Der Zölibat: unverzichtbar und unaufhebbar
08. September 2025
Von P. Joachim Heimerl von Heimthal
Zwei große Lehrer und Verteidiger der Tradition: Die Kardinäle Sarah und Stickler
Die Kampfansage kirchlicher Reformatoren gilt schon immer dem Zölibat. Dies hat sich seit Luthers Zeiten nicht verändert und dies gilt insbesondere in der Zeit des Synodalen Irrwegs, den die Kirche beschritten hat: Der Zölibat muss fallen und dies um jeden Preis, darum geht es in erster Linie.
Wo der katholische Glaube schwindet, da schwindet zuallererst immer auch die Akzeptanz der Priester und des Zölibats; wer sich von Christus entfernt, der entfernt sich ganz zwangsläufig auch vom Verständnis der Lebensweise, die ER uns vorgelebt hat. Die „Ehelosigkeit um des Himmelreichs willen“ (Mt 19,12) erscheint dann nur nur noch als überkommenes Beiwerk, nicht mehr als ein Kernmotiv des Evangeliums und der Verkündigung der Apostel (1. Kor 7,7). Als bloßes „Gesetz“ sei der Zölibat demnach längst Makulatur; zwar sei er dem Priestertum „angemessen“, aber im Grunde ein museales Relikt. Stattdessen sollen verheiratete Priester her.
All diese Tendenzen hat Kardinal Alfons Maria Stickler (1910-2007) in seinem vielbeachteten Buch „Der Klerikerzölibat“ schon 1993 beschrieben.
Stickler macht darin sehr deutlich klar, dass der Zölibat eben nie nur ein schales Gesetz gewesen ist, das man jederzeit ebenso beliebig abschaffen könnte, wie man es einmal eingeführt hat; im Gegenteil: Die Enthaltsamkeit der Kleriker geht, wie Stickler zeigt, in der mündlichen Tradition bis auf die Apostel zurück und wurde bereits in der frühen Kirche selbstverständlich von allen Geistlichen erwartet. Freilich waren die meist verheiratet; das änderte aber nichts daran, dass sie von der Weihe an, mit ihren Frauen nicht mehr verkehren durften; sie sollten sie fortan wie eine Schwester lieben. Diese Praxis führt Stickler überzeugend auf 1. Kor. 9 zurück und weist auf die entsprechenden Beschlüsse der Konzile von Tours (461), Gerona (517) und Auvergne (535) hin. Vor allem aber macht er klar, dass es beim Zölibat um viel mehr geht als um einen äußeren Verzicht oder eine rigorose Praxis: Es geht um Christus und mit ihm um das Priestertum des Neuen Bundes; es geht - kurz gesagt - um alles oder nichts; wo der Glaube an Christus stirbt, schreibt Stickler, da „stirbt auch die Enthaltsamkeit“, und wo Häresien und Schismen auftreten, tritt als Vorbote immer die Abschaffung des Zölibats auf. Dies war während der Reformation bei Protestanten, Calvinisten, Zwinglianern und Anglikanern zu sehen - heute sieht man es bei den deutschen „Synodalen“ und ihren Anhängern in aller Welt.
In der Tat ist der Zölibat zu einem Gradmesser der Treue zur Kirche geworden, und weil es dabei im Letzten um Christus geht, hat die Kirche stets an ihm festgehalten, dies auch in schweren Zeiten, und sicher in schwereren als heute. Als Beispiel nennt Stickler die Situation der Kirche in Frankreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Während der Revoluion verheiratete Priester mussten damals entweder ihre (ungültige) Ehe aufgeben oder wurden aus dem kirchlichen Dienst entfernt. Auf einen komfortableren Mittelweg, den man heute vorschlagen würde, ließ man sich stattdessen niemals ein. Es gab keine Zugeständnisse an die Welt; nicht wenn es um das Heiligste geht und um diejenigen, die es vermitteln.
Niemand aber hält über Jahrhunderte lediglich an einem schnöden Beiwerk fest oder an einem beliebigen Gesetz, und dies schon gar nicht, wenn es in der Welt permanent auf Ablehnung stößt. Auch diese Ablehnung aber kommt letztlich von Christus her und ist wie SEIN Gütesiegel: Wie die Welt IHN schon immer abgelehnt hat, lehnt sie auch diejenigen ab, die ihm in seiner Lebensform folgen und die ihm als seine Priester sakramental verbunden sind.
Heute ist diese Ablehnung in der Gesellschaft ohne Zweifel dramatisch spürbar, und inzwischen hat sie sogar die Kirche erfasst, denn selbst hier steht der Zölibat mittlerweile unter dauerndem Beschuss: Bischöfe wie Priester sind zu Verrätern an der priesterlichen Lebensform geworden, man darf sogar sagen: zu Verrätern Christi, zu Verrätern dessen, dem sie in der Weihe gleichgestaltet worden sind und dessen zölibatäres Leben sie teilen sollen. - Gerade der Zölibat weist ja mit Christus auf das innerste Wesen des Priestertums hin: Der Priester ist in einer sakramentalen und ontologischen Einheit mit Christus verbunden, und weil das so ist, ist das Priestertum niemals auf eine äußere Funktion beschränkt. Es ist nicht ein „Beruf“ wie jeder andere, sondern eine heilige Berufung; vor allem aber erfasst es den ganzen Mann. Stickler schreibt, es erfasst ihn, „was sein Inneres und Äußeres angeht, und was seinen Dienst betrifft. Christus will von seinem Priester Seele, Herz und Leib und in seiner gesamten Tätigkeit die Reinheit und die Enthaltsamkeit als Zeugnis dafür, dass er nicht mehr nach dem Fleisch, sondern nach dem Geiste lebt (Röm 8,8).“
Priester zu sein, ist keine halbe Sache, und wer sich selbst nicht opfert, kann nie das Opfer Christi vollziehen. Stickler nennt dies ganz klar das „andauernde Opferleben“ des Priesters, das heute so wenig verstanden wird wie der Opfercharakter der heiligen Messe. Mit dem levitischen Priestertum des Alten Bundes, das eine kultische, nur auf die Zeit des Tempeldienstes begrenzte Enthaltsamkeit praktizierte, hat dieses neutestamentliche Priestertum nichts mehr zu tun; es überragt jenes, wie Stickler sagt, „dem ganzen Wesen nach“.
Nirgends wird dies äußerlich sichtbarer als wiederum am Zölibat und gerade deshalb wird er so nachhaltig bekämpft. Immer, wenn es um den Zölibat geht, geht es ja stets nur um die gleiche Frage, nämlich um die, ob er nicht endlich aufgehoben oder wenigstens aufgeweicht werden könne. Der vorgebliche Priestermangel mache dies notwendig, auch wenn der in Wahrheit aus dem eklatanten Mangel an Gläubigen resultiert. Stickler wiederum antwortet auf diese Frage mit einer Gegenfrage, die kaum einen Spielraum offen lässt: „Angesichts der auch vom offiziellen Lehramt der Kirche bestätigten und vertieften Theologie des neutestamentlichen Priestertums dürfen wir uns fragen, ob die Gründe für den Zölibat tatsächlich nur für eine 'Angemessenheit' sprechen, oder ob er nicht doch notwendig und unverzichtbar ist, ob nicht doch ein Junktim zwischen beiden besteht.“
Dieses „Junktim“, von dem Stickler spricht, ist in der Apostolischen Tradition und letztlich in Christus begründet. Dass die lateinische Kirche dieses Junktim bewahrt hat, zeichnet sie als „katholisch und apostolisch“ aus; man könnte sagen: Es ist ihr „Markenkern“ und deshalb unverzichtbar. Zudem könnte die Kirche hier niemals gegen ihr Herkommen von den Aposteln handeln. Und selbst wenn sie in Ausnahmefällen verheirateten Männern die Priesterweihe spendet, wäre gerade in diesen Fällen die Praxis der ehelichen Enthaltsamkeit wiederzuentdecken und in ihrer Notwendigkeit deutlich zu machen. Ohne das Opfer der Ganzhingabe an Christus kann niemand ein Leben als Priester führen. Kardinal Stickler zeigt dies quer zum heutigen Mainstream auf, und genau dies macht sein Buch noch immer so erfrischend und aktuell.
Das gilt ebenso für das Buch, das Kardinal Robert Sarah 2019 über das Priestertum und den Zölibat verfasst hat, und das einen letzten, großartigen Aufsatz von Benedikt XVI. enthält: „Das katholische Priestertum“.
Dass dieses Thema eine Herzensangelegenheit des verstorbenen Papstes wie des Kardinals ist, merkt man dem Buch keineswegs nur am Titel an; es ist insgesamt „Aus der Tiefe des Herzens“ geschrieben, und zwar aus einem Herzen, das für Gott, die Kirche und das Priestertum glüht; Dementsprechend hat es der Kardinal „den Priestern der Welt“ gewidmet.
Hirten wie Kardinal Sarah sind rar geworden, besonders in Deutschland, wo sich die Bischöfe unter der Führung Bischofs Bätzings selbst demontieren, vom Priestertum und dem Zölibat ganz zu schweigen.
Dabei brauchen gerade Priester und Priesterkandidaten Bischöfe, die sie väterlich im zölibatären Leben bestärken und dieses entsprechend wertschätzen. Bischöfe, die wie Kardinal Marx den Zölibat als „prekär“ bezeichnen und von dieser Lebensform abraten, braucht dagegen niemand. - Wo solche Bischöfe amtieren, bleibt konsequent der Nachwuchs aus.
Während man in Deutschland das kirchliche Lehramt inzwischen aufgegeben hat, vermittelt Sarah die Schätze der kirchlichen Überlieferung und den ganzen Reichtum der Tradition. Er tut dies zudem mit aller Frische und jeder spürt: Es ist die Wahrheit Gottes, die aus ihm spricht, nicht die kleingeistige Verzwergung, die eine „synodale Kirche“ als neue „Offenbarung“ verkündet.
Wenn es Bücher gibt, die auf den Knien geschrieben sind, dann sind es gewiss die von Kardinal Sarah. Man merkt ihnen an, dass sich der Verfasser Zeit genommen und sich dem Heiligen Geist geöffnet hat, ehe er zu schreiben begann, und Sarah selbst benennt dies als die eigentliche Methodik seines Schreibens. Auch dies ist wieder eine andere Haltung als in Deutschland und sie durchzieht den ganzen Text. - Wenn es in der zermürbenden Diskussion um den Zölibat eine geistliche Oase für Priester gibt und für jene, die es werden wollen, dann ist es sicher dieses Buch.
Wie vor ihm schon Kardinal Stickler führt auch Sarah den Zölibat auf die Praxis der alten Kirche und der Apostel zurück. Und wie Stickler unterstreicht Sarah, dass die Kirche eben nie aufheben kann, was ihr von den Aposteln überliefert ist. Dabei geht es beim Zölibat nicht um ein starres Gesetz, noch dazu um eins, das womöglich überflüssig wäre; es geht um viel mehr. Und dieses „mehr“ stellt Sarah klar heraus; Es geht um Liebe. Das schreibt er so einfach und so klar, wie es der heilige Pfarrer von Ars gesagt hat, den Sarah gleich zu Anfang zitiert: „Das Priestertum ist (…) die Liebe zum Herzen Jesu“.
Vermutlich ist dies der einzige Grund, aus dem man Priester wird und weshalb man sich für den Zölibat entscheidet: Es geht um eine Beziehung, die der Ehe ähnlich ist, um eine Liebesbeziehung mit Jesus, darum „bis zum Äußersten zu lieben“, so wie Jesus uns geliebt hat. Ohne Liebe gibt es kein Weihesakrament, so wenig, wie es ohne sie das Ehesakrament geben könnte. Beide Sakramente entsprechen sich im Sinne eine „echten Analogie“ und gipfeln in nichts weniger als in „totaler Hingabe“. Schon aus diesem Grunde schließen sich Ehe und Weihe aus; eine doppelte Totalität gibt es eben nicht und selbst wenn es sie gäbe, wäre sie wenig glaubwürdig.
Natürlich weiß Sarah, dass es in Ausnahmefällen auch verheiratete Priester gibt und erst recht, dass diese gültig geweiht sind. Aber darum es geht ihm nicht. Worum es ihm geht, ist das Ideal des Priestertums. Es geht ihm um die kostbare Perle, um den Schatz im Acker (vgl. Mt 13,45f.), kurz um das, was man niemals als heilige Norm des katholischen Priestertums aufgeben darf.
Nach Sarah kann man so nie vom Zölibat sprechen, ohne von der Liebe zu sprechen. Das ist so ungemein erfrischend, wie es zutiefst wahr ist. Ohne Liebe kann man das Priestertum nicht verstehen, denn der Priester ist, wie Sarah schreibt, vor allem eins: Er ist ein Liebender. Und er ist sogar noch mehr. Er ist ein Bräutigam und steht als solcher mit Christus der Kirche gegenüber.
Diese „bräutliche Berufung“ des Priesters „umfasst einen Ruf zur gänzlichen und ausschließlichen Hingabe nach dem Vorbild der Hingabe Jesu am Kreuz.“ Nur der Zölibat aber gibt dem „Priester die Möglichkeit, in diese authentische Berufung als Bräutigam einzutreten“, die nach dem Vorbild Jesu zugleich eine „eucharistische Form des Lebens“ ist. Sarah schreibt: „Der Zölibat entspricht dem eucharistischen Opfer des Herrn, der aus Liebe seinen Leib ein für allemal hingegeben hat, bis zur äußersten Hingabe, und vom Berufenen eine ähnliche Antwort verlangt, nämliche eine absolute, unwiderrufliche und bedingungslose.“
Man merkt Sarah an, dass er all dies mit dem Herzen eines Liebenden schreibt und genau das gibt dem Ganzen nur umso größere Tiefe. Umgekehrt zeigt Sarah aber auch, dass die Liebe überall dort abhanden gekommen ist, wo man das Priestertum ebenso in Frage stellt wie den Zölibat: Wo die Liebe kein Argument mehr ist, ist der Geist Gottes verschwunden. Wer den Zölibat aufheben will, hat in Wahrheit schon lange die Liebe aufgehoben.
Sarahs Plädoyer für den Zölibat ist dagegen ein Plädoyer für ein „radikal evangeliumsgemäßes Priestertum“, das nur eine Logik kennt: Die Logik der Selbstentäußerung, die wieder in Christus ihr Vorbild hat. Diese Logik, „die den Zölibat nach sich zieht, muss bis zum Gehorsam und zum Verzicht in der Armut gehen.“ Ohne diese Logik der „evangelischen Räte“ gibt es kein Priestertum, erst recht nicht im reichen Deutschland, und gerade dort wäre man gut beraten, auf die Stimme eines afrikanischen Kardinals zu hören, dem die verbürgerlichte, reiche und kränkelnde Kirche unserer Breiten immer fremd geblieben ist.
Am Ende seines Buches erinnert Kardinal Sarah daran, dass auch das Zweite Vatikanum festgestellt hat, dass der Zölibat keineswegs nur eine simple Vorschrift des kirchlichen Rechts, sondern eine „kostbare Gabe Gottes“ sei. Zwischen dem Priestertum und dem Zölibat sieht er wie vor ihm schon Kardinal Stickler eine „ontologisch-sakramentale Verbindung. Aus diesem Grund hat die Kirche den Zölibat schon immer als die dem Priestertum höchst angemessene Lebensform betrachtet, deren tiefster Grund die Übereinstimmung des priesterlichen Lebens mit der Lebensform Christi ist. Jede Abschwächung des Zölibats wäre deshalb, wie Sarah schreibt, „eine Infragestellung des Lehramts des letzten Konzils und der Päpste Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI.“
Der Zölibat bleibt, was er seit der Zeit der Apostel gewesen ist: unverzichtbar und unaufhebbar!
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