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Die Macht der Riten

 

Bild: ScreeShot YouTubeVier Milliarden Menschen, so ist heute zu erfahren, haben gestern die Videobilder von der Beisetzung der verstorbenen englischen Königin Elisabeth II. gesehen. Die wenigsten wohl ganz, und die meisten, weil sie sich ohnehin keinen Promi-Auftritt entgehen lassen oder fasziniert davon waren, wie sich hier vor ihren Augen Mittelalter-Live entfaltete. Nur, daß es eben kein Mittelalter-Spektakel war, kein Rollenspiel, sondern alles in echt – so echt das eben im 21. Jahrhundert noch sein kann. Und das ist nicht wenig.

Wer in die Aufzeichnung der kirchlichen Beisetzungsfeierlichkeiten in der Schloßkirche von Windsor hineinschaute, bekam vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben einen Eindruck von einer feierlichen Liturgie, wie sie über ein Jahrtausend lang die feierlichen Gottesdienste der römischen Kirche und trotz deren Abspaltung auch der anglikanischen Gemeinschaft prägt. Der Gottesdienst in Westminster Abbey war stark von der (heute nur noch fiktiven) Einheit von Staat und Kirche in der englischen Monarchie geprägt, die erste Lesung wurde vorgetragen von der Sekräterin des Commonwealth, die zweite von der soeben erst ins Amt gekommenen Premierministerin seiner Majestät. Dem säkularen Geist erscheint solches überaus befremdlich – nicht wenige Zuschauer mögen es als Provokation empfunden haben.

In Windsor war die Kirche quasi „bei sich“. Der Sarg der Königin, der von der ganzen Familie und den kirchlichen und weltlichen Würdenträgern begleitet wurde, war ein letztes Mal mit den Insignien der Königswürde geschmückt. Diese Insignien wurden am Ende der Zeremonie (im Video ab min 26) von den Verwaltern der königlichen Schatzkammer vom Sarg genommen und dem Dean der Schlosskirche überreicht, der sie feierlich auf dem Altar niederlegte: Die Königin von Gottes Gnaden gibt die Krone in die Hände Gottes zurück – erst dann kann der Sarg mit der sterblichen Hülle in die Gruft zu den anderen vor kürzerer oder längerer Zeit verstorbenen Familienmitgliedern herabgesenkt werden.

Hier geht es weiterDie Beisetzungszeremonie der römisch-deutschen Kaiser aus dem Hause Habsburg kannte ein ähnliches Ritual: Wenn der Sarg des verstorbenen Monarchen zur Beisetzung vor die verschlossene Tür der Kapuzinergruft gebracht wird, beantwortet der Hofmarschall des Kaisers die Frage von drinnen „Wer begehrt Einlaß“ mit einer langen Aufzählung von Standestiteln – und bekommt die Antwort: „Den kennen wir nicht“. Er versucht es ein zweites Mal mit der Aufzählung von Orden und Ehrungen – mit der gleichen Antwort. Erst beim dritten Anlauf, wenn der Hofmarschall nur noch um Öffnung „für einen sündigen Menschen“ bittet – kommt die Antwort: „So bringt ihn herein“. In stark reduziertem Maßstab wurde diese Zeremonie auch 2011 bei der Beisetzung des letzten Kronprinzen Otto durchgeführt – hier im Video.

Auch die Zeremonien des Papsttums gaben diesem Gedanken rituellen Ausdruck – allerdings nicht im Zusammenhang mit der Beisetzung, sondern fast noch sinnfälliger bei der Krönung des Nachfolgers Petri: Beim feierlichen Auszug nach der Krönung wurde die Prozession dreimal von einem Kapuziner aufgehalten, der auf einer Schale eine Handvoll Werg verbrannte und dabei – älteren Regieanwesungen nach mit Grabesstimme – ausrief: „Sic transit gloria mundi“. Hier im Video von der Krönung Johannes XXIII. Mit der angeblich nicht mehr zeitgemäßen Krönungszeremonie wurde auch dieses doch stets zeitgemäße Mahnritual im Rahmen der Liturgiedeform abgeschafft.

Die Entfaltung all solcher „nicht mehr zeitgemäßer" Zeremonien zur Beisetzung der Britischen Königin hat - wohl gerade wegen ihrer Leichtverständlichkeit und überzeitlichen Eingängigkeit - in woken Kreisen beträchtlichen Unwillen ausgelöst. Die nur noch dem Namen nach Katholische Nachrichtenagentur demonstriert in ihrem Artikel auf katholisch.de, daß sie tatsächlich zu jenen inzwischen freilich längst aus der Zeit gefallenen „modernen Menschen der Mitte des 20. Jahrhunderts“ gehört, die Rituale nicht erfassen konnten und wollten. Ausgerechnet eine Publikation aus den generell stark anti-monarchistisch eingestellten USA bringt einen Artikel von Fr. Raymond de Souza, der die Zeremonien angemessen beschreibt und würdigt und dabei ihren Charakter als christliche Verkündigung in einer nicht-christlichen Welt hervorhebt. Inzwischen auch in Deutscher Übersetzung beim Beiboot Petri.

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Links: Einen längeren und mehr in die Tiefe gehenden Beitrag zum Thema „Macht und Notwendigkeit von Riten“ fanden wir inzwischen im Crisis-Magazine.

Interessant auch The Necessity of Ritual and Ceremony in the Modern World im Catholic World Report.

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