Leo XIV: „Das Evangelium so verkünden,
daß es überall dasselbe sei“.
16. Mai 2025

So las man seit anderthalb Jahrtausenden
Seit der Wahl von Robert Prevost zum Papst durchsuchen fleißige Analytiker die Archive nach früheren Aussagen des bislang wenig bekannten neuen Mannes, die Auskunft über seine theologische und kirchenpolitische Grundierung geben könnten. Dabei kam auch ein langes Interview ) zum Vorschein, das Robert Prevost im September 2023 anläßlich seiner Ernennung zum Kardinal der Website des Augustinerordens, dem er lange Jahre (von 2001 bis 2013) als Generalprior mit Sitz in Rom vorgestanden hatte – deshalb spricht er auch so gut italienisch.
Aus diesem langen Text picken wir uns genau einen einzigen Satz heraus:

„(…) wenn wir unsere Prioritäten aufstellen und die Herausforderungen abwägen, die vor uns liegen, müssen wir uns darüber im Klaren sein, daß die Dringlichkeiten beispielsweise in Italien, Spanien, den Vereinigten Staaten, Peru oder China höchstwahrscheinlich nicht dieselben sind, bis auf eines: die grundlegende Herausforderung, die Christus den Katholiken hinterlassen hat, nämlich das Evangelium zu verkünden, und zwar, daß es überall dasselbe sei.“
Dieser Satz ist für uns in zweifacher Hinsicht aktuell:
Was damals schon für den Präfekten der Bischofskongregation hohe Priorität hatte, wird für den heutigen Papst noch stärker ins Zentrum rücken: daß das verkündete Wort Gottes überall das gleiche sei. Und das nicht nur im Jahr 2025 in Washington, USA, und in Quito, Peru, sondern auch in Rom 461 und 2025. Warum gerade 461? Das ist das Todesjahr von Prevosts großem Vorgänger Leo I, eines Zeitgenossen und Auftraggebers des Bibelübersetzers Hieronymus. Und „Überall“ hat nicht nur eine räumliche, sondern auch eine zeitliche Erstreckung, wie uns ein weiterer Zeitgenosse, Vinzenz von Lerins, überliefert hat: „In der katholischen Kirche selbst ist mit größter Sorgfalt dafür zu sorgen, daß wir halten, was überall, was immer, was von allen geglaubt worden ist.“.
Und genau hier kommt die zweite Aktualität uns Spiel und macht die Sache noch einmal schwieriger: Das Evangelium, das Wort Gottes, wie es von den Evangelisten aufgezeichnet und von den Aposteln überliefert worden ist, wird neuerdings gerne mal hier und da geändert – unter Berufung auf die allwissende und allmächtige Majestät der Wissenschaft, versteht sich. Gerade dieser Tage lenkt ein Beitrag von Paola Belletti auf MessaInLatino unsere Aufmerksamkeit auf einen besonders krassen Fall. Erstaunt teilt die Autorin mit, daß in der Aufzählung der schweren Sünden im Brief des Apostels Paulus an die Römer (1; 29) neuerdings eine Lücke klafft: In der Reihe „Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier und Bosheit, voll Neid, Mord, Streit, List und Tücke“ fehlt die ehedem an zweiter Stelle aufgeführte „Unzucht“ oder „Hurerei“, je nach Übersetzung. Das erscheint nicht nur der Autorin irritierend, denn im ersten Abschnitt des Briefes von Paulus an die Römer stehen die sexuellen Sünden im Mittelpunkt. Wie kann man da rechtfertigen, sie aus der zusammenfassenden Aufzählung zu streichen? Und das anscheinend gewohnheitsmäßig, den in einer älteren von Belletti herangezogenen offiziellen Übersetzung sieht es ebenso aus.
Das macht neugierig und läßt uns zur deutschen Einheitsübersetzung greifen, und siehe da: Auch da ist die Unzucht verschwunden, in der EÜ von 1980 ebenso wie in der neuen Version von 2016. Das lenkt unseren Verdacht bezüglich der modernen Redaktion auf die unglückselige „Nova Vulgata“ aus den 1970er Jahren – und richtig: In der auf der Website des Vatikans angebotenen Fassung der Nova Vulgata fehlt sie ebenfalls. Und da die Nova Vulgata spätestens seit Liturgiam Authenticam (2001) die verbindliche Bibel für den liturgischen Gebrauch darstellt, braucht man sich nicht darüber zu wundern, daß sie weithin auch als Grundlage für nationalsprachliche Übersetzungen herangezogen wird. Tatsächlich ist die Autorität der NV zumindest in Rom und umliegenden Ortschaften so hoch, daß allgemein zugängliche Ausgaben wie die auf der Website des Vatikans sich gar nicht erst die Mühe geben, die immerhin um die 2000 Textänderungen gegenüber der klassischen Vulgata auch nur anzumerken, geschweige denn in Kommentaren zu begründen. Die Nova Vulgata ist aus der Sicht des modernen Rom „Gottes Wort“ und nicht mehr hinterfragbar – und wenn die hl. Schrift der Kirchen des Ostens weit über 1500 Jahre lang in vielen weniger kritischen und einigen sehr bedeutsamen Stellen einen anderen Wortlaut bot, dann hat der lammfromme Bibelleser das eben hinzunehmen. Wie man schon im Kindergarten singt: „Die Wissenschaft hat festgestellt…“.
Doch die Wissenschaft hat nicht, wie sie vorgibt, den „authentischen Urtext“ des Paulusbriefes festgestellt, sondern nur, welcher nach heutigem Kenntnisstand (morgen kann alles schon wieder anders sein), der älteste Überlieferungsstrang des Paulusbriefes ist. Ob etwa Hieronymus diesen Strang nicht vielleicht auch schon kannte, aber aus guten Gründen (die er uns leider nicht überliefert hat) verwarf, weiß diese Sorte Wissenschaft natürlich nicht.
Wir haben im Internet keine Version der Nova Vulgata gefunden, die Auskunft darüber enthielte, welche Veränderungen – und nach welchen Kriterien – gegenüber der Jahrhunderte lang kirchenrechtlich verbindlichen (mit der Übersetzung Hieronymus’ weitgehend übereinstimmenden )Ausgabe der Vulgata Clementina von 1598 in der Bibel des 20. Jahrhunderts vorgenommen worden sind. Eine Suche nach diesen Kriterien in einer mit sogenannter „künstlicher Intelligenz“ ausgestatteten Suchmaschine bringt kein zufriedenstellendes Ergebnis. In der Antwort von „Perplexity“ heißt es:

Die Herausgeber der Nova Vulgata haben den Begriff *fornicatio* in Römer 1,29 weggelassen, weil sie die gesamte Vulgata-Übersetzung anhand der hebräischen und griechischen Grundtexte überprüft und stilistisch überarbeitet haben[3][5]. Die Nova Vulgata orientiert sich dabei stärker am ursprünglichen griechischen Text des Neuen Testaments, der im Fall von Römer 1,29 das Wort „πορνεία“ (porneia, meist mit „Unzucht“ oder „Fornikation“ übersetzt) an dieser Stelle nicht enthält. Die ältere Vulgata (z.B. die Sixto-Clementina) hatte an dieser Stelle das Wort *fornicatio* eingefügt, das im griechischen Urtext jedoch fehlt. Die Nova Vulgata hat dies im Zuge der textkritischen Revision korrigiert und sich am besten bezeugten griechischen Text orientiert, um eine möglichst genaue und authentische Rückübersetzung zu gewährleisten[3][5]. (Perplexity macht Quellenangaben!)
Zusammengefasst: Die Weglassung von *fornicatio* in Römer 1,29 durch die Editoren der Nova Vulgata ist das Ergebnis einer bewussten Rückkehr zum griechischen Urtext, der dieses Wort an dieser Stelle nicht enthält. Ziel war eine größere textliche Treue zu den ältesten und zuverlässigsten Quellen[3][5].
Das mag zwar der offiziellen Linie entsprechen – sachlich korrekt oder gar überzeugend ist es nicht. Wann immer in biblischen Zusammenhängen von einem „Urtext“ die Rede ist, ist höchste Wachsamkeit geboten: Oft genug wird als „Urtext“ die Version bezeichnet, die den Ideen des Übersetzers oder eines Herausgebergremiums am nächsten steht. Auch die Behauptung der KI, das Wort „fornicatio“ sei in der Clementina „eingefügt“ worden ist so nicht haltbar. Schon der von Hieronymus im 5. Jahrhundert zur Grundlage seiner Arbeit gemachte griechische Text enthielt hier „πορνεία“, und diese Version, die in der Bibelwissenschaft als „Textus receptus“ bezeichnet wird und in den Kirchen des Ostens heute noch als der wahre „Urtext“ anerkannt wird, war auch im Westen über ein 1500 Jahre lag tonangebend.
Die „künstliche Intelligenz“ – die nebenbei bemerkt auf einer Materialgrundlage arbeiktet, von der unsereins noch nicht einmal träumen kann – plappert hier nur nach, was in den meistgelesenen Büchern der höchstbewerteten „Kapazitäten“ behauptet wird – und auch das kann morgen schon wieder überholt sein.
Zurück zum Ausgangspunkt bei Kardinal Prevost / Papst Leo XIV: Wenn der heilige Vater sicherstellen will, daß Gottes Wort nicht nur in Washington und im peruanischen Quito gleich verkündet wird, sondern auch im 21. Jahrhundert weitgehend getreu seiner Fassung in Rom vor eintausend oder in Jerusalem vor zweitausend Jahren, dann hat sich Papst Leo eine jede menschlich Anstrengung überfordernde Last aufgebürdet – und das noch zu all den anderen Lasen, die auf seine Schultern drücken.
Aber er hat natürlich recht: Auf Dauer gesehen führt daran kein Weg vorbei. Und in der zweitausendjährigen Tradition der Kirche um die zuverlässige Überlieferung und das richtige Verständnis des Wortes Gottes hat diese Kirche mächtige Hilfsmittel. Ohne Tradition gibt es keine Heilige Schrift, Von den Gnadengaben des hl. Geistes, die reichklich fließen, wenn man sie nicht einer natürlichen menschlichen oder von Menschenkhand geschaffenen „künstlichen Intelligenz“ unterordnet, ganz abgesehen.
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