Summorum Pontificum.de

Das Erbe von Kardinal Parecattil und die nachkonziliare Identität der Thomaschristen

03. Juli 2025

1 - Liturgie

Laien tragen die Büste von Parecattil wie eine Trophäe durch die Räume des Bischofshauses;

Konzilsgeist im Triumphzug

Die syro-malabarischen Katholiken feiern heute das Fest des hl. Apostels Thomas, der nach ihrer Überlieferung bei seinen Reisen zur Verbreitung des Evangeliums bis nach Indien kam und als Begründer ihrer Kirche ange­sehen wird. Diese in Einheit mit Rom stehende orientalische Teilkirche wird seit Jahren von ei­nem Streit um die richtige Feier der Liturgie zer­rissen, über den wir hier schon mehrfach berich­tet haben – besonders ausführlich im Januar 2024 und dann noch einmal im Juni des gleichen Jahres. Gegenstand der Auseinandersetzungen, die bis zu Schlägereien, und Verbrennungen von Strohmännern mit den Masken der Bischöfe der jeweiligen Gegen­seite sowie zu Exkommunikationsdrohungen durch eine oft unglücklich agierende Kirchenleitung führten, ist – so sieht es zumindest aus – die Frage der Zelebrationsrich­tung: Soll die Liturgie „ad populum“ gefeiert werden – wie das in vielen, aber bei weitem nicht allen Gemeinden nach dem Konzil eingeführt worden war? Oder soll sie wie vor dem Konzil „ad Dominum“, zum liturgischen Osten hin, zelebriert werden, wie es im Zuge der zunehmenden Wertschätzung des „Eigenen“ in immer mehr Gemeinden praktiziert oder zumindest gefordert wird?

Dieses „Eigene“ ist zumindest für die Mehrheit von Gläubigen und Klerus in Ernakulam nicht die syrische Tradition der vergangenen anderthalb Jahrtausende, sondern eine neue Identität der „indischen Gegenwart“, die sich in einem widerspruchsvollen Prozess von Europäisierung und Entkolonisierung herausgebildet hat. Wir haben uns in unserer bisherigen Berichterstattung im wesentlichen auf das Magazin „The Pillar“ gestützt, das einen Korrespondenten im Krisengebiet hat, der ein guter Beobachter ist, aber offenbar über wenig theologische oder liturgische Kenntnisse verfügt. Dabei haben wir uns immer wieder ge­fragt, ob die Frage der Zelebrationsrichtung wirklich Grund für die anhal­ten­den Ausei­nandersetzungen sein könne, oder ob es da nicht tiefer liegende Motive gäbe. Nachdem der Korrespondent des Pillar dazu wenig beizutragen hatte, haben wir nun KI-gestützte Mittel der modernen Webrecherche eingesetzt, um der Sache nachzugehen – und wur­den dabei über alle Erwartung hinaus fündig:

Es begint ein Zitat

Die Erzdiözese Ernakulam-Angamaly liegt im Herzen des hochentwickelten Distrikts Ernakulam in Kerala, der eine Alphabetisierungsrate von über 95% aufweist (17, 18). Die Region ist urbaner, gebildeter und kosmopolitischer als andere Teile Keralas, was zu einem selbstbewussteren und kritischeren Um­gang mit kirchlicher Autorität führt (17, 19). (...)

Für die Gläubigen in Ernakulam-Angamaly ist die "versus populum"-Zele­bration zu einem Symbol für vieles geworden, was über die reine liturgische Praxis hinausgeht: für Partizipation statt Autoritarismus, für Inkulturation statt Uniformierung, für das Konzil statt Tradition, für Transparenz statt Hierarchie (21 22).

Wir zeichnen hier aus dem von perplexity gefundenen und so zusammengefassten Mate­rial die wichtigsten Entwicklungslinien in geraffter Form nach. (Wer das Frage-und-Antwort-Spiel mit der Suchmaschine im Original nachvollziehen will, findet es hier samt einigen hundert Literaturhinweisen zum Download.)

Traditionell ist die Liturgie der christlichen Inder weitgehend in der Sphäre des ortho­doxen Orients verwurzelt. Die Messfeier begann – auch – mit dem großen Engelshymnus (Cherubikon) , das Kreuzzeichen wurde von rechts nach links geschlagen, die liturgischen Gewänder sowie die Kronen-Mitren ähnelten in vielem denen der Griechen und der Russen, die liturgische Sprache war das uralte Aramäisch der syrischen Chaldäer. Das blieb auch bei den unter Druck der portugiesischen Kolonialherren Südindiens mit Rom unierten Teilen der Thomaschristen so. Es gab wohl einige lateinische Einflüsse, die aber sehr begrenzt blieben. Die Messe selbst bestand aus zwei Hauptteilen: Dem einleitenden Lesungsgottesdienst und der Qurbana, die ungefähr dem Kanon der Westkirche ent­spricht. Allerdings kennen die Ost-Syrer keine Ikonostase, und auch eine Bilderver­eh­rung nur in Ansätzen. Einen guten Überblick gibt die englischsprachige Wikipedia-Seite East syriac Rite.

Unter dem Einfluß der portugiesischen Kolonialherrschaft in Südindien unterstellten sich Teile der indischen Ostsyrer ab 1599 dem Papst und übernahmen in diesem Zusammenhang auch einzelne Elemente der lateinischen Spiritualität und Liturgie. Das scheint jedoch mehr oder weniger spontan und lokal erfolgt zu sein und den Charakter der Liturgie nicht grundlegend verändert zu haben – und zu diesem Charakter gehörten eben auch viele Lokalbräuche und ein beträchtliches Maß an Uneinheitlichkeit. Ab 1935 arbeiteten Theologen der syro-malabarischen Kirche an einem Missale, das auf die histo­rische Authentizität und die Wiederherstellung der ursprünglichen ostsyrischen Identität abzielte. Dieser Prozess fand 1960 seinen Abschluß und das Ergebnis wurde 1962 von Rom genehmigt – doch da stand es schon ebenso wie das Missale Johannes XXIII. im Westen in einem als unerträglich empfundenen Reibungsverhältnis zum Zeitgeist der heraufziehenden 60er Jahre.

Unmittelbar nach dem 2. Vatikanum und parallel zur Arbeit des „Consiliums“ zur Reform der lateinischen Liturgie leitete Kardinal Joseph Parecattil (1912 – 1987), der selbst am Konzil teilgenommen hatte, eine umfassende „Reform“ der erst soeben kodifizierten Litur­gie ein, die dann ihren Niederschlag im Messbuch von 1968 fand. Leitgedanken dieser Reform waren einerseits der offenbar stets so bezeichnete „Geist des Konzils“ und andererseits eine „Indisierung“ als weitgehende Abkehr von den spezifisch syrisch-chaldäischen Elementen der Tradition und Einfügung in die Lebenswelt Indiens. Theo­retisch verkörperte es einen Prozess der „Inkulturation“, wie sie im Buche Bugninis oder Gelineaus steht. In der Praxis überwog bei den Reformen Parecattils der Geist der Re­form­theologen des Westens und wurde wohl auch damals schon von vielen Angehörigen der syro-malabarischen Kirche so wahrgenommen.

Die Messfeier wurde in der Reform von 1968 ganz im Geist von Sacro­sanctum Consi­lium von allen Wiederholungen und allem „Überflüssigen“ gereinigt, die Zelebra­tions­richtung wurde auf „ad populum“ umgestellt, die Paramente stark romanisiert. Die syrisch-chaldäische Liturgiesprache wurde durch eine der vielen indischen Volksspra­chen, das Malajalam, ersetzt; das Kreuzzeichen wurde „auf links gedreht“, der Engel­hymnus (Cherubikon bei den Griechen) zum Einzug wurde „abgeschafft“, die (teilweise sehr aufwendig gestaltete) Gabenbereitung in den Nebenräumen des Altars wurde ver­einfacht und an den Altar selbst verlegt. Von den drei Qurbanas des Messbuchs von 1960/62 wurde nur die dem Addai und Mari zugeschriebene beibehalten – ein interes­santer Gegensatz zur Vermehrung des Zahl der Hochgebete im Westen. Innerhalb des Hochgebetes wurden zumindest in einem Teil der Gemeinden Änderungen vorge­nom­menen, um die von einigen Theologen monierten „Defekte“ der Konsekrationsgebete nach Addai und Mari zu kompensieren.

Tatsächlich war der gegenüber den Anhängern der Tradition ins Feld geführte Vorwurf, dieses und die anderen Hochgebete würden Elemente „nestorianischer Häresien“ ent­halten, für die Reformer von 1968 ein wirkungsvolles Werkzeug zur Durchsetzung ihrer Ideen. Allerdings war dieser Vorwurf von Rom zumindest offiziell nie unterstützt wor­den und wurde durch Entscheid der Glaubenskongregation unter Joseph Ratzinger im Juli 2001 autoritativ zurückgewiesen. Für die erste Phase der Liturgiereform in Indien kam das zu spät, hatte aber durchaus Einfluß auf die Ende der 1990er-Jahre einsetzende zweite Phase.

Das aus diesen Reformen hervorgegangene und für die gesamte syro-malabarische Kirche bestimmte Messbuch von 1968 wurde in der stark städtisch geprägten Diözese Ernakulam Kardinal Parecattils dem Vernehmen nach begeistert und auf jeden Fall bereitwillig aufgenommen. Im dünner besiedelten ländlichen Umfeld von Diözesen wie Changanassery überwogen demgegenüber Skepsis und Ablehnung. Diese Ablehnung war so stark, daß es zumindest bis in die 90er Jahre hinein Gemeinden und Priester gab, die den Gebrauch des 1968er-Missales verweigerten und bei dem von 1960/62 oder noch älteren Ausgaben blieben. Das heißt: Bis in die jüngste Gegenwart und vermutlich bis heute geht es beim syro-malabarischen Liturgiestreit bei weitem nicht nur um die (von Außenstehenden am leichtesten wahrnehmbare) Zelebrationsrichtung, sondern um unterschiedliche Messbücher mit unterschiedlichen Gebeten und in verschiedenen Sprachen. Die KI von perplexity schreibt dazu:

Es begint ein Zitat

Die Unterschiede zwischen dem restaurierten Syro-Malabar-Missale von 1960-1962 und dem unter Kardinal Parecattil 1968 erarbeiteten expe­ri­mentellen Messbuch sind tiefgreifend und spiegeln zwei völlig verschiedene liturgische Philosophien wider. Diese Differenzen erstrecken sich über theo­logische Grundsätze, liturgische Struktur, Sprache und Zelebrationsrichtung.“

Daß der oben an letzter Stelle plazierte Punkt „Zelebrationsrichtung“ in der hiesigen Berichterstattung fast ausschließlich genannt wird, hat einen höchst simplen Grund: Dieser Unterschied ist auch dem von jeder Vorkenntnis unbelasteten Beobachter unmit­telbar einsichtig. Im Westen gibt es in der Formel „mit dem Rücken zum Volk“ eine ganz ähnliche Erscheinung.

Die Spannungen, die ihren Grund in den von perplexity zusammengefassten substanziel­len Unterschieden haben, wurden schließlich so bedrückend, daß 1999 eine Bischofssy­node den Beschluß faßte, die Liturgie für die ganze Kirche zu vereinheitlichen. Wenig überraschender Weise hatte dieser neue Reformprozess mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, deren Einzelheiten von hier aus reichlich unübersichtlich erscheinen und zum Verständnis der Sache selbst wohl auch nicht allzu viel beitragen. Jedenfalls konnte erst im August 2021 mit einem weiteren Synodenbeschluß als Ergebnis der „Uniform Eucharistic Rite“ offiziell kodifiziert und eingeführt werden.

Dieser Uniform Rite stellt seinem Wesen nach einen Kompromißversuch dar, und wie das bei Kompromissen oft der Fall ist, stellte er beide Seiten nicht wirklich zufrieden. Er wurde zwar von den Anhängern der vorkonziliaren Tradition zumindest äußerlich weit­gehend akzeptiert, nicht jedoch von den „Nachkonziliaren“ von Ernakulam, die sich erbittert zur Wehr setzten – während die Traditionalisten ebenso erbittert darauf bestan­den, alle müßten das neue Missale annehmen. Wenn wir den (mit umfangreichen Quel­len­verweisen belegten) Auskünften von Perplexity vertrauen können, liegt dem neuen „uniform Rite“ im wesentlichen das stark der Tradition verbundene Missale von 1960/62 zugrunde – allerdings überwiegend mit in Malayalam abgefassten Texten. Die Paramente entsprechen den uns über Google zugänglichen Bildern nach eher denen der Reform von 68/69, und die Zelebrationsrichtung wurde des lieben Friedens willen salomonisch aufgeteilt: Wortgottesdienst zur Gemeinde hin (was sich auf vielerlei Vorbilder im Orient, aber auch in der römischen Pontifikalliturgie, stützen kann), und Kanon/Qurbana „ad Dominum“.

Die Sinnhaftigkeit einer solchen Synkretisierung ist von hier aus nicht zu beurteilen – der Gedanke, die Meßbücher Johannes XXIII. und Pauls VI. zusammenzumixen, ruft eher Unbehagen hervor. Und genauso scheint es an der Südspitze Indiens auch gesehen zu werden. Insbesondere beim Klerus und den Gläubigen von Ernakulam mit ihrer betont „nachkonziliaren“ Orientierung stieß der „Uniform Rite“ auf erbitterten Wider­stand, der sich in den teilweise gewalttätigen Unruhen der letzten drei Jahre ausdrückte. In Ernakulam kommt noch hinzu, daß dort Kardinal Parecattil als eine Art Heiliger oder Volksheld verehrt wird und die weitgehende Rücknahme der von ihm entworfenen Reformliturgie von vielen Gläubigen als persönliche Beleidigung empfunden wird. Als im Zuge von internen Auseinandersetzungen – oder waren es nur Renovierungsarbeiten? – eine Büste Parecattils im Bischofshaus in eine Abstellkammer verbracht worden war, verbrei­tete sich die Nachricht in Windeseile in der syrisch-katholischen Bevölkerung (13%) der Stadt. Anhänger des 1987 verstorbenen Kardinals – und das sind um die 500 Priester des 700 Köpfe zählenden Klerus der Diözese und ein entsprechender Anteil der Laien – stürmten das Gebäude und brachten die Statue gewaltsam wieder an ihren früheren Platz.

Derartige Auseinandersetzungen prägten die gesamte Zeit von 2021 bis in die erste Hälfte 2025. Sie wurden durch Korruptionsaffären an der Spitze einiger Bistümer zusätzlich angeheizt und konnten auch durch nicht immer glückliche Schlichtungs- oder Einmischungsversuche Roms nicht beendet werden. Das gelang – oder scheint zu gelin­gen – erst, nachdem in den vergangenen Monaten Schlüsselpositionen in Episkopat und Nuntiatur neu besetzt wurden.

Jedenfalls wurde ein neuer Kompromiß gefunden, der im Wesentlichen den Allein­ver­tretungsanspruch des Uniform Rite von 2021 rela­tiviert: Die „ad-Dominum“-Gemeinden von Ernakulam können bei ihrer bisherigen Praxis (und wohl auch bei ihrem bisherigen Missale!) bleiben, sofern sie in jeder Pfarrei an Sonn- und Feier­tagen mindestens eine Messfeier im Uniform Rite anbieten. Heute tritt die entspre­chende Vereinbarung in Kraft, und heute wird sich zeigen, ob der Kompromiß vom niederen Klerus und in den Ge­mein­den akzeptiert wird, oder ob der Streit erneut ausbricht. Insbesondere in Erna­ku­lum wird bereits kritisiert, daß die neue Regelung den Gläubigen „von oben“ aufge­zwun­gen und nicht auf synodalem Wege „von unten“ entwickelt und abgestimmt worden sei.

Die Symptome mögen in Ernakulam und Frankfurt verschieden sein – die Krankheit ist überall die gleiche.

Aus lateinisch-westlicher Sicht ist weiterhin anzumerken, daß ein solcher Kompromiß im Grunde dem Geist von Summorum-Pontifikum entspricht und jedenfalls einen deutli­chen Widerspruch zum Absolut­heits­anspruch von Traditionis Custodes markiert, nach dem es für die Lex credendi der römischen Kirche nur eine Lex orandi, nur eine Spiritualität geben könne – nämlich die im Novus Ordo ausgedrückte. Dieser Absolutheits­anspruch, der nicht nur in St. Anselmo uner­bittlich vertreten wird, ist theologisch, hi­sto­risch und pa­sto­ral völlig unhaltbar und muß überwunden werden, um die insbe­son­dere in Westeuro­pa so schädlichen liturgischen Auseinandersetzungen zu überwinden.

*