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Papst Leo XIV und die Präfektin

15. Mai 2025

Von Martin Grichting

6 - kirchenkrise

Die römische Marmorstatue zeigt den kindlichen Herakles, der mit der ausgestreckten rechten Hand eine zornige Schlange würgt.

Spielend übt sich der kindliche Herakles

Die Fülle der Probleme, die Papst Leo von seinem Vorgänger geerbt hat, ist kaum überschaubar. Die Aufgaben, die seinerzeit dem Herakles gestellt wurden, erscheinen gering dagegen. Obwohl: Die Geschichte vom Stall des Augias klingt bedenkenswert...

Eine der aktuellen Herausforderungen Leos XIV ist die von Franziskus eingeführte Ernennung von Laien bzw. Laiinnen für Leitungsaufgaben, die nach dem bisherigen Kirchenrecht und der auf dem II. Vatikanum bestätigten Lehre der Kirche nicht nuir einen päpstlichen Auftrag, sondern auch die sakramentale Weihegewalt erfordern. Wir hatten dieses Problem schon einmal im Januar angesprochen, ohne es in seiner ganzen Tiefe erhellen zu können.

Das hat der Kirchenrechtler Martin Grichting, zur Zeit von Bischof Huonder Generalvikar im schweizerischen Chur, nun nachgeholt, und er schließt aus seinem Befund, daß schnelle Korrektur der Fehlleistung erforderlich ist, wenn kein schwerer Schaden für die Kirche entstehen soll. Der Artikel ist zuerst auf kath.net erschienen.

 

Mit der Ernennung der „Präfektin“ des Dikasteriums für die Institute des ge­weih­ten Lebens und für die Gesellschaften des apostolischen Lebens durch den verstorbenen Papst ist die Spaltung der „potestas sacra“ in Weihe- und Leitungsgewalt in die Kirche zurückgekehrt. Die Geltung des II. Vatikanischen Konzils ist in diesem wesentlichen und für die Sakramentalität der Kirche vitalen Punkt de facto auf­gehoben worden.

Wir sind dadurch in Zeiten zurückgeworfen worden, welche die Kirche überwunden hat­te. Denn es ist in der Kirchengeschichte tatsächlich vorgekommen, daß die Weihe- und Jurisdiktionsgewalt nicht nur voneinander unterschieden, sondern getrennt wurden. „Bischöfe“, die nicht zum Bischof geweiht waren, standen wichtigen Diözesen vor. Sie waren nicht Hirten, sondern bloss Nutzniesser von Pfründen. Der pastorale Schaden, den nicht geweihte „Hirten“ anrichteten, war beträchtlich.

Das II. Vatikanische Konzil hat diesen Missbräuchen in „Lumen Gentium“ mittels einer vertieften Theologie über das Bischofsamt sowie mit Nr. 21 im Besonderen den Boden entzogen. Denn dort wird die Untrennbarkeit von Weihe- und Jurisdiktionsgewalt ex­plizit gelehrt: „Die Bischofsweihe überträgt mit dem Amt der Heiligung auch die Ämter der Lehre und der Leitung, die jedoch ihrer Natur nach nur in der hierarchischen Ge­meinschaft mit Haupt und Gliedern des Kollegiums ausgeübt werden können». Papst Paul VI. hat dies in der „Nota explicativa praevia“, die er zum integrierenden Bestandteil von «Lumen Gentium“ erklärte, noch verdeutlicht: „In der Weihe wird die seinsmäßige Teilnahme an den heiligen Ämtern verliehen, wie unbestreitbar aus der Überlieferung, auch der liturgischen, feststeht“ (Nr. 2). Man ersieht auch daraus: Wo aufgrund fehlender Weihe keine seinsmässige Grundlage besteht, können keine mit „potestas sacra“ verbun­denen Ämter vermittelt werden.

Als der „Codex Iuris Canonici“ erarbeitet wurde, gab es gleichwohl Kräfte, die versuch­ten, im Kirchenrecht eine Basis zu schaffen, um Laien „potestas sacra“ zuzuhalten. Im ersten Entwurf von 1977 hieß es zwar zuerst in Übereinstimmung mit „Lumen Gen­tium“ und der „Nota explicativa praevia“: „Für die Übernahme von Leitungsgewalt sind in der Kirche nach Massgabe der Rechtsvorschriften diejenigen befähigt, die das Weihe­sakrament empfangen haben“. Dann fuhr man jedoch fort: „In der Ausübung dieser Gewalt, soweit sie sich nicht auf die heilige Weihe stützt, können diejenigen, die das Weihesakrament nicht empfangen haben, nur jenen Anteil haben, die ihnen für einzelne Fälle die höchste kirchliche Autorität zubilligt“.

Dieser Bruch mit dem Konzil wurde in einer mehrjährigen Beratung repariert. Einbezo­gen wurden in den Jahren bis 1983 der weltweite Episkopat, die Kurie und zahlreiche Experten. Schliesslich wurde daraus can. 129, der heute lautet: „§ 1. Zur Übernahme von Leitungsgewalt, die es aufgrund göttlicher Einsetzung in der Kirche gibt und die auch Jurisdiktionsgewalt genannt wird, sind nach Maßgabe der Rechtsvorschriften diejenigen befähigt, die die heilige Weihe empfangen haben. § 2. Bei der Ausübung dieser Gewalt können Laien nach Maßgabe des Rechtes mitwirken“. Laien können somit zwar an der Erarbeitung von Entscheidungen, die Leitungsvollmacht erfordern, mitwirken. Aber sie können solche Entscheidungen nicht persönlich tätigen.

Welche die Folgen der Spaltung der „potestas sacra“ sind, hat Joseph Ratzinger im Jahr 1970 in seinem mit Hans Maier gemeinsam publizierten Buch „Demokratie in der Kirche. Möglichkeiten und Grenzen“ aufgezeigt. Unzweideutig sprach er von der „sach­lich schlechterdings unzulässigen Trennung von Weihe- und Hirtengewalt“. Denn durch eine Trennung von Weihe- und Hirtengewalt werde das Sakrament „ins Magische“, die kirchliche Jurisdiktion „ins Profane“ abgedrängt: „Das Sakrament wird nur mehr rituell und nicht als Auftrag zur Leitung der Kirche durch Wort und Liturgie gefasst; das Leiten umgekehrt wird als ein rein politisch-administratives Geschäft gesehen ‒ weil man offen­bar die Kirche selbst nur für ein politisches Instrument hält. In Wahrheit ist das Vorste­her­amt in der Kirche ein unteilbarer Dienst“ (zitiert nach der Topos-Ausgabe Limburg-Kevelaer 2000, S. 31f).

Wenn ein Laien-Präfekt, der über „potestas sacra“ verfügt, im Ordensdikasterium mög­lich war, dann ist er in jedem Dikasterium möglich. So steht es auch in der Kurienkon­stitution „Praedicate Evangelium“ des verstorbenen Papstes (II.5). So lange in einem solchen Dikasterium keine „potestas sacra“ ausgeübt wird, wie etwa betreffend die Medien, ist das kein Problem. Dies gilt auch für den Vatikanstaat, wo eine Frau an der Spitze gestellt wurde. Denn es handelt sich dabei um ein zufälliges staatliches Gebilde, das nicht zur sakramental-hierarchischen Ordnung der Kirche gehört. Gemäss der „Logik“ von „Praedicate Evangelium“ kann jedoch ein Laie auch zum Präfekten des Bischofsdikasteriums ernannt werden. Denn dessen Präfekt ernennt zwar nicht die Diözesanbischöfe, aber bisher jedenfalls Apostolische Administratoren im Bischofsrang. Wenn es möglich ist, daß ein Laie einen Bischof einer Diözese zuordnet, ist der sakr­amen­tale Charakter der Kirche nur noch eine Farce.

Wenn Laien auf der Ebene der römischen Kurie „potestas sacra“ ausüben, ist nicht zu erkennen, weshalb das nicht auch auf der Ebene der Diözese geschehen kann. Das bedeutet: Ein Laie kann Generalvikar sein und damit Dienstvorgesetzter der Priester eines Bistums. Mit „Laien-Delegierten“ des Bischofs, die dem Generalvikar gleich­kom­men, wird ja bereits in einigen Diözesen experimentiert. Auch können Laien dann Pfarreien leiten und einen Vikar beschäftigen, der ihnen einmal im Monat den Taber­nakel auffüllt. Das alles wäre nicht mehr die Kirche Jesu Christi, die er auf das Funda­ment der Apostel gebaut hat.

Diesbezüglich zu argumentieren, die Ausübung der „potestas sacra“ durch Laien habe der verstorbene Papst mittels der Konstitution „Praedicate Evangelium“ auf die römische Kurie beschränkt und gelte nicht für die übrige Kirche, ist nicht glaubwürdig. Denn die Natur der „potestas sacra“ ist überall die gleiche. Und die Beschränkung auf die Kurie würde bedeuten zu sagen, daß der oberste Souverän für seine Bedürfnisse ein Sonder­gesetz erlassen hat, das für die Untergebenen nicht gilt. Wenn man schon danach dürstet, als Kirche für modern gehalten zu werden: Wie könnte man sich dann gleichzeitig als absolutistischer Fürst gebärden, der über den Gesetzen steht? Wie soll man Bischöfen, Priestern und Laien erklären, daß sie sich an das allgemeine Recht halten sollen, wenn sich der oberste Chef in einer zentralen Frage selbst nicht daran halten will? Despotische Regimes können mit Gewalt erreichen, daß sich die Bevölkerung an die Gesetze hält, während sie die Führung nicht gelten. Aber die Kirche ist kein Staat, sondern eine Frei­wil­ligengemeinschaft. Der Papst kann deshalb nur alle einladen und sie darum bitten, sich an die Lehre und Ordnung der Kirche zu halten. Er ist deshalb der erste, der ein Interesse haben muss, sich selbst an beides zu halten. Sonst laufen ihm die Menschen davon.

In den Jahrzehnten nach dem Konzil wurde das Kirchenrecht missachtet und verächtlich gemacht, als Gegensatz zur Pastoral und zur Liebe. Mit dem Missbrauchsskandalen hat das kanonische Recht eine erste Renaissance erlebt. Denn man ist seither begierig nach Strafrecht und Gerichtshöfen. Was für eine Heuchelei. Aber das ist noch harmlos. Denn durch den verstorbenen Papst wurden nun das Kirchenrecht und die päpstliche Juris­diktion dazu missbraucht, das sakramentale Wesen der Kirche für zweitrangig zu erklä­ren. Wer hätte einen solchen Triumph des positivistischen Juridismus, der von der Seite des „Progressismus“ herkommt, in den Jahrzehnten nach dem Konzil für möglich gehalten? Welche Ironie.

Die Folgen dieser reaktionären, hinter das Vatikanum II zurückgehenden Kirchenpolitik sind heute noch nicht alle abzusehen. Klar ist aber jetzt schon, daß der Priester und der Bischof ins Magische abgedrängt werden, wie es Joseph Ratzinger formuliert hat. Und es stellt sich die Frage: Wer will sich in Zukunft noch hergeben dafür, unter der Leitung ei­nes Funktionärs als Magier aufzutreten? Die Kirche selbst wird profaniert und erscheint nicht mehr als der Leib Christi, sondern als Weltkonzern des vatikanischen Staatspräsi­denten, der mit seinen Präfektinnen und Präfekten per Dekret regiert. Wie man ange­sichts einer entsakramentalisierten Kirche als Christ in Zukunft daran festhalten kann, es gehe hier um die göttliche Offenbarung, die Gnade, das ewige Heil, ja um Gott selbst, wird immer weniger offensichtlich sein.

Papst Leo XIV. wird deshalb nicht darum herumkommen, Entscheidungen zu treffen:

1. Falls die „Präfektin“ des Ordensdikasteriums versucht hat, mittels der „potestas sacra“ Akte der Leitungsgewalt zu setzen, müssen diese von einem neuen Präfekten, der das Weihesakrament empfangen hat, entweder nochmals gültig gesetzt oder für nichtig erklärt werden.

2. Die Kurienkonstitution „Praedicate Evangelium“ muss abgeändert werden, so daß sie wieder dem II. Vatikanischen Konzil und dem allgemeinen Kirchenrecht, das darauf fusst, entspricht.

Kommt es hingegen zu einer neuen „Präfektin“ eines Dikasteriums, die angeblich „potestas sacra“ ausübt, kann man das II. Vatikanische Konzil zu den Akten legen und die Kirche wird ins Chaos gestürzt, nicht nur in Rom, sondern potentiell in jeder Diözese und Pfarrei. Manche würden die Archivierung des II. Vatikanischen Konzils allerdings wohl auch positiv sehen. Denn die Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ wäre ja dann auch nur noch ein Stück Papier.

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