“ ins italienische Umland und konnten größtenteils an einem Tag abgewickelt werden, stellten aber ebenfalls erhebliche Anforderungen an Mensch und Apparat.

Die hier nur in ihren augenfälligsten Teilen und sehr kursorisch beschriebenen Anfor­derungen würden vermutlich einen 30-jährigen Spitzenabsolventen einer Management-Hochschule an den Rand seiner Kräfte. Für einen gelernten Bischof höheren Alters sind sie selbst mit einem gut geölten Apparat kaum zu bewältigen – und die römische Kurie ist seit dem enormen Anstieg ihrer Aufgaben und den Dauerreformen nach den 50er Jahren alles andere als ein gut geölter Apparat. Außerdem hat der gegenwärtige Amts­inhaber die Gewohnheit entwickelt, diesen Apparat immer wieder zu übergehen. Als absolutem Herrscher kann ihm dabei niemand widersprechen. Von Papst Johannes Paul II. wird berichtet, daß er kein Papier herausgegeben habe, ohne es von seinem Schutz- und Wachhund Ratzinger gegenlesen zu lassen. Von diesem selbst heißt es, daß er als Benedikt XVI. seine Dokumente stets den fachlich zuständigen Kongregationen und insbesondere dem Rat für die Gesetzestexte vorgelegt habe – sicher ist sicher.

Anders als das manche weltlichen Verwaltungsfachleute und Unternehmensberater viel­leicht sehen mögen ist die römische Kurie jedoch kein Verwaltungsapparat, keine säkulare Struktur wie andere auch, sondern hier geht es um die Kirche, den Mystischen Leib Christi in der Zeit und der Welt. Seine Leitung erfordert also nicht nur die Fähigkeit zur Bewältigung des oben skizzierten Arbeitspensums, sondern hat auch eine spirituelle Seite – und die ist die wesentliche.

Nun ist aber das spirituelle Leben der Kirche ebenso wie ihre weltliche Struktur von tief­gehenden Krisen gezeichnet, und der Mann, den die Kardinäle des Konklave von 2013 nicht zuletzt mit dem Auftrag zur Reform des Apparates zum Papst wählten ist von dieser spirituellen Krise ebenso gezeichnet wie viele andere Gläubige und Würdenträger. Viele meinen, sogar noch mehr: Sie verdächtigen ihn der Häresie. Das ist von hier aus kaum zu beurteilen. Leichter zu erkennen ist demgegenüber, daß Jorge Bergoglio auch von seiner Persönlichkeit schlechte Voraussetzungen für das Amt mitbringt. Er gilt als beratungs­resi­stent und unfähig zu jeder Arbeit im Team, dagegen empfänglich für Einflüste­run­gen und Schmeicheleien jeder Art. Schon nach wenigen Amtsjahren wurde er als „Dictator-Pope“ beschrieben, und seine Vorliebe für einsame Entscheidungen, Umgehung etab­lier­ter Strukturen und ein angesichts der Komplexität seiner Aufgaben völlig unange­brach­tes Micro-Management sind seitdem noch stärker sichtbar geworden. Unbe­küm­mert widerspricht er in feierlicher Form getroffen Aussagen seiner Vorgänger – nicht nur aus grauer Vorzeit, sondern auch der jüngsten Gegenwart wie Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Und vielleicht noch irritierender: Oft genug hält er sich heute nicht an Normen, die er gestern selbst gesetzt hat. Dabei will und kann ihm niemand in den Arm fallen: Der regierende Papst hat immer recht – meinen sie.

Diese Hyperaktivität und deren folgsame Hinnahme lösen gerade bei dem sonst so gerne zum Maßstab genommenen „Menschen der Gegenwart“ tiefstes Unverständnis aus und sind geeignet, Gläubigen wie Ungläubigen den Zugang zum Wesen der Kirche und des in der Nachfolge Christi begründeten Papstamtes nachhaltig zu versperren. Wenn aus dem Pontifikat Franziskus ein Gutes zu gewinnen ist, dann wohl die Einsicht, daß die mit dem I. und dem II. Vatikanum versuchte Neubestimmung von Papstamtes und Kirche in der „modernen Welt“ bei weitem nicht erfolgreich abgeschlossen ist, sondern im Gegenteil einer grundlegenden Kritik und Revision. Der Papst ist trotz der seinem Amt gewährten Freiheit von Irrtum in Glaubensaussagen kein absolutistischer Herrscher, der machen kann, was er will. Er bleibt an ein aus der Lehre der Apostel und der Tradition abgelei­te­tes Regelwerk gebunden, das seiner persönlichen Verfügung entzogen ist. Die Tradition war sich dessen auch immer bewußt: Im unter Paul VI. „abgeschafften“ Amtseid der Päpste bei der Inthronisierung geloben die Päpste ausdrücklich, „die heilige katholische und apostolische Kirche zu bewahren und zu verteidigen, ihre Rechte und Privilegien zu achten und zu schützen, ihre Lehren der Kirche treu zu verkünden und die Sakramente gemäß den Vorschriften der Kirche zu verwalten.“

Ein stärkeres Regelwerk erscheint erforderlich jedoch auch hinsichtlich der mehr alltägli­chen Lebens- und Arbeitsweise des Mannes, der als Statthalter Christi die „Lämmer und Schafe“ der Kirche weiden und als Glieder am mystischen Leibe des Herrn erhalten soll. Ist es dazu wirklich erforderlich, jedes gerade irgendwo in der Welt aufflackernde politi­sche oder wirtschaftliche Problem zu kommentieren, jede hingehaltene Hand eines gewählten Politikers oder ungewählten Oligarchen zu schütteln und in den Tages­nach­richten des Fernsehens mit Scheidungsanwälten aus Hollywood oder Sportgrößen um Sendezeit zu konkurrieren? Ist das nicht in anderer Form die gleiche Unterordnung unter die Maßstäbe einer gottfernen Welt, die wir heute an Päpsten der Renaissance oder des Barock zu Recht kritisieren? (Wobei deren Welt nicht so programmatisch gottlos war wie die heutige!)

Nicht nur Papst Franziskus sollte sich angesichts seiner Krankheit mehr schonen und seinen Tätigkeitsdrang zügeln – das sollte angesichts der Gefahren des in Gesellschaft und Kultur herrschenden Hyperindividualismus auch für seine hoffentlich gesünderen Nachfolger gelten. Paul VI. hat die Tiara niedergelegt, und Franziskus fährt gerne Fiat – doch beide Zeichen lassen daran zweifeln, ob sie tatsächlich den Widerspruch zu den Maßstäben der Welt signalisieren oder die Bereitschaft, sich diesen zu unterwerfen.

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