Heiliger Geist im Alten Bund
- Details
- 20. Mai 2021
Die Kenntnis vom Heiligen Geist gilt gemeinhin als eine der großen Offenbarungen, die das Christentum gegenüber dem Judentum voraus hat. Im neuen Testament erscheint der Heilige Geist von Anfang an als vertraute Gestalt: Bei der Verkündigung Mariens, bei der Taufe Jesu im Jordan, in den Briefen der Apostel. Der Taufbefehl Christi schließt ihn anscheinend ohne besonderen Erklärungsbedarf in die Trinität ein: Tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Alle unsere Gebetshandlungen beginnen und enden mit dieser Anrufung. Daß der Heilige Geist zur hochheitligen Dreifaltigkeit gehört, wissen wahrscheinlich sogar viele „nichtpraktizierende“ Christen, die sonst aus ihren neun oder mehr Jahren Religionsunterricht wenig bis nichts mitbekommen haben.
Damit erschöpft sich aber auch schon für viele „praktizierende“ und gläubige Christen das Wissen um die Dritte Person. Als Geist, dargestellt in schwierigen Bildern wie der Taube vom Jordan oder den Flammenzungen von Pfingsten, erscheint er weitaus weniger zugänglich als der in Menschengestalt auf Erden wandelnde Gottessohn oder selbst als der – durchaus problematisch – in der Gestalt des auf dem höchsten Thron sitzenden Uralten imaginierte Vater. Was den wenigsten Christen bewußt und gegenwärtig ist: daß der Heilige Geist auch schon im Alten Testament eine große Rolle spielt, die freilich in ihrem ganzen Umfang erst aus der Sicht des Neuen Bundes zu erkennen ist. Tatsächlich spricht die heilige Schrift bereits ganz am Anfang, im zweiten Vers des ersten Buches Genesis vom „Geist Gottes“, der über der Tiefe der Finsternis schwebt, bevor dann im dritten Vers ebenfalls das Wort Gottes genannt wird: „Und Gott sprach: Es werde Licht.“ Aus der Heiligen Dreifaltigkeit nimmt alles seinen Anfang.
Warum diese in vielen Passagen des Alten Testaments durchschimmernde Ahnung von der Dreifaltigkeit und deren Person des „Geistes Gottes“ bei den Juden so undeutlich geblieben und später sogar erbittert zurückgewiesen worden ist, hat viele Gründe. Einer davon ist – neben der auch den Christen zu schaffen machenden Tatsache der Geistnatur – der Umstand, daß der Geist Gottes in den alten Büchern unter mehreren verschiedenen Namen und in mehreren Rollen auftritt. Im zitierten Vers aus der Genesis ist das die Bezeichnung „ruah“, die gut mit „Atem“, „Hauch“ oder eben „Geist“ übersetzt werden kann. Ruah ist etwas, das lebt und belebt, die Existenz von Leben anzeigt. Ruah kann sowohl den Geist Gottes als auch den menschlichen Geist bezeichnen. Der Kontext erlaubt hier meistens eine völlig eindeutige Zuordnung. Entgegen einem von interessierter Seite verbreiteten Gerücht ist „ruah“ grammatisch nicht eindeutig weiblich – die hebräische Sprache ist da komplizierter als die deutsche, und die Übersetzung als „Geistin“ hat sprachwissenschaftlich keine überzeugende Grundlage.
Neben „ruah“ gibt es noch mindestens zwei weitere Wörter, die oft als Bezeichnung für den „Geist Gottes“ gelesen werden müssen. Das eine ist „chokmah“, die (ebenfalls göttliche und menschliche) Weisheit, die von den Griechen als „sophia“ bezeichnet wurde. Und ja, chokmah ist grammatisch weiblichen Geschlechts. Dieses Wort hat sich von der hebräischen Bibel und der Septuaginta (der jüdischen Bibel in griechischer Sprache) bis zu den orthodoxen Kirchen namens „Hagia Sophia“ in einem etwas schillernden Bedeutungsspektrum erhalten. Es changiert zwischen der Bezeichnung einer göttlichen Eigenschaft, einer „Emanation“ oder eines Aspekts des Göttlichen, bis zu einer als göttliche Person vorgestellten Wesenheit, die im Christentum (meist) als der Heilige Geist identifiziert wird. Diese Vorstellung ist in den Kirchen des Ostens wesentlich lebendiger als in denen des Westens. Hier ist – wenn überhaupt – bestenfalls aus den Weisheitssprüchen die Stelle aus dem 8. Kapitel (Vers 22-31) bekannt. In der Übersetzung Alliolis:
Der Her hat mich (bei sich) gehabt im Anfang seiner Wege, ehedem er etwas gemacht hat von Anbeginn;
Ich bin eingesetzt von Ewigkeit, von Alters her, bevor die Erde geworden;
Die Tiefen waren noch nicht, und ich war schon geboren, als die Wasserquellen noch nicht hervorbrachen.
Noch standen nicht fest die Berge in gewaltiger Wucht; und vor den Hügeln ward ich geboren;
Noch hatte er die Erde nicht gemacht und nicht die Flüsse und nicht die Angeln des Erdkreises.
Als er den Himmel bereitete, war ich dabei; Als er nach genauem Gesetz einen Kreis zog um die Tiefen.
Als er die Lüfte oben festigte und die Wasserbrunnen abwog, als er rings um das Meer seine Grenze setzte und den Wassern ein Gesetz gab, ihre Grenzen nicht zu überschreiten, als er der Erde ihre Fundamente zuteilte:
Da war ich bei ihm und machte alles und hatte meine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit,
Spielte auf dem Erdkreis, und meine Lust ist, bei den Menschen zu sein.
Wegen des „machte alles“ im vorletzten Vers und in Anlehnung an Johannes 1,1 wird diese Passage von westlichen Kirchenlehrern auch auf Christus gedeutet – die Geheimnisse der Trinität sind schwer zu begreifen.
Eine weiterer Begriff aus dem Alten Testament, der als Vorahnung des Heiligen Geistes verstanden werden kann, ist der„kabod“, die „Herrlichkeit Gottes“, die quasi einen mit den Sinnen wahrnehmbaren Aspekt der sonst den menschlichen Augen unerträglichen Wirklichkeit des Herrn darstellt. In der Tempeltheologie hat kabod auch einen irdischen Sitz: den Raum zwischen den beiden Cherubim-Statuen auf der Bundeslade, der aus einem anderen Blickwinkel auch als „der Schemel Seiner Füße“ betrachtet wird. Eng mit dieser Vorstellung – denn mehr als menschliche Verständniskrücken sind das alles nicht – verbunden ist die Begrifflichkeit der „shechinah“, der „Gegenwart Gottes“. Das Wort als solches kommt im AT zwar nicht vor, wohl aber Ableitungen davon, die den irdischen Wohnsitz des Herrn im Bundeszelt und im Tempel bezeichnen. Erst in der späteren Literatur der Rabbinen wird shechinah direkt als eine der Alternativbezeichnungen für den mit striktem Aussprechverbot belegten Gottesnamen verwandt.
Im Mittelalter greifen Denker der Kabbalah (und das hat nichts mit Magie zu tun) und ihnen in vielem nahestehende christliche Mystiker den Begriff shechina auf, um damit eine in der Welt wirkende Emanation des vor und außerhalb der Welt exisitierenden göttlichen Wesens zu bezeichnen. Wie nahe die einen dabei dem Verständnis vom Wirken des Heiligen Geistes in der Welt kommen bzw. wie weit sich die anderen davon im Ausweichen auf den hebräischen Begriff entfernen, ist mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zu erhellen.
Darum kann es hier aber auch nicht gehen. Worum es geht, ist bewußt zu machen, daß der in der Welt gegenwärtige und handelnde „Geist Gottes“ keine umstürzende Neuerung der christlichen Offenbarung darstellt, sondern in seinen Wurzeln tief in die Offenbarung und den Glauben des Volkes Israel zurückreicht. So tief, daß Joseph, als ihn die Zeichen der Schwangerschaft seiner Verlobten Maria verständlicherweise beunruhigten, seine Zweifel sofort überwand, als der Engel ihm versicherte: „Fürchte dich nicht, Maria als Dein Weib zu Dir zu nehmen, denn was in ihr geworden ist, kommt vom Heiligen Geist“. (Matthäus 1,19) Eine Rückfrage: „Wer soll denn das sein?“ war offensichtlich nicht nötig.
Dabei mag es Joseph zugute gekommen sein, daß er kein Schriftgelehrter war. Wie die oben angeführten Ausschnitte aus der alttestamentlichen Glaubenswelt andeuten, war das Verständnis vom Wesen der göttlichen Personen in dieser Glaubenswelt durchaus nicht einheitlich und widerspruchsfrei. Nähme man noch Begriffe wie „Sohn Gottes“, „der Menschensohn“ oder auch „der Engel des Herrn“ dazu, würden die Inkonsistenzen noch stärker auffallen. Tatsächlich waren in dieser Glaubenswelt nicht nur die Wurzeln oder die Vorgestalten des Glaubens enthalten, die in der Offenbarung Christi ihre Vollendung erfuhren. Hier sind auch bereits viele von den Mißverständnisse und Verkehrungen zu erkennen, die später zu den Häresien des frühen Christentums führten – und die teilweise bis auf den heutigen Tag nicht restlos überwunden worden sind. Bereit zu sein, auf den Heiligen Geist zu hören, ist eine dauernde Aufgabe.