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Der kranke Papst und die Sprache der Symbole

14. April 2025

von Andrea Gagliarducci

6 - Kirchenkrise

Das Photo zeigt den Papst in Krankenkleidung und mit Atem-Unterstützung, wie er von seiner Begleitung im Rollstuhl durch die Peterskirche gefahren wird.

Der Papst im Krankenhaus-Zivil

Zunächst hatten wir nicht vor, den Auftritt seiner Heiligkeit Papst Franziskus in der Peterskirche im Pyjama zum Thema zu machen: Nichts, was von diesem Mann kommt, kann uns noch überraschen, und solange er es nicht unternimmt, diesen casual outfit „ex cathedra“ zum pflichtgemäßen Aufzug höherer Prälaten zu erklären (die niederen gehen schon von alleine in diese Richtung), neigen wir dazu, derlei mit einem Kopfschütteln abzutun – wie so manches andere, was aus Santa Marta kommt, auch. Doch dann lasen wir den am vergangenen Freitag veröffentlichten Artikel von Andrea Gagliarducci „Der kranke Papst und die Sprache der Symbole“ – und daraus wurde sonnenklar, daß es bei dem jüngsten Auftritt Bergoglios nicht um die Grillen eines alternden Despoten geht, sondern um den Ausbruch und Ausdruck einer Krankheit, die fast die ganze westliche Gesellschaft befallen hat und ihr den Sinn für alles raubt, was auch nur einen Zentimeter über die viel berufene „Augenhöhe“ hinausgeht.

Nach Hinweisen auf seine in mehreren Buchveröffentlichungen dokumentierte Beschäftigung mit der „Sprache der Symbole“ kommt Gagliarducci zum eigentlichen Thema:

Man könnte sagen, daß es hier um einen älteren, kranken Menschen geht und daß man seinen Wunsch verstehen muß, ein normales Leben zu führen. Das verstehe ich auch. Tatsache ist jedoch, daß der Papst und alles, was der Papst tut, von Bedeutung ist. Benedikt XVI. wußte das und legte als emeritierter Papst auf keinen Fall die weiße Soutane ab und verzichtete auch als Papst nie auf eines der Symbole. Johannes Paul II. wußte dies, obwohl er der Papst war, der im Gemelli-Krankenzimmer im Pyjama photo­graphiert wurde. Dennoch trat er in der Öffentlichkeit nie ohne ein Zeichen seiner Wür­de auf. Als Erzbischof von Krakau hatte Johannes Paul II. zu seiner Amtseinführungs­messe die ältesten und wertvollsten Gewänder aus der Sakristei holen lassen, um der kommuni­stischen Regierung mit einer einfachen Geste zu sagen, daß die Kirche vor ihnen da gewesen sei und daß sie dort bleiben werde, nahe beim Volk.

Einige weisen darauf hin, daß Paul VI. der Erste war, der die Symbole des Heiligen Stuhls schwächte, als er die Präfektur des Päpstlichen Hauses reformierte, einige historische Ämter abschaffte und auf die Tiara verzichtete. Doch Paul VI. blieb der Tradition tief verbunden. Er dekonstruierte nicht, er übersah nicht die historischen Zusammenhänge. Wenn überhaupt, dann hat er die Menschen entweltlicht, was in dem von Benedikt XVI. später bekannt gemachten Sinn so viel bedeutet wie trennen und wieder vereinen, neues Leben schenken.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich zu Beginn seines Pontifikats innerhalb einer Gruppe von Journalisten versuchte, einem heute sehr bekannten Kollegen die Bedeutung der Schweizergarde in der Clementina zu erklären, der Ehrenwache, die die Staatsober­häupter begrüßte, und der Prozession der Hofherren Seiner Heiligkeit, die sie zur Papst­bibliothek begleitete. Er antwortete mir, daß alles geändert werden könne, weil es sich nicht um eine Sache der Lehre handele. Heute ist er einer der Journalisten, die sich am stärksten für eine Revolution in der Kirche einsetzen. Doch indem er betonte, daß alles, was keine Doktrin sei, geändert werden könne, zeigte er auch die grausame Seite der Medaille. Die völlige Verachtung der Geschichte, die Idee einer neuen Ära, die das Alte auslöschen muß, weil alles erneuert und modern sein muß.

Ich kann ja verstehen, daß Papst Franziskus andere Symbole, andere Sprachen, andere Bezüge hat, denn er kommt aus Lateinamerika, er ist ein argentinischer Jesuit, und da ist es wichtiger, daß der Priester mit einem abgetragenen Hemd wie ein Prolet ​​auftritt und unter den Leuten ist, als daß er die Zeichen der Macht zeigt, die ja tatsächlich negative Konnotationen haben.

Daher muß ein Bischof in Lateinamerika seine Insignien, sein Verhalten und seine Prä­senz unter den Menschen an den Stil, die Symbole und die Geschichte Lateinameri­kas anpassen. Und dasselbe geschieht auf anderen Kontinenten oder in anderen Teilkirchen. Aber ebenso muß ein Papst seine Sprache, seine Art zu sein, seine Symbole an die Spra­che des Papsttums, an die Geschichte und an die Symbole, die Teil davon sind, anpassen, denn sonst ist die Folge nicht eine Erneuerung, sondern schlicht eine Zerstörung. Es kommt zu Spaltungen, es kann keine Gemeinschaft geben, weil es keine gemeinsame Sprache mehr gibt. Da den Menschen die Möglichkeit genommen wurde, einander zu verstehen, kam es am Ende zu Babel.

Kurz gesagt: Ich habe den Auftritt des Papstes im Petersdom in dieser improvisierten Ausstattung als eine Art Beerdigung der bisherigen Sym­bole des Papsttums empfunden – als eine Art Zäsur.

Und hier verwende ich die Worte von Francesco Colafemmina, dem ich seit den Tagen von Fides et Forma (heute auf „X“ ) verfolge und dessen Scharfsinn und Tiefe, mit der er Konzepte betrachtet, ich immer geschätzt habe. Colafemmina schreibt: „Man bedenke, daß niemand seinen kranken Großvater so in einem Gesundheits-T-Shirt und einer Decke herumtragen würde und daß daher die Verantwortung für diese Zurschaustellung auch bei denen liegt, die zugestimmt haben, ihn auf diese Weise zu präsentieren. Daher bleibt das Problem der Zeichen und der Würde eine schwerwiegende Angelegenheit.“

Und er fragt: „Ist der Mensch mit seinem Willen der Institution, die er verkörpert, über­legen? Kann er sich nach Belieben der Zeichen seiner Würde berauben und sie zur Schau stellen, als wären sie nutzloser Flitter? Was ist eher verständlich: daß das Oberhaupt einer tausendjährigen Institution in Unterhosen und Unterwäsche durch das Zentrum des Katholizismus gefahren wird, oder das Verhalten seine Vorgänger, die ihr Leiden zeigten, ohne auf die Zeichen ihrer Würde zu verzichten?“

Colafemmina fährt dann fort: Liegt darin nicht ein subtiler Nihilismus, der die Würde und ihre Insignien als etwas Unbedeutendes und Unverzichtbares betrachtet – und das ausgerechnet von Seitens derjenigen, die ohne Würde und ohne Insignien nicht in der Lage gewesen wären, diese Position zu erreichen?“

Und er kommt zu dem Schluss: „Wir wissen, daß wir das Ende einer Welt erleben, das Ende von Machtsymbolen und -strukturen, das Ende einer Vorstellung vom Menschen und seinen idealen Bezugspunkten. Ehrlich gesagt, bin ich weniger beunruhigt über das „Motus in fine velocior“ (Gegen Ende zu wird die Bewegung schneller) des Weltunter­gangs, als vielmehr über das Wesen der Mächte, die die nächste Welt aufbauen werden.“

Ich kann dieser Überlegung nur beipflichten. Mit einer Randbemerkung:

Keine Ära, keine philosophische Bewegung, aber auch kein Mensch, der, um seine Werte durchzusetzen, diejenigen zerstören muß, die vor ihm waren oder um ihn herum lebten, kann etwas von Wert hervorbringen. Der Wert und die Neuheit der Dinge resultieren aus dem Verständnis der Vergangenheit. In manchen Fällen entwickelt es sich, in anderen nicht, aber nichts kann eine völlige Zerstörung rechtfertigen. Zerstörung, Zäsur, führt immer zu Konflikt, zu Krieg. Heute stehen wir vor dem Paradox einer Kirche, die zwar vom Frieden spricht, in ihrem Inneren jedoch einen Sprachkonflikt erlebt, der gerade aus der Vorstellung entsteht, daß alle Symbole verändert werden könnten. Immer wieder wird die Geschichte missachtet – beispielsweise wurde durch die Kurienreform das Amt für Apostolische Wohltätigkeit aus der päpstlichen Familie herausgelöst und zu einem Dikasterium gemacht und damit bürokratisiert und die jahrhundertealte Tradition der persönlichen Mildtätigkeit des Papstes ausgelöscht wurde – das läßt völlige Unkenntnis (historischer Zusammenhänge) erkennen.

Dabei ging es nicht darum, alles zu ändern, um nichts zu ändern, wie es im „Leoparden“ hieß, sondern darum, alles zu ändern, um die Machtzentren zu verschieben. Inwieweit sich der Papst dessen bewusst war, weiß ich nicht. Vielleicht war er einfach von dem Wunsch getrieben, etwas zu verändern, und er tat dies mit seinen eigenen Mitteln und Werkzeugen, wobei er die päpstliche Sprache ablehnte, weil er die päpstliche Sprache mit Macht assoziierte – zumindest aus seiner Perspektive von der Peripherie her gesehen.

Ich kann hier nur spekulieren, aber man muß sich fragen, wie sehr die Kirche es ver­säumt hat, ihre Geschichte, ihre Symbole, ihre Traditionen zu erklären, und wie sehr sie es ver­säumt hat, die Motive zu ergründen, die sie lebendig und in der Welt präsent gemacht haben. Zu Beginn seines Pontifikats sprach man von Papst Franziskus‘ „treibender Kraft“, und dann fragte man sich, ob diese Kraft verloren gegangen sei, als der Papst begann, im­mer wieder die gleichen Konzepte anzuwenden und er unbeirrt auf seine ganz persönli­che Weise regierte, während sich um ihn herum alles veränderte.

Doch jede Reformbemühung läuft ins Leere, wenn sie nichts zu sagen hat, wenn sie lediglich vom Widerspruch zur Vergangenheit lebt, wenn sie das Vorhandene auslöschen muß, um die Zukunft zu leben. Wer immer dieses Erbe (Franziskus’) antritt, muß den Mut haben, zu den Symbolen zurückzukehren, sonst wird die Revolution komplett sein. Und dann wird der Papst nur noch Papst sein aufgrund des persönlichen Charismas, das er ausstrahlt, während die Würde der Symbole zur Folklore reduziert wird. Doch alle Geschichte kann nur Folklore sein, wenn man sie nur von der Oberfläche her betrachtet.

Letztlich konnte die Kirche nur dadurch eine in der letzten Konsequenz konstante Liturgie beibehalten, weil sie immer bis zum Ende geglaubt hat, daß mit Jesus Christus alles offenbart worden ist und alles auf jenen Punkt zurückgeführt werden muß, in dem Jesus Leib und Blut wurde und sein Leben für uns gab. Das ist keine Nostalgie für die Vergangenheit. Es ist eine Art, in der Gegenwart zu leben. Werden wir es verstehen können? All das kam mir in den Sinn. Und ich sage dies mit aller Zuneigung, die ich für einen Papst aufbringen kann, der leidet, der krank ist und der letztendlich bei manchen Entscheidungen Begleitung braucht. Doch wer wird imstande sein, das Papsttum zu verteidigen, wenn sich diejenigen, die ihn begleiten, der Würde der Insignien des Papstes nicht bewußt sind?

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Geradezu reflexartig sehen wir uns genötigt, hier wieder einmal den Hinweis auf die Zeremonie der Throneinnahme des Japanischen Kaisers im Jahr 2020 zu bringen, die in hierzulande extrem erscheinender Weise demonstriert, daß das Verständnis für die „Sprache der Symbole“ auch im dritten Jahrtausend nicht überall untergegangen ist.