Ist der Novus Ordo illegitim oder gar illegal?
17. OKTOBER 2024
Papst Paul VI. bei der ersten öffentlichen Papstmesse ‚ad populum‘
„Kein Papst hat die Autorität, das zu tun, was Paul VI. getan hat, und kein Ergebnis solchen Mißbrauchs der Autorität kann Recht setzen oder rechtliche Bindewirkung haben. Kein Papst hat das Recht, sich selbst zum Richter über die gesamte kirchliche Tradition aufzuschwingen. Daher ist die Schaffung eines neuen Ritus nicht rechtmäßig (illicit). Ein derart zusammengebastelter (fabricated) Ritus kann nicht im Gewissen bindend sein, weil es schon falsch war, ihn überhaupt herzustellen.
Das ist die Hauptthese eines Beitrages von Peter Kwasniewski, den er selbst als einen der wichtigsten Artikel seiner bisherigen Publikationsgeschichte bezeichnet und den wir in zwei Folgen (Teil 1 ; Teil 2) Ende September/Anfang Oktober hier in Übersetzung veröffentlicht haben.
Bei der Veröffentlichung dieses Vortrages hatten wir angekündigt, uns mit dieser Zentralthese näher beschäftigen zu wollen – fangen wir damit an. Unsere Beschäftigung erfolgt dabei nicht aus der Position eines Rechtsgelehrten, der wir – ebenso wie Kwasniewski – nicht sind, sondern aus der Sicht eines Mitglieds der Kirche Christi, das – ebenso wie Kwasniewski – mit Sorge und Schmerz die Verheerungen wahrnimmt, die im Zeichen des Novus Ordo über die Kirche gekommen sind.
Zunächst einige Klärungen zum Wortgebrauch. Kwanieski schreibt, der NO sei „illicit“, und das erklärt er im Unterschied zu „invalid“ als „lawless, illegal“ – was wir im Deutschen mehr als „rechtswidrig“ denn als „illegitim“ verstehen würden. Das Englische bevorzugt für „illegitim“ das Wort „illegitimate“, das Kwasniewski allerdings nicht verwendet. Trotzdem haben wir sein starkes „illicit“ im Deutschen mit dem schwächeren „illegitim“ wiedergegeben, weil Englisch und Deutsch hier – wie so oft – nicht eins zu eins übereinstimmen er selbst zwischen den Bedeutungsgraden zu schwanken scheint. Illegal ist im Deutschen eine Handlung, die gegen bestehendes Gesetz verstößt und dazu auf Gesetze und Paragraphen verweisen kann, die diesen Verstoß belegen sollen. Dabei sind dann immer noch Meinungsverschiedenheiten über den genauen Inhalt und Geltungsbereich der Paragraphen möglich, aber „illegal“ behauptet zumindest Eindeutigkeit und Klarheit. Als „illegitim“ bezeichnet das Deutsche eine Handlung, die gegen ungeschriebenes Gesetz, gegen Treu und Glauben, gegen Gewohnheit und Herkommen verstößt. Dazu braucht man keinen Paragraphen – und dementsprechend gibt es viel Interpretationsspielraum.
Dem Papst „illegales“ Verhalten vorzuwerfen ist nach der Rechtsordnung der Kirche, so wie unsereins sie versteht, nur sehr schwer möglich – das gilt äußerstenfalls bei Gesetzen und Geboten, deren unmittelbare göttliche Einsetzung und Geltung von niemandem bestritten werden kann. Das dürfte in Fragen des Regierungshandelns eines Papstes nicht so leicht darzulegen sein. Ansonsten gilt: Der Papst ist als oberster Gesetzgeber der Kirche an keine Gesetze gebunden – sein Handeln ist – wenige Ausnahmen wie Mord und Totschlag abgesehen – per se gesetzmäßig, kann sogar Recht setzen. Franziskus nutzt den mit dieser Lage gegebenen Spielraum weidlich aus. So hat er z.B. kurz nach seinem Amtsantritt die entsprechenden rechtlichen Vorgaben dahingehend geändert, daß die gründonnerstägliche Fußwaschung nicht nur an Männern, sondern an Gläubigen beiderlei Geschlechts aus der Gemeinde vollzogen werden kann. Die Klugheit dieser Gesetzesänderung kann man bezweifeln – aber sie ist keinesfalls illegal und sehr wahrscheinlich auch nicht illegitim. Niemand, der diesem Gesetz folgt, begeht damit eine Sünde – und wer die Befolgung aus Gewissensgründen vermeidet, wahrscheinlich auch nicht, aber insbesondere für Priester ist das mit dem Gehorsam eine schwierige Sache, und Obere sollten es vermeiden, sie in Grauzonen zu verführen.
Doch bereits am dieser Gesetzesänderung folgenden Gründonnerstag verstießen Seine Heiligkeit selbst gegen die gerade von ihm erlassene Ordnung, indem er bei einem seiner a-liturgischen Gefängnisbesuche unter anderen dort einsitzenden Kriminellen auch einer mohammedanischen Frau die Füße wusch. Natürlich hätte er seine Vorgaben entsprechend formulieren lassen können – etwa indem die Anordnungen den Kreis der Teilnehmer an der Waschung nicht auf die Angehörigen der gläubigen Gemeinde begrenzt hätte. Aber selbst zu einer solchen Anerkennung der Gültigkeit eines Kirchengesetzes auch für den Papst war dieser Mann in seiner Selbstherlichkeit nicht bereit: Er sieht sich als über dem Gesetz stehend. Soweit unsereins das mitbekommen hat, wurde dieser Umstand zwar von einigen Beobachtern mit Stirnrunzeln wahrgenommen, aber nicht wirklich skandalisiert: Offenbar können Katholiken mit und ohne kirchenrechtliches Studium es zumindest hinnehmen, wenn der Papst beansprucht, über dem Gesetz zu stehen, so wie einst der Sonnenkönig Ludwig XIV. Merkwürdigerweise scheinen auch die Mohammedaner, nach deren Rechtsordnung ein Mann mit den Füßen einer fremden Frau nun wirklich nichts zu schaffen hat, dem Vorgang keine besondere Beachtung geschenkt zu haben – aber das soll nicht unsere Sorge sein.
Wenn aber die dem Wortlaut des kirchlichen Gesetzes widersprechende und dem Anschein nach rechtswidrige Fußwaschung vom Gründonnerstag hinzunehmen ist und hingenommen wird – wie kann man dann die per Apostolischer Konstitution in feierlicher Form zum Gesetz erhobene und verkündete Liturgie des Novus Ordo für „illicit“ zumindest im Sinne von „illegitim“ halten? Tatsächlich fällt es uns schwer, Kwasniewski darin „aufs Wort“ zu folgen – zumal mit der Gegenüberstellung von „rechtswidrig“ auf der einen Seite und „rechtsgültig“ bzw. „sakramental wirksam“ auf der anderen eine Schar von Problemen angesprochen wird, denen wir lieber nicht ins Auge blicken wollen...
Nach unserem gegenwärtigen Verständnis entstehen daraus, daß man den Novus Ordo für „illegale“ oder „illegitim“ erklärt, mehr Probleme, als dadurch gelöst werden. Die Kirche, und wenn man die gültig die Sakramente verwaltenden Ostkirchen mit in den Blick nimmt, die apostolischen Kirchen in ihrer Gesamtheit, haben eine große Zahl von Riten für Vollzug und Spendung der Sakramente hervorgebracht, die zum Teil sehr unterschiedlich ausfallen. Einige sind in ihrem Kulturraum „organisch“ gewachsen, andere gehen auf Anordnungen kirchlicher oder staatlicher Autoritäten zurück, die eher willkürlich oder politisch bedingt erscheinen. Dennoch wird ihre Legitimität soweit von hier aus zu sehen in aller Regel nicht angezweifelt. Wenn das so ist, kann auch eine so wenig erhebende (und wie sich inzwischen herausgestellt hat der geistigen Nährung der Gläubigen so wenig förderliche) Form wie das Missale Pauls VI. einen Platz in dieser Reihe „legitimer“ Sakramentenordnungen und Liturgien finden.
Damit ist Kritik an dieser Form, auch sehr ernsthafte und ins Grundsätzliche gehende, keineswegs ausgeschlossen. Aus unserer Sicht stehen dabei zwei Kritikpunkte ganz vorne. Der eine ist die Bezeichnung des im Messbuch von 1969 niedergelegten Ritus als „lateinischer/römischer Ritus“ und der zweite die daraus abgeleitete Behauptung, dieses Kunstprodukt sei der, ja sogar der einzig zulässige Ritus der lateinischen Kirche. Das ist offenkundiger Unsinn, wenn nicht sogar Ausdruck böser Absichten. Aber reicht das, um dem Novus Ordo die Legalität und Legitimität insgesamt abzusprechen?
In einem weiteren Beitrag wollen wir versuche, diese Frage ausführlicher zu diskutieren. Dazu soviel vorweg: Die Rechtmäßigkeit des Novus Ordo als eine mögliche Form der Eucharistiefeier in der römischen Kirche ist u. E. schwer zu bestreiten. Man kann jedoch sehr wohl bestreiten daß er eine begrüßenswerte Weiterentwicklung und eine positive Frucht der Geschichte des römischen Ritus darstellt. Er ist, gerade so wie Kwasniewskis das abgeleitet hat, eine Neuerfindung aus dem Geist der Moderne. Aber auch das macht ihn noch nicht von vornherein illegitim. Als illegitim und möglicherweise sogar tatsächlich rechtswidrig erscheint es, diesen Ritus als verpflichtend für alle Angehörigen der lateinischen Kirche vorzuschreiben oder gar zu versuchen, andere ihm vorausgehende Riten „abzuschaffen“. Jeder dahingehende Versuch wäre rechtswidrig und kann weder Laien noch Priester binden. Das scheinen sogar Paul VI. und auch Franziskus einzugestehen, wenn sie zumindest bisher alles vermieden haben, den Ritus nach dem hl. Papst Gregor offiziell „abzuschaffen“ und in aller Form zu verbieten, und sich darauf beschränken, dieses Ziel mit disziplinarischen und administrativen Maßnahmen zu erreichen. Maßnahmen, die letztlich aber als ebenso rechtswidrig gelten müssen wie die formelle „Abschaffung“, zu der den liturgischen Revolutionären der Mut fehlt.
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