Die Deutschkatholiken in ihrem Lauf...
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- 17. Juni 2020
...hält weder Ochs noch Esel auf. Zugegeben: Ganz so hat es Erich Honecker kurz vor dem Zusammenbruch seines Regimes nicht gesagt. Aber der Synodale Weg und seine Propagisten geben sich mindestens ebenso entschlossen , und sie können für sich wenigstens in Anspruch nehmen, daß ihr Sturmlauf auf die Festung Rom nun schon seit über 200 Jahren nicht wirklich gestoppt werden konnte. Der italienische Historiker Roberto Pertici hat sich drei bisherige Stationen dieses Sturmlaufs näher angeschaut: Das Nationalkirchliche Programm von Heinrich Ignaz von Wessenberg (1774 - 1860), das „Schlesische Schisma“ Johannes Ronges (1813 - 1887) und die „Altkatholiken“ von 1872. Dabei hat er einen bemerkenswerten gemeinsamen Grundzug dieser historischen Bestrebungen untereinander und auch mit der aktuellen ausfindig gemacht: Eine „nationale Attraktion“, ein freilich durchaus diesseitiges Leiden an der religiösen Spaltung des Vaterlandes und eine daraus erwachsende Tendenz, alle als „ideologisch“ abgewerteten Differenzen zwischen den Konfessionen zu überwinden. Wer hätte eine solche Traditionslinie bei unseren „Linkskatholiken“ vermutet? Aber lesen Sie selbst:
Die Beiträge von Sandro Magister und Pietro De Marco über den aktuellen „Synodalen Weg“ in Deutschland und über das mögliche Abgleiten der Deutschen Kirche in ein Schisma sind hoch interessant für alle, die sich um das Verständnis der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und der Gesellschaft der Gegenwart bemühen. Und doch hat der Historiker, selbst wenn er kein Spezialist für die höchst verwickelte Religionsgeschichte Deutschlands ist, des öfteren ein „déja-vu“-Erlebnis. Mit teilweise neuen Inhalten, die sich aus den soziokulturellen Veränderungen der letzten 50 Jahre ergeben, stehen wir vor einem neuen Versuch von Einzelpersonen und Gruppen, die heute, wie es scheint, die Mehrheit im deutschen Katholizismus stellen, eine Nationalkirche zu errichten, um auf mittlere und längere Sicht die religiöse Einheit Deutschlands wieder herzustellen, und zwar einhergehend mit einer tiefgehenden Protestantisierung von Theologie, Liturgie und administrativen Strukturen.
Wenn man diese nationale Zielsetzung – andere würden sagen: nationale Versuchung – nicht im Hinterkopf hat, besteht die Gefahr, alles auf ein theologisches Abgleiten zu reduzieren, auf einen Kampf zwischen Rechtgläubigkeit und Irrlehre oder auf einen innerkirchlichen Konflikt. All diese Elemente sind vorhanden, aber sie reichen vielleicht nicht aus, um das Phänomen, das da vor unseren Augen stattfindet, vollständig zu erklären.
Der deutsche Katholizismus schwankte oft zwischen dieser „nationalen Anziehung“ (praktisch war das eine Hinneigung, vielleicht uneingestanden, zum Protestantismus, mit dem er in einer symbiotischen Beziehung lebt) und der Anerkennung des römischen Primats. Dieses Schwanken wurde noch schmerzlicher und dramatischer dadurch, daß seit Luther und Ulrich von Hutten die deutsche Identität sich gerade im Gegensatz zum „Babylon“ Rom ausformte. Kann man ein „guter Deutscher“ und gleichzeitig Katholik sein – also Gefolgsmann einer fernen Macht, die von vielen Landsleuten gehasst wurde? Diese Frage hat über Jahrhunderte der deutschen Geschichte eine große Rolle gespielt, bis hin zu Bismarcks Kulturkampf und der Religionspolitk im Dritten Reich.
Im frühen 19. Jahrhundert war die prominenteste Gestalt dieser „nationalen Anziehung“ und der dem zugrunde liegenden theologischen und bildungsmäßigen Leitvorstellungen Heinrich Ignaz von Wessenberg (1774-1860), Generalvikar und Diözesanadministrator des Bistums Konstanz, der dieses Programm einer Deutschen Nationalkirche auf keiner geringeren Plattform als beim Wiener Kongress vortrug und begründete. Er stützte sich auf die klassisschen anti-römischen Ideen der „Febronianischen“ Tradition (die Reduzierung der päpstlichen Vorrangstellung auf einen schlichten Ehrenprimat statt eines Jurisdiktionsprimats, größeres Gewicht für den Episkopat, Suprematie des Konzils über den Papst und das Recht des Staates zur Abwehr von „Einmischungen“ seitens des Heiligen Stuhls). Dazu auf den Kampf des aufgeklärten Katholizismus gegen den Wallfahrten-Wahn, den Reliquienkult und den Autoritarismus kirchlicher Strukturen.
Franz Schnabel, der große Historiker des Deutschland des 19. Jahrhunderts, faßte Wessenbergs religiöse Vorstellungen so zusammen: Die Ablösung des scholastischen Wissenschaftsbegriffs durch einen rationalistischen Wissenschaftsbegriff, die Errichtung von Kirchenparlamenten in den Diözesen, die Ausbildung des Klerus nach der modernsten Wissenschaft, die Infragestellung des priesterlichen Zölibats, eine Reform der Liturgie, die die Predigt zum „wichtigsten Element der Seelsorge“ machen würde, die Einführung der Messe auf Deutsch und die Eindeutschung des Breviers, der Gesang- und Gebetbücher, Ablehnung von Wallfahrten und Bettelorden sowie eine Reform der Kirchenarchitektur nach protestantischen und puritanischen Gebräuchen, so nüchtern und grau wie möglich. (Für den Hauptaltar waren nur Bilder Christi erlaubt, Heiligenbilder waren zu meiden, außer vielleicht für den Kirchenpatron, doch sollten sie nur auf Seitenaltären zulässig sein „solange diese noch bestehen“) Es gab eine Richtlinie nach der interkonfessionelle Ehen zulässig sein sollten, wobei die Söhne der Konfession des Vaters und die Töchter der der Mutter zu folgen hatten.
Wir sollten uns vor historischen Kurzschlüssen hüten – aber gibt es da nicht eine gewisse Familienähnlichkeit zum aktuellen „Synodalen Weg“?
Ein anderes aufsehenerregendes Beispiel für die „nationale Anziehung“ bildet das Schisma des schlesischen Priesters Johannes Ronge Mitte der 1840er-Jahre. Das war drei Jahrzehnte nach dem Wiener Kongress, Jahrzehnte, in denen sich das deutsche Nationalbewußtsein enorm entwickelt und überentwickelt hatte, während die päpstliche Politik vom Ultramontanismus bestimmt wurde.
Ronge hatte auch noch die „febronianischen“ Tradition im Rücken, die in Schlesien immer noch lebendig war. Im Oktober 1844 verfaßte er einen offenen Brief an den Trierer Erzbischof Arnoldi, in dem er die Verehrung kritisierte, die dieser der berühmten Reliquie des „Heiligen Rockes“ entgegen gebracht hatte, der eine halbe Million Pilger angezogen hatte. Ronge beschuldigte Arnoldi, er habe die unaufgeklärten katholischen Gläubigen bewußt durch „ein unchristliches Schauspiel“ manipuliert um die kirchlichen Kassen zu füllen und die „materielle und geistliche Knechtschaft“ Deutschlands gegenüber Rom zu fördern. Der schlesische Priester sprach damit zwei verschiedene Kreise an, denen er jeweils verschiedene Ziele anbot: Die Rationalisten im katholischen Klerus forderte er auf, sich dem theologischen Konformismus zu widersetzen, und die „deutschen Patrioten, Katholiken wie Protestanten“, die konfessionelle Spaltung Deutschlands zu überwinden. Nach seiner Exkommunikation im Dezember 1844 kündigte er die Gründung einer „romfreien“ deutschkatholischen Kirche an. (s.dazu Todd H. Weir, “Secularism and Religion in Nineteenth Century Germany: The Rise of the Fourth Confession“, Cambridge University Press, 2014)
Wie viele Anhänger Wessenbergs nach 1830 radikalisierte auch Ronge seine politischen und religiösen Ansichten: Er nahm an den Ereignissen um die Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49 teil, und ging dann ins Exil nach England, wo er sich zu einem Vorkämpfer für „Säkularismus“ und Gedankenfreiheit entwickelte.
Das Schisma der Altkatholiken war – selbst wenn ein berühmter Prälat und Historiker wie Ignaz von Dollinger dabei war – eine Bewegung von Professoren und Intellektuellen, die sich 1871 gegen das vom 1. Vatikanischen Konzil am 18. Juli 1870 verkündete Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit gestellt hatten. Nach einem ihrer Anführer, dem großen Kirchenrechtler Johann Friedrich von Schulte, veränderte dieses Dogma das Wesen der Kirche und ihre apostolische Verfassung und bildete eine Bedrohung für die Staaten, da es den Episkopat, den Klerus und die Gläubigen zu blindem Gehorsam verpflichte und somit dem Heiligen Stuhl enorme Möglichkeiten zum Eingriff in ihre inneren Angelegenheiten geben würde. Diese Gefahr wurde im gerade am 18. Januar 1871 neu begründeten Deutschen Kaiserreich besonders stark empfunden, in dem es in vielen Gliedstaaten einflußreiche katholische Kräfte gab und wo eine neue politische Partei, das Zentrum, zum „verlängerten Arm“ des Vatikans in der deutschen Politik zu werden drohte.
So bestanden bei Schulte und den Altkatholiken also nebeneinander dogmatischen und religiöse Bedenken auf der einen und nationale bzw. anti-römische Bedenken auf der anderen Seite. Sie waren in der Illusion befangen, dafür Unterstützung beim deutschen Episkopat zu finden, der sich jedoch mit wenigen Ausnahmen der Mehrheit der „Infallibilisten“ anschloß. Danach suchten die Altkatholiken Ansprechpartner an der Spitze des neuen Reiches, insbesondere in der Person von Fürst Bismarck, und es ist bekannt, daß diese Verbindung eine der Grundlagen für den anschließenden Kulturkampf bildete.
Diese drei Versuche wurden vom Heiligen Stuhl energisch verurteilt, es gab kanonische Verfahren und Exkommunikationen, und sie fanden wenig Gefolgschaft im Klerus und bei den Gläubigen – obwohl die Ronge-Sekte der „Deutschkatholiken“ noch mehrere Jahrzehnte überlebte und die „Altkatholische Kirche“ auch heute noch besteht. Ohne die historischen Parallelen – ich wiederhole mich – zu übertreiben, scheint es doch so, daß der heutige „Synodale Weg“, dessen Radikalität Wessenberg und wahrscheinlich auch die frühen Ronge und Döllinger erstaunt hätte, nun die Deutsche Hierarchie in ihrer Gesamtheit erfaßt hat.
Ich denke, daß die dem heutigen „Synodalen Weg“ zugrunde liegende Philosophie schon vor Jahren von einem so bedeutenden Mann der deutschen Kirche wie Kardinal Walter Kasper zum Ausdruck gebracht worden ist. Ich hatte bereits die Gelegenheit, gegenüber den Lesern von Settino Cielo (http://magister.blogautore.espresso.repubblica.it/2018/04/13/bergoglios-reform-was-written-before-by-martin-luther/) auf eine Tagung zu Luther im Januar 2016 hinzuweisen, auf der vorgeschlagen worden war, die protestantischen Bekenntnisse und die katholische Kirche zu „entkonfessionalisieren“ und zu einer Art von „Status quo ante“ vor dem Ausbruch der Religionsstreitigkeiten im 16. Jahrhundert zurückzukehren. (W. Kasper, “Martin Luther. An ecumenical perspective,” Brescia, Queriniana, 2016). Da eine solche Entkonfessionalisierung im Lutheranischen Bereich bereits in großem Umfang stattgefunden habe, sei es nun an der Katholischen Kirche, sich mit mehr Mut in dieser Richtung zu bewegen. Kasper spricht in diesem Zusammenhang von einer „Wiederentdeckung des ursprünglichen Katholischen, das nicht auf eine konfessionelle Sehweise beschränkt ist“.“ Es ist klar, daß Kaspers Vorschläge an die ganze Kirche gerichtet sind, aber ihre deutschen Wurzeln sind ebenfalls unübersehbar.
Der von der Deutschen Katholischen Hierarchie propagierte „synodale Weg“ liegt exakt auf der Linie dieser „Entkonfessionalisierung“ und damit auch eines Zusammentreffens mit den anderen Elementen des deutschen Christentums. Dahinter stehen zweifellos die theologischen Motive, die Pietro De Marco klar angesprochen hat, aber noch mehr scheint es sich um einen klassischen historischen Prozess der Auszehrung zu gehen. Man hat den Eindruck, daß die klassischen Motive und Begründungen der katholischen Theologie und Ekklesiologie, an die De Marco erinnert, in der großen Mehrheit der Hierarchie und der katholischen Welt Deutschlands niemanden mehr wirklich interessieren. Sie gehen statt dessen eher „politisch“, wie De Marco warnt, als „theologisch“ an die grundlegenden Fragen der Gegenwart, so wie ja auch im allgemeinen katholischen Diskurs das Politische mehr und mehr in den Mittelpunkt rückt. Falls der „Synodale Weg“ fortgesetzt und abgeschlossen wird – was würde dann noch zur Wiederherstellung der religiösen Einheit Deutschlands fehlen – zumindest im Leben der restlichen Gläubigen?
Und was ist mit Rom? „L’intendance suivra!“ („Der Tross folgt nach“) Ich habe den Eindruck, daß das die deutschen Bischöfe der Ansicht sind: Auch Rom mit seinen schweren Lastkähnen wird sich früher oder später dem neuen Kurs anbequemen.
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Diie englische Fassung des Beitrags, den wir hier übersetzt haben, finden Sie im Blog von Sandro Magister.