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„Allgemeines Priestertum“ - II

Bild: Dumberton Oaks CollectionIn der aktuellen Kirchenpolitik wird die Rede vom „gemeinsamen Priestertum aller Getauften“ vor allem in dem Bestreben gebraucht, das Spezifische des Weihepriestertums kleinzureden oder unkenntlich zu machen. Das entspricht einerseits dem populären Bestreben zur „Demokratisierung“ aller Lebensbereiche sowie der umfassenden Entsakralisierung, verbindet sich andererseits aber mit der besonderen Absicht, die „Weiheämter“ auch für Frauen zugänglich zu machen: Alle Gläubigen sollen vor Gott und am Altar gleiche „Rechte“ haben und geltend machen können. Dabei wird ganz bewußt darüber hinweggesehen, daß dem Priestertum nach christlichem Verständnis (das übrigens weit in die jüdische Vorgeschichte zurückreicht) eine ganz besondere Bedeutung und Stellung im göttlichen Heilsplan, zukommt, die jede Art von Einebnung a priori ausschließt.

Im ersten Beitrag zum Thema hatten wir eine Passage aus Lumen Gentium zitiert, die vielfach zur Erklärung des „gemeinsamen Priestertums“ herangezogen wird und in diesem Sinne auch in den Katechismus von 1993 (Abs. 941) eingegangen ist. LG schreibt am Ende von Kapitel 10:

Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil[16]. Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit[17]

Dieses Zitat ist allerdings unvollständig. Der letzte Satz geht nach dem Verweis auf Anmerkung 17 so weiter:

und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe.

Dieser Schlußteil wird im „nachkonziliaren“ Verständnis des „gemeinsamen“ Priestertums weitgehend ausgeblendet, wenn etwa Abschnitt 784 des Katechismus zunächst ausführt:

Wer durch den Glauben und die Taufe in das Volk Gottes eintritt, erhält Anteil an der einzigartigen Berufung dieses Volkes: an seiner priesterlichen Berufung. „Christus der Herr, als Hoherpriester aus den Menschen genommen, hat das neue Volk ,zum Königreich und zu Priestern für Gott und seinen Vater gemacht‘. Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften nämlich zu einem geistigen Haus und einem heiligen Priestertum geweiht" (LG10)

Hier geht es weiter In dem diesen Gedanken abschließenden Abschnitt 786 heißt es dann (mit einem Zitat aus einer Predigt Leos d. Gr.)

„Alle, die in Christus wiedergeboren sind, macht das Zeichen des Kreuzes zu Königen, während die Salbung des Heiligen Geistes sie zu Priestern weiht. Darum sollen sich auch alle geistlichen und geistigen Christen bewußt sein, daß sie - abgesehen von den besonderen Aufgaben Unseres Amtes - aus königlichem Geschlecht stammen und an den Pflichten des Priesters Anteil haben. Was ist so königlich, als wenn ein Gott untertäniger Geist die Herrschaft über seinen Leib führt? Und was entspricht den Obliegenheiten eines Priesters mehr, als dem Herrn ein reines Gewissen zu weihen und ihm auf dem Altare seines Herzens makellose Opfer der Frömmigkeit darzubringen?"

Das ist, aus dem Kontext des 5. Jh nach Christus herausgenommen und in die Zeit 500 Jahre nach Luther verpflanzt, zumindest im ersten Teil des Zitates mißverständlich. Aus der kollektivistischen Geisteshaltung des 20. Jahrhunderts gelesen, kann es dazu beitragen, den Unterschied zwischen Priester und Gläubigen einzuebnen und alle im Kreis um den Altar stehen zu sehen, wo sie gemeinsam und „auf Augenhöhe“ ihr Priestertum versehen.

Tatsächlich scheint im Begriff des „gemeinsamen Priestertums“ wenn nicht die Quelle, so doch der stärkste Ausdruck der Problematik zu liegen. Die „Gemeinsamkeit“ verwischt die Unterschiede ein – bis hin zur Negation, wie man sie bei „Wir sind Kirche“ und bei zahlreichen Universitätstheologen beobachten kann. Der Wortgebrauch (wenn auch nicht das Begriffsverständnis) der Lutheraner vom „allgemeinen Priestertum“ scheint besser geeignet zu sein, den Kern der Sache zum Ausdruck zu bringen. Wo es ein „Allgemeines“ von einer Sache oder einer Institution gibt, ist immer auch ein „Besonderes“ mitgedacht. Die Begrifflichkeit fordert geradezu dazu auf, die Unterschiede ins Auge zu fassen – ohne eine vorhandene Gemeinsamkeit zu unterschlagen oder gar zu bestreiten.

Diese Unterschiedlichkeit wird in LG 10 in dem kurzen zweiten Teil des Satzes durchaus angesprochen und sogar recht präzise bezeichnet – das allgemeine Priestertum aller Getauften ist auszuüben

...im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe.

Doch diese Präzision kommt „zu spät“, nachdem die vorhergehenden Sätze mit der Anrufung einer gemeinsamen Zuordnung auf das Priestertum Christi und insbesondere mit der Wendung „die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit“ das Verständnis in die kollektivistische Richtung gelenkt haben. Was bedeutet denn der Verweis auf das „königliche Priestertum“ wirklich?

Eine vor jedem Mißverständniss schützende und jeden mißdeutbaren Bezug auf das „Priestertum Christi“ und das „eucharistische Opfer“ vermeidende Beschreibung enthält der „Grüne Katechismus“ der 50er Jahre in der bekannten Antwort auf die erste und grundlegende und letztlich als einzige wirklich wichtige Frage: „Wozu sind wir auf Erden?“:

„Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und einst ewig bei ihm zu leben.“

Das ist die gemeinsame Aufgabe aller Menschen mit und ohne besondere Weihe.  Darin liegt das tatsächliche gemeinsame Priestertum - in der Gestaltung des Lebens als Gottes-Dienst. Einen Nachhall dessen kann man durchaus noch in dem oben zitierten Satzabschluß aus LG 10 erkennen – mehr als ein Nachhall ist es freilich nicht.

Um das Wesen des allgemeinen Priestertums und dessen Zusammenhang mit der ersten Antwort aus dem Katechismus besser verstehen zu können, ist es sinnvoll, ganz auf den Anfang der Geschichte zwischen Gott und dem Menschen zurückzuschauen – bis auf Adam, der ja nicht nur der erste Mensch im Garten Eden, sondern auch der erste Hohepriester im Tempel des Paradieses war (s. Adam war kein Apfeldieb), und dem Gott nicht nur die Aufgabe zur Pflege und Nutzung dieses Gartens, sondern auch den Kult und die Bewahrung des Tempeldienstes übertragen hatte. Das Hebräische verwendet in den Büchern über den Tempeldienst zur Beschreibung der priesterlichen Pflichten die gleichen Worte wie für Pflege und Nutzung des Paradiesgartens – ursprünglich gab es zwischen beidem offenbar keinen Unterschied – der ganze Garten Eden war das Allerheilgste, in dem der Mensch in kindlicher Gemeinschaft mit Gott wohnte und ihm diente.

Die „Beschreibung des Paradieses“ des hl. Ephraim des Syrers (4. Jh.), über dessen Quellen wir nichts näheres wissen, führt hier eine bemerkenswerte Unterscheidung ein. Danach war das ganze Paradies Heiligtum Gottes – doch es enthielt ebenso wie der Tempel ein Allerheiligstes, das der Herr sich alleine vorbehalten hatte. Auch Adam durfte es nicht betreten. Das Priestertum Adams hätte danach darin bestanden, in der Welt, die ihm Gott gegeben hatte, in voller Übereinstimmung mit seiner Natur und dem Willen Gottes zu leben - gerade wie es der Katechismus ausführt.

Mit dem schuldhaften Verlust dieser Übereinstimmung und der Vertreibung aus dem Paradies wandelten sich „Pflege und Nutzung“ zu „Arbeit und Mühsal“, und da der Kampf ums Überleben wenig Priesterliches an sich hatte, setzte der Herr in seinem Bundesvolk ein besonderes Priestertum aus dem Stamme Aarons und dessen Gehilfen aus dem Stamm der Leviten ein, deren Dienst freilich auf den besonderen Ort des Bundeszeltes/Tempels beschränkt war. Auch diese Priester waren vom „allgemeinen“ Volk abgesondert, nur sie durften das Heiligtum betreten und für das Volk die Opfer darbringen; Alltagsleben und Gottesdienst wurden getrennt. Von der „Arbeit und Mühsal“ bei der Bewirtschaftung der (in die Gottesferne) „gefallenen Erde“ waren die Träger dieses „besonderen Priestertums“ – zumindest in der Theorie – befreit. Sie blieben bei der Zuteilung des Ackerlandes unberücksichtigt und lebten von den Zehnten, die dem Volk auferlegt waren. Mit Ausnahme einiger familiärer Riten, die dem Sippenoberhaupt zustanden, hatte das Volk keinen Anteil an den gottesdienstlichen Funktionen des Priestertums – die Sphären waren klar geschieden. Das Gesetz Moses legte den Angehörigen des Bundesvolkes zwar strenge Verpflichtungen zu einem gottgefälligen Leben auf, sah darin aber nicht mehr den priesterlichen Dienst Adams.

Mit der Menschwerdung und dem Erlösungsopfer Christi trat hier eine tiefgehende Wandlung ein. Für die, die durch die Taufe gleichsam auf die Stufe der Gotteskindschaft vor dem Fall „zurückgesetzt“ waren, verlor das Gesetz seinen Zwangscharakter. Die Getauften wurden wieder zu „Kindern der Freiheit“, deren Leben trotz aller weiterbestehenden „Arbeit und Mühsal“ wieder nach dem Vorbild des Priestertum Adams gestaltet war, „im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“, wie es in Lumen Gentium gesagt wird, oder „um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und einst ewig bei ihm zu leben“ nach dem alten Katechismus. Der Altar dieses allgemeinen Priestertums ist die ganze Erde, und sein Gottesdienst ist das Leben in der Gnade Gottes.

Zusätzlich und durchaus verschieden von diesem durch die Erlösung erneuerten „allgemeinen Priestertum aller Getauften“ setzte der Herr als fortdauernde Grundlegung dieser Erneuerung ein besonderes Priestertum ein. Es knüpft in einigen Zügen an die Gestalt des alttestamentlichen Priestertums an – auch die Priester des neuen Bundes sind aus dem Volk herausgenommen,  und sie sind die als einzige mit dem Zugang zum Altar beauftragten Opferpriester, die dort „in persona Christi“ das eine Erlösungsopfer immer wieder vergegenwärtigen. Vom unvergleichlichen Rang dieses Opfers her geht dieses Priestertum in seinen Vollmachten zur Spendung der Sakramente und zur Vergebung der Sünden dann jedoch weit über das aaronitische Opferpriestertum des alten Bundes hinaus. An diesem Priestertum gibt es nichts Demokratisierbares und Einklagbares. Nur Christus selbst ist sein neuer (und einziger) Hohepriester. „Allgemein“ ist daran nur so viel, daß alle Menschen Anteil an seinem Erlösungswerk haben – als vor dem Altar kniende Erlöste, und nicht als den Altar umstehende Mit-Erlöser.

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Das Bild von der „Einführung Adams in das Paradies“ beruht auf der Vorstellung des Künstlers, daß der Herr den Menschen außerhalb des Paradieses aus dem Stoff der Erde geschaffen und dann in das Paradies „eingesetzt“ habe (Gen 2,8). Die vorhergehende Szene der „Beseelung“ hatten wir bereits zur Illustration eines Beitrages über Adam im Paradies verwandt. Nach der Tradition der alten Kirche versucht das Bild keine Darstellung des Schöpfers als der ersten Person der Trinität, wie sie sich später im Westen eingebürgert hat, sondern bildet das fleischgewordene Schöpfungswort ab - den Herrn Jesus Christus, „durch den alles geschaffen ist“ (Credo).

Die Aufnahme des Mosaikfeldes aus dem Markusdom zu Venedig entnehmen wir der Sammlung der Dumberton Oaks Research Library and Collection, von der zahlreiche Abbildungen bedeutender Kunstwerke in hoher Auflösung für Zwecke von Wissenschaft und Bildung in der Regel kostenfrei bezogen werden können.

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