Bereichsnavigation Themen:

Was sagt Karl Rahner zu Traditionis Custodes?

Bild: aus dem zitierten Artikel von LifeSite NewsDas Problem des Gehorsams - ergänzt mit Wortmeldungen von Peter Kwasniewski, Dom Alcuin Reid und Bischof Athanasius Schneider.

Der Erlass des Papstes zum perspektivischen Totalverbot der überlieferten Liturgie stellt schärfer, als wir das bisher erlebt haben, die Frage nach den Grenzen des vom Papst einforderbaren und ihm gebührenden Gehorsam. Unsere progressiven Stiefbrüder im Glauben haben da schon mehr Erfahrung – spätestens seit Veterum Sapientia von 1962, Humanae Vitae von 1968, Evangelium Vitae von 1995, Redemptionis Sacramentum von 2004 und natürlich auch Summorum Pontificum von 2007 haben sie unter dem Schutz der zu ihrer Fraktion gehörenden Bischöfe alles ignoriert oder in sein Gegenteil pervertiert, was nicht in ihren Kurs passte. Dabei haben sie sich auch nicht daran gestört, daß die genannten Dokumente samt und sonders so, wie es dem Papstamt entspricht, nicht etwa Neuigkeiten verordneten, sondern Wahrheiten und Gewissheiten einschärften, die die Kirche seit unvordenklichen Zeiten vertritt. Sie fahren auf Bruch.

Mid Traditionis Custodes sieht das plötzlich anders aus: Das Dokument ist – zumindest für die Neuzeit – im Tonfall von einzigartiger Härte, ja Brutalität, und es versucht, ein Diktat durchzusetzen, mit dem ein Kernelement des Lebens der Kirche, ihre lex orandi von mindestens 1500 Jahren, erst in eine extreme Randposition und dann vollends nach draußen in die Illegalität gedrängt werden soll. Und diejenigen, die an der Tradition hängen, sollen ihm folgen: Geht doch rüber, hier seid ihr nicht willkommen. Und was machen die braven Tradis? Sie zerquälen sich Kopf und Gewissen, ob sie nicht doch verpflichtet sind, dem Papst beim Sprung in den Abgrund zu folgen, oder ob es da nicht vielleicht ein kleines Schlupfloch gäbe, dem tödlichen Gebot zu entrinnen, ohne die ewige Seligkeit (Zwischenruf aus dem progressiven Off: Was ist denn das schon wieder für ein vorkonziliarer Mythos?) zu riskieren.

Die damit aufgeworfenen Fragen werden uns auf Jahre hinaus beschäftigen. Sie können fürs erste nur auf der Ebene persönlicher Gewissensentscheidung handlungsleitend beantwortet werden. Außerdem ist zu unterscheiden zwischen Entscheidungen einzelner Personen und solchen, die Gemeinschaften und Institutionen betreffen – bei letzteren ist es denkbar, daß aus Gründen der Verantwortung für eine größere Gruppe nach kluger Abwägung aller Gegebenheiten und Konsequenzen Entscheidungen getroffen werden, die als Handlungsanweisung für das Gewissen von Einzelnen weniger geeignet sind. Hier öffnet sich ein Spannungsfeld mit zahlreichen Konfliktmöglichkeiten, die nur mit großer Klugheit auf allen Seiten zu bewältigen sein werden.

Der Kern des Problems: Im konservativen Sektor sind vielfach Gehorsamsvorstellungen verbreitet, die sich letztlich an dem von vielen Jesuiten nie überwundenen Prinzip des „Kadavergehorsams“ orientieren.

Hier geht es weiter In einer kritischen Distanz dazu sollen hier vier Positionen referiert, zitiert  oder angedeutet werden, die ihre Wurzeln in der tatsächlichen Praxis des Lebens der Kirche (Apostelkonzil, Theresa von Avila usw.) haben. Sie wurden auf dem zweiten vatikanischen Konzil (Dignitatis humanae zur Gewissensfreiheit) aufgegriffen und – wenn auch manchmal etwas mißverständlich und oft mißverstanden – „verheutigt“. Eine Notwenigkeit dazu erscheint angesichts der Tendenz, „Gehorsam“ zum bloßen Mittel mißbräuchlicher Machtausübung zu pervertieren, durchaus einleuchtend.

Den Anfang machen wir, Ehre wem Ehre gebührt, mit einem Zitat aus dem Werk des Jesuiten Karl Rahner. Es folgen Überlegungen von Peter Kwasniewski, Dom Alcuin Reid und Bischof Athanasius Schneider. (Die Links führen direkt zum entsprechenden Abschnitt)

Rahner zitieren wir unserer amerikanischen Quelle entsprechend zurückübersetzt aus der englischen Ausgabe (Studies in Modern Theology (Herder, 1965, pp. 394-395). Falls uns einer unserer drei rahnergeschulten Leser mit dem Original aushelfen kann, werden wir das gerne austauschen.

Unter der „Kapitelkopfzeile: A Distinction: Legal and Moral Norms“ heißt es da:

Man stelle sich vor, daß der Papst als oberster Hirte der Kirche heute ein Dekret herausgäbe, das alle unierten Kirchen des Nahen Ostens dazu verpflichtete, ihre orientalische Liturgie aufzugeben und den Lateinischen Ritus zu übernehmen. … Der Papst würde mit einem solchen Dekret nicht die Kompetenz seines Jurisdiktionsprimats überschreiten, (und) das Dekret wäre als legal gültig.

Aber wir können auch eine ganz andere Frage stellen: Wäre es dem Papst moralisch erlaubt, ein solches Dekret zu erlassen? Jeder vernünftige Mensch und jeder Christ würde darauf antworten müssen: „Nein“. Jeder Beichtvater des Papstes müßte ihn darauf hinweisen, daß in der konkreten Situation der Kirche von heute ein solches Dekret trotz seiner rechtlichen Gültigkeit sowohl subjektiv als auch objektiv ein äußerst schwerwiegende moralischer Verstoß gegen die Nächstenliebe und gegen die recht verstandene Einheit der Kirche wäre (die keine Uniformität verlangt); ein Verstoß gegen eine Mögliche Wiedervereinigung der Orthodoxen mit der Römisch-Katholischen Kirche usw.. Es wäre eine Todsünde, von der der Papst nur dann losgesprochen werden könnte, wenn er das Konkret wiederriefe.

Aus diesem Beispiel ist der Kern der Sache leicht zu ersehen. Man könnte das in einer theologischen Darlegung noch grundsätzlicher und abstrakter herausarbeiten:

1. Die Ausübung des päpstlichen Jurisdiktionsprimates bleibt auch dann, wenn sie legal geschieht, moralischen Normen unterworfen, denen nicht notwendiger Weise dadurch Genüge getan ist, daß ein bestimmter Gesetzgebungsakt auf legale Weise erfolgt. Selbst ein Gesetzgebungsakt, der die ihm Unterstehenden rechtlich bindet, kann gegen moralische Prinzipien verstoßen.

2. Darauf hinzuweisen und gegen die mögliche Verletzung moralischer Normen durch einen Akt zu protestieren, der diese Normen einhalten muß, bedeutet nicht, die rechtliche Kompetenz des Mannes zu verneinen oder in Frage zu stellen, dem die Jurisdiktion zukommt.

Soweit also Rahner. 

Was diese Ausführungen – die letztlich jedem einigermaßen kirchlich gebildeten Denken einleuchten müssen – für die praktische Bewältigung der gegenwärtigen Situation bedeuten, versucht Peter Kwasniewski in einem langen Artikel auf LifeSiteNews genauer herauszuarbeiten. 

Zunächst unterwirft er die Im Dekret behauptete „Faktenbasis“ einer kritischen Untersuchtung, die zu dem Ergebnis kommt, daß a) sowohl das Verhältnis zwischen altem (1962) und neuem (1970) Missale falsch beschrieben ist, daß b) die gesetzgeberischen Motive Johannes Pauls II. und Benedikts XVI. unzutreffend dargestellt und c) die Sphäre der traditionsverbundenen Gläubigen nicht nur faktenwidrig, sondern geradezu verleumderisch falsch gezeichnet wird.

Zu a) führt er u.a. aus:

Franziskus hat das Motu Proprio Benedikts so gründlich seines theologischen Gehalts entleert, daß man annehmen muß, „seine Gesetzgebung erfolgte auf der Grundlage unvollständiger Argumentationen und falscher Informationen“, wie Christophe Geoffrey es ausdrückt. Der Widerspruch von Franziskus gegenüber seinem Vorgänger fällt ins Auge, denn die Kernaussage von Traditionis Custodes ist: 'Was früheren Generationen groß und heilig war, bleibt für uns nicht heilig und groß, und es kann sehr wohl plötzlich als schädlich angesehen und verboten werden. Es ist keinesfalls unsere Aufgabe, die Reichtümer, die sich in Glauben und Gebet der Kirche entwickelt haben, zu erhalten oder auch nur ihnen einen Platz einzuräumen'. (...)

Wie sollen wir mit solchen Widersprüchen umgehen? Entweder der eine oder der andere Papst ist im Recht, nur einer kann recht haben, denn hier geht es um allgemeine Wahrheiten und nicht um Entscheidungen zum umsichtigen Handeln. Ich will es noch einmal betonen: Es geht hier auch nicht um liturgische Präferenzen, um Gewährung oder Entzug spezieller Genehmigungen; was hier auf dem Spiel steht ist ein theologischer Anspruch hinsichtlich des objektiven Stellenwerts der Monumente unserer liturgischen Überlieferung – und der unterliegt nicht päpstlicher Entscheidung, es sei denn, es würde jetzt die päpstliche Autorität auch dahingehend ausgedehnt, die Vergangenheit umzuschreiben. (…)

Der gesunde Menschenverstand und die Logik zwingen uns zu der Frage: Kann ein Dokument, das auf so vielen Fehlern und Unwahrheiten gründet, rechtliche Wirksamkeit beanspruchen? Wie kann es überhaupt als Gesetz ernst genommen werden? Ein juristisches Instrument verliert seine Wirksamkeit, wenn es auf der Grundlage unzutreffender Voraussetzungen erlassen worden ist. (…)

So, wie Traditionis Custodes voller Irrtümer, Widersprüche und Zweideutigkeiten ist, weckt das Dokument so viele Zweifel, daß gar nicht erkennbar ist, wie man auf dieser Grundlage verantwortlich handeln kann. Wer trotz dieser systembedingten Mängel versucht, sein Handeln daran auszurichten, riskiert es, sich mit Ungerechtigkeit und Leichtfertigkeit gegen die Nächstenliebe und gegen die kirchliche Einheit zu versündigen. Wir müssen mit Sorge feststellen, wie sehr diese neuen Vorgaben sich mit ihren Früchten der Mehrdeutigkeit und der Anarchie in das allgemeine Muster des Pontifikates von Franziskus einfügen“.

So viel aus den Überlegungen von Peter Kwasniewski. Kenner des Kirchenrechtes und seiner Tradition werden hier viele Anhaltspunkte für weitere Überlegungen finden.

Dom Alcuin Reid versucht, dem Problem mit einem kurzen Gleichnis in geradezu biblischer Form beizukommen, das uns in seiner Kürze mindestens ebenso überzeugend erscheint wie der analytische Ansatz Kwasniewskis. Er schreibt:

Ein Sohn, der ungehorsam ist oder noch schlimmeres tut, wird wenn auch murrend den Tadel und die gerechte Strafe seines Vaters hinnehmen. Doch wenn ein Vater von seinem Sohn unter Berufung auf den Gehorsam brutal verlangt, sich auf der Stelle umzubringen, wird und muß er ihm zu Recht widerstehen. Und sollte ein erzürnter Vater nach einem Messer greifen, um seinem Sohn die Schlagadern durchzuschneiden,  kann man ihm mit den Mitteln Widerstand leisten, die der drohenden Gefahr angemessen sind.

Als letzte Stimme soll hier Bischof Schneider mit einer kurzen Stellungnahme zitiert sein, die er bereits vor der Veröffentlichung von Traditionis Costodes am 25. Juni im Zusammenhang mit einer Buchvorstellung in Paris abgegeben hat und die in unter Datum vom 21. Juli auf LifeSiteNews veröffentlicht wurde. Auf eine Frage aus dem Publikum hinsichtlich der damals kursierenden Gerüchte auf eine bevorstehende Abschaffung von Summorum Pontificum antwortete der Bischof:

Zur Zeit sind das nur Vermutungen. Es sieht nicht so aus, als ob der Heilige Stuhl Summorum Pontificum aufheben würde, das halte ich für wenig realistisch, wenig machbar. Aber vielleicht gibt es ein Einschränkung der Anwendung von Summorum Pontificum. Für diesen Fall denke ich, daß Sie, die Gläubigen ebenso wie die Priester, das Recht auf eine Liturgie haben, die die Liturgie fast aller Heiligen und fast aller Zeiten war. Daher ist der Heilige Stuhl in dieser Sache nicht berechtigt, etwas abzuschaffen, das als Erbe der ganzen Kirche gehört. Das wäre ein Mißbrauch, auch wenn ein Bischof das täte.

In diesem Fall können Sie damit fortfahren, die (überlieferte) Messe zu feiern. Das wäre zwar formell ungehorsam, aber Sie wären gehorsam gegenüber der Kirche aller Zeiten und genüber all den Päpsten, die diese Messe gefeiert haben. Und bleiben sie respektvoll dabei,  für ihre Bischöfe und den Papst zu beten. Aber suchen Sie nach Möglichkeiten für Messen in den Katakomben, heimliche Messfeiern im Untergrund. Alles im Geist des „sentire cum ecclesia“, mit Liebe zur Kirche und zu den Seelen. Dann wird das zu einem Dienst an der ganzen Kirche. Die Kirche ist nicht nur die von heute, die Kirche ist die Kirche aller Zeiten.

Soweit also vier Antworten auf die Eingangsfrage, die jede nur Teilaspekte beleuchten und sicher noch keine klares Bild ergeben. Nur soviel ist schon deutlich erkennbar: Mit Kadavergehorsam sollten die Machthaber in Rom nicht rechnen. Dafür sind die Träger der Tradition zu jung und zu lebendig.

Zusätzliche Informationen