Das Syndrom des geprügelten Hundes – Papst Leo XIV verdient einen Vertrauensvorschuss
28. Mai 2025
Von Caminante Wanderer

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Der folgende Text bietet einen Auszug aus dem längeren Artikel in spanischer Sprache, der unter dem Titel „León XIV, dos semanas después“erschienen ist. Wir haben den Auszug mit Hilfe von Google-Translate übersetzt und anschließend sprachlich und terminologisch überarbeitet.
Bei der Beurteilung von Personen ist es immer ratsam, sich von Taten und nicht von Worten leiten zu lassen, und bisher hat Papst Leo sehr wenig wirklich getan; zudem waren viele seiner „Entscheidungen“ nichts weiter als der Abschluß von Prozessen, die bereits von seinem Vorgänger oder von Amts wegen eingeleitet worden waren. So war beispielsweise der Rücktritt von Vincenzo Paglia von der Leitung des Theologischen Instituts für die Familie, wo er mit Zustimmung und Beifall von Franziskus verheerende Schäden angerichtet hatte, eine gute Nachricht. Und die Ernennung von Kardinal Baldassere Reina an seiner Stelle ist nichts anderes als eine Rückkehr zu dem, was schon immer so war: Der päpstliche Vikar für Rom ist auch Großkanzler der Lateranuniversität und des Instituts.
Viele haben diese Ernennung kritisiert, aber wir alle wissen, daß Reina ein typischer Bischof nach dem Geschmack Bergoglios ist, der Gehorsam und Unterwürfigkeit als Hauptverdienst des Kandidaten ansah. Kardinal Reina war einst ein Bergoglianer; nun wird er ein Leonianer sein, und sollte Erzbischof Lefebvre durch ein Wunder der Vorsehung zum Papst gewählt werden, würde Reina, wie viele seiner Kollegen, schnell zu rigiden, halbpelagianischen Lefebvristen mutieren.
Bemerkenswert ist auch, daß Papst Leo eine Nonne – oder eine undefinierbare biblische Figur, die sich selbst Nonne nennt – zur Sekretärin des Ordensdikasteriums ernannt hat. Das bedeutet, daß in diesem Dikasterium sowohl die Präfektin als auch die Sekretärin Frauen sind (wo ist die Geschlechterparität geblieben?). Ich bin gegen diese Ernennung, nicht aus Frauenfeindlichkeit, sondern weil ein theologisches Problem dahintersteckt: die Notwendigkeit des Weihesakraments für bestimmte Positionen.
S. dazu unseren Artikel von Martin Grichting. Und an dieser Stelle noch eine „Anmerkung des Übersetzers“: Dem Gedanken des „Wanderers“, daß die bisherigen Ernennungen von Papst lediglich seit längerem eingeleitete Prozesse abschließen, stimmen wir einerseits zu, wollen andererseits aber hinzufügen, daß nichts dem neuen Papst dazu verpflichtet, eingeleitete Prozesse unverändert abzuschließen. – und erst recht nicht, so schnell. Er hat sich dabei sicher auch etwas gedacht. Im Fall des von Leo zum neuen Bischof von St. Gallen ernannten Beat Gögli, der nicht zuletzt wegen seiner Befürwortung der Frauenordination von vielen Katholiken als Radikalreformer abgelehnt wird, ist dieser Gedanke relativ leicht zu erschließen: Die Bischöfe von St. Gallen und Chur werden nach einer komplizierten Sonderregelung des schweizer Staatskirchenrechts vor Ort gewählt und dann von Rom bestätigt. Die bereits getroffene Wahl Göglis nicht zu ratifizieren hätte Leo, der als ehemaliger Präfekt des Bischofsdikasteriums über die Implikationen des Falles bestens informiert ist, in eine Auseinandersetzung über das hoch problematische Staatskirchenrecht der Schweiz verwickelt – die ihm für den Anfang seines Pontifikats sicher nicht wichtig genug ist.
Zur für seine Amtsführung wohl noch problematischeren Doppelspitze von Lai-Innen im Ordensdikasterium hier nur eine Spekulation: Vielleicht plant der Papst, die im Kirchenrecht nicht vorgesehene „Präfektin“ Brambilla auf einen anderen prestigeträchtigen Posten – aber ohne Weiheerfordernis – wegzubefördern, um dann wieder einen Kleriker an die Spitze zu setzen – während ihn die weibliche Sekretärin vor dem Vorwurf der Frauenfeindlichkeit bewahrt. Hoffentlich.
Doch nun zurück zum Wanderer:
Wenn wir uns mit Aussagen von Leo XIV beschäftigen, so waren einige meiner Freunde und Blogleser traurig, als sie beispielsweise seine Message auf „X“ anlässlich des ersten Monats nach dem Tod von Papst Franziskus lasen, ähnlich wie er das auch letzten Sonntag beim Regina Caeli gesagt hat. Nun bin ich sicher, daß er seine sozialen Medien nicht selbst verwaltet Das ist zwar keine Entschuldigung – aber das muß man zunächst einmal hinnehmen, und das wird wohl noch eine Weile so bleiben. Ich würde diesen kurzen, möglicherweise sehr auf den Anlaß zugeschnittenen Worten nicht allzu viel Beachtung schenken. Lassen wir ihm also zumindest für die ersten hundert Tage einen Vertrauensvorschuss.
Manche mögen sagen: Warum sollten wir Leo den Vertrauensvorschuss geben, wenn wir ihn Franziskus nicht gegeben haben, der hier bereits zwei oder drei Wochen nach seiner Wahl kritisiert wurde? Aus einem einfachen Grund: Wir kannten Bergoglio schon lange und hatten ihm bereits während seiner Amtszeit als Erzbischof von Buenos Aires zahlreiche Artikel gewidmet. Wir kennen Prevost hingegen nicht, und nur wenige, die ihn kennen, können ein glaubwürdiges und unvoreingenommenes Zeugnis ablegen. Sehr interessant fand ich etwa die Aussagen von Pater Jorge Millán (, Pfarrer der Kathedrale von Chiclayo, der fast neun Jahre lang mit dem damaligen Bischof Robert Prevost mit anderen Priestern im selben Haus gelebt hat. In einem in The Pillar veröffentlichten Artikel von Edgar Beltrán geht er ausführlich auf die Persönlichkeit des neuen Papstes ein, und alles, was er über ihn sagt, ist sehr ermutigend.
Wir können aber auch auf einige Passagen aus der Predigt bei der Messe zu seinem Amtsantritt und seine Worte an die Vertreter der verschiedenen Religionen am Montag kommentieren. Diese Ansprachen haben bei vielen meiner Freunde und bei mir in unterschiedlichem Maße eine gewisse Enttäuschung ausgelöst, vor allem, weil wir mehr erwartet hatten. Aber man soll von jemandem nicht verlangen, was er nicht geben kann. Ich halte es für angebracht, die positiven Aspekte beider Texte hervorzuheben, die vorhanden und sehr wertvoll sind. Das Problem, das ich beobachte, ist, daß viele von uns am Syndrom des geprügelten Hundes leiden: Wir habe zwölf Jahre lang so unter den Schlägen gelitten, daß wir heute niemandem mehr vertrauen und jeden anknurren, der uns auf die Schulter klopft. Und so können wir unfähig werden, das Gute und Wertvolle zu erkennen.
Beginnen wir mit der Predigt. Ich fand es sehr bemerkenswert, daß die nicht gerade katholische Nachrichtenagentur Reuters die Nachricht unter folgende Überschrift stellte: „Papst Leo XIV. ging zu Beginn seines Pontifikats auf die Konservativen zu, die sich unter seinem Vorgänger verwaist fühlten. Er rief zur Einheit auf, versprach, das Erbe der katholischen Kirche zu bewahren und versprach, nicht als ‚Autokrat‘ zu regieren.“ Und ich sage bemerkenswert, weil das genau der Eindruck war, den ich beim Lesen der Predigt gewann: Sie richtete sich zum großen Teil an Konservativen und vertritt meiner Meinung nach eine Vorstellung vom römischen Papsttum, die der von Benedikt XVI. und dem ersten Jahrtausend näher steht als dem Ultramontanismus, der sowohl eingefleischten Traditionalisten als auch Bergoglianern so am Herzen liegt. Schauen wir uns diesen Absatz an:

„Petrus wird also die Aufgabe anvertraut‚ noch mehr zu lieben‘ und sein Leben für die Herde hinzugeben. Der Dienst des Petrus ist gerade von dieser aufopfernden Liebe geprägt, denn die Kirche von Rom steht in der Liebe, und ihre wahre Autorität ist die Liebe Christi. Es geht nie darum, andere durch Unterwerfung, religiöse Propaganda oder Machtmittel zu verführen, sondern immer und ausschließlich darum, so zu lieben, wie Jesus es tat. Er – so bekräftigt der Apostel Petrus selbst – ‚ist der Stein, den ihr, die Bauleute, verworfen habt, und der zum Eckstein geworden ist‘ (Apg 4,11). Doch wenn der Christus der Grundstein ist, muß Petrus die Herde hüten, ohne jemals der Versuchung nachzugeben, ein einsamer Anführer oder ein über anderen stehender Chef zu sein, der sich zum Herrn des ihm anvertrauten Volkes macht (vgl. 1 Petr 5,3); im Gegenteil, er ist aufgefordert, dem Glauben seiner Brüder zu dienen und Seite an Seite mit ihnen zu gehen.“
Beim Blick auf die von mir hervorgehobenen Stellen sehen wir, daß der Papst sagt: „Ich werde kein zweiter Franziskus sein“, denn das Merkmal des vorherigen Pontifikats war das eines über allen anderen stehenden Chefs, der niemandem zuhörte und sich mit niemandem beriet – obwohl er jede Woche eine Kommission einsetzte – und der sich zum Eigentümer der Kirche machte. Man denke zum Beispiel an die vielen Kardinäle, Bischöfe und Priester, die er ihrer Ämter enthob und in die Abstellkammer verbannte, nur weil sie ihm nicht gefielen.
Meiner Meinung nach geht Leo hier aber noch viel weiter, denn er bekräftigt, daß der Papst von Rom den Kirchen „in Liebe“ vorsteht und kein Despot ist. Das heißt, er ist der Garant der Einheit, aber nicht der Eigentümer der Kirche oder der Ortskirchen. Seit Jahren diskutieren wir in diesem Blog über die Notwendigkeit einer Reform des Papsttums, das meiner Meinung nach unter Pius IX. Eine übersteigerte Form annahm und dann unter Bergoglio seinen Höhepunkt erreichte. Die Päpste nach dem Ersten Vatikanischen Konzil schufen das Labor Dr. Frankensteins, richteten es ein und dekorierten es; es fehlte nur noch die Geburt des Monsters, und diese ereignete sich am 13. März 2013.
Diese Neuformulierung des Verständnisses vom römischen Papsttums hat mehr mit der Lehre und Praxis des ersten Jahrtausends gemeinsam als mit den Deformationen des zweiten Jahrtausends, in dem das Gegengewicht der Ostkirche bereits verloren gegangen war. Im Zusammenhang damit sind die Worte Leos XIV. zu sehen, die er am Montag anlässlich seiner Amtseinführung vor den Vertretern der verschiedenen Religionen sagte: „Da wir uns auf die Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft aller Christen zubewegen, erkennen wir an, daß diese Einheit die Einheit im Glauben sein muss. Als Bischof von Rom betrachte ich es als eine meiner vorrangigen Pflichten, die Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Gemeinschaft aller anzustreben, die sich zum gleichen Glauben an Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist bekennen.“
Das kann leicht übersehen oder überhört werden, und Franziskus hätte es so niemals gesagt: Einheit muss im Glauben gefunden werden. Damit sich christliche Kirchen zusammenschließen können, müssen sie denselben Glauben bekennen. Und was den meisten von uns selbstverständlich erscheint, ist es für die Ökumeniker der letzten Jahrzehnte nicht, für die Einheit auf einer Art diffuser und unbestimmter Brüderlichkeit beruht. Das bedeutet natürlich nicht, daß man nicht auch von universeller Brüderlichkeit sprechen kann (im Italienischen gibt es einen Unterschied zwischen „fraternità“ und „fratellanza“), selbst wenn mir das nicht gefällt. Papst Leo deutet jedoch nirgends an, daß diese (säkulare) „fraternità“ religiöse Einheit impliziert, was bei Franziskus durchaus der Fall war.
Weiterhin finde ich es ermutigend, daß sich der Papst seiner Pflicht als Bischof von Rom voll bewußt ist: sicherzustellen, daß er der Ort der Gemeinschaft für alle ist, die sich zum trinitarischen Glauben bekennen. Wer sind diese? Ehrlich gesagt, nur die Orthodoxen und andere Ostkirchen. Protestanten mögen zwar noch immer in Worten behaupten, an den dreieinigen Gott zu glauben, aber jeder weiß, daß sie dies in der Praxis schon lange nicht mehr tun. daß der Papst sich so sehr dafür einsetzt, daß die beiden Kirchen mit apostolischer Sukzession, die westliche und die östliche, die vor fast tausend Jahren verlorene Einheit wiedererlangen, erscheint mir als großartige und hoffnungsvolle Nachricht, insbesondere im Wissen darum, daß diese Einheit im Glauben, wie er selbst sagt, durch die Anerkennung des Bischofs von Rom als desjenigen zustande kommt, der in der Liebe allen Kirchen vorsteht – und nicht ihr Herr ist. Kurz gesagt: Lasst uns nichts überstürzen, lasst uns nicht nach den Sternen greifen, lasst uns mehr auf seine Taten als auf seine Worte achten und lasst uns geduldig sein.
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