Summorum Pontificum.de

In der Grauzone zwischen den Stuhlkreisen

21. Oktober 2023

6 - Kirchenkrise

Blick in den als Konzilsaula hergerichteten Petersdom - kolorierter Metallstich.

Das I. Vatikanum - ein vielfach unverstandenes und mißdeutetes Ereignis.

Während in Rom die diesjährige Staffel von „Stuhlkreis über Stuhlkreise“ ihrem Ende zueilt, spitzen sich „vor Ort“ die Auseinandersetzungen über die von Franziskus beabsichtigte Neuerfindung der Kirche zu. Das gilt für die USA, wo die große Gruppe der glaubenstreuen Bischöfe sich von den „Mein Papst ist mein Erlöser“-Jublern nicht das Wort verbieten lassen. Das gilt aber auch für Deutschland, wo insbesondere Kardinal Müller, dessen Stimme als ehemaliger Präfekt der inzwischen umbenannten und „umgedrehten“ Glaubenskongregation besonderes Gewicht hat, nicht müde wird, in deutlichen Worten über die Neuerfindungen zu urteilen.

Glücklicherweise ist er nicht der einzige im deutschen Sprachraum. In einem über mehrere Internet-Medien verbreiteten Artikel hat der frühere Churer Weihbischof Marian Eleganti Schwachstellen im Denken der Neuerfinder deutlich herausgearbeitet.

Sein Ausgangspunkt sind die Schon-Nicht-Mehr-Zweideutigkeiten der Antwort, die Victor Fernández im Namen des Papstes auf die Dubia von Kardinal Duka bezüglich der Kommunionspendung an „wiederverheiratete Geschiedene“ gegeben hat. Danach gibt es keinen verbindlichen Begriff von Sünde mehr, sondern nur noch seitens des Einzelnen selbst als „nicht in Ordnung“ empfundene Handlungen und Verhaltensweisen – der in der Offenbarung geäußerte Wille des Herrn wird ersetzt durch subjektive Befindlichkeiten. Mit scharfen Worten kritisiert Eleganti den Widerspruch, daß der Papst jede Hierarchie und Vollmacht durch (angebliche) Demokratisierung „pulverisieren“ will, während er gleichzeitig für sich alle denkbaren und auch bisher undenkbaren Vollmachten beansprucht:

Es begint ein Zitat

Allein das Handeln des aktuellen Papstes hebt sich in seiner nie dagewesenen autokratischen Ausübung, die vor nichts Halt macht und in allen Bereichen (Lehre; Leitung; Personalführung; Gerichtsbarkeit) von diesem neuen, synodalen Stil abrückt, krass ab. Ja, es widerspricht ihm fundamental, ohne dass jemand es merkt, der «Synodalität» als neue Zauberformel ständig im Munde führt und bei jeder Gelegenheit in Berufung auf das sog. «neue Lehramt (nicht aber Beispiel) von Franziskus» anmahnt.

Den deutschen Progressiven geht diese zunehmend klare Sprache des Widerspruchs erkennbar auf die Nerven. In einer am 19. 10. veröffentlichten Replik auf ein Presse-Interview von Kardinal Müller, in dem der Kardinal ein weiteres Mal seine Meinung zum Missmanagement der Kirche äußerte, fährt Lüdecke schweres Geschütz auf: Er bezeichnet Müller als „desorientiert“, beschuldigt ihn der „Gehorsamsverweigerung“ und empfiehlt wohl nicht nur ihm, alle, grundsätzlich alle, Maßnahmen und Ausführungen des Papstes „kniend“ und als „grundkatholische Demutsübung“ entgegenzunehmen.

Der emeritierte Kirchenrechtler der Uni Bonn macht sich dabei die neuerdings verunklarte Differenzierung zwischen Amt und Weihevollmacht zunutze, um die geistige und sakramentale Dimension dessen, was kirchliche Ämter eigentlich bedeuten und welchen Inhalt sie haben, völlig auszublenden. Er sieht nur die Amtsvollmacht, und das führt ihn – durchaus abweichend von seinen deutschkatholischen Mitreformern – nicht in die demokratistische Verirrung, sondern in den gegenüberliegenden Abgrund, einen geradezu archaisch anmutenden Autoritarismus. Dieser Papst darf und kann alles, er ist an keine Regeln und Gesetze gebunden, noch nicht einmal an die eigenen Gesetze. Der überdrehte Rechtspositivist Lüdecke wörtlich:

Es begint ein Zitat

der Papst als höchster Hirte der Kirche (kann) seine Amtsvollmacht zudem sehr wohl und jederzeit "nach Gutdünken" (ad placitum) ausüben.“

Diese Sorte Papst erscheint quasi als ein Gott in Menschengestalt – doch das wäre dann nicht der Gott Christi, der gekommen ist, nicht um das Gesetz außer Kraft zu setzen, sondern um es zu erfüllen.

Nun hat das Erste Vatikanum dem Papst tatsächlich eine überaus starke Position zugeschrieben, aber was sowohl die darauf gerichtete Kritik am Konzil von 1870 als auch die Ausbeuter von dessen Fehlinterpretationen wie Lüdecke gerne übersehen: Noch weitaus stärker, als wir das heute nachempfinden können, geht das erste Vatikanum von der Voraussetzungen aus, daß es eine verbindliche Lehre der Kirche gibt, die alle bindet – den Papst eingeschlossen – und daß diese Lehre, so wie sie von Christus offenbart und in der Tradition mit immer tieferem Verständnis ausgedeutet worden ist, auch nicht von einem Papst oder einer Bischofsversammlung „geändert“ werden kann.

Dabei beschränkt sich dieser jeder Willkür und jeder Abstimmung entzogene Bestand nicht nur auf die Grundelemente der Lehre von den 10 Geboten oder von den Sakramenten. Diesen „Bestandsschutz“ genießt – unter anderen – in hohem Maße auch das Verständnis des Zusammenhanges zwischen Weihe- und Amtsgewalt, zwischen munus und officium, wie es sich in der Kirche – nicht ohne Widersprüche und gelegentliche Verirrungen – auf der Grundlage von Schrift und Tradition entwickelt hat. Die Verleihung oder die Ausübung eines Amtes mit dem Ziel, diesen Grundbestand abzuschaffen oder zu verändern, war für die Väter des Ersten Vatikanums (und wohl auch noch für die Verfasser der codices von 1917 und selbst 1983) so unvorstellbar, daß sie dessen Möglichkeit in ihrem Paragraphenwerk nicht berücksichtigt haben.

Nun, das hat sich – und darauf haben Leute wie Lüdecke schließlich ein Leben lang hingearbeitet – inzwischen weitgehend geändert. Es ist eine breite „Grauzone“ entstanden, die dann wiederum von eben diesen Leuten nach Kräften ausgenutzt wird, um ihre jeweiligen Vorhaben nach Kräften voranzutreiben.

In seiner oben angesprochenen Kritik an der Antwort der vatikanischen Machthaber auf die Dubia von Kardinal Duka bringt Kardinal Müller die Gebundenheit des Papstes an den ihm von Christus erteilten Auftrag, die ihm nicht nur in seinem Lehr-, sondern auch in seinem Leitungsamt das Handeln „nach Gutdünken“ verbietet, in klaren Worten zum Ausdruck:

Es begint ein langes Zitat

In der gesamten Lehrtradition und insbesondere in Lumen gentium 25 bezieht sich diese Zustimmung auf die Glaubens- und Morallehre, die die Gesamtheit der offenbarten Wahrheit widerspiegelt und garantiert. Die Privatmeinungen von Päpsten und Bischöfen sind vom Lehramt ausdrücklich ausgeschlossen. Darüber hinaus widerspricht jede Form des Lehrpositivismus dem katholischen Glauben, da das Lehramt nicht lehren kann, was nichts mit der Offenbarung zu tun hat oder was ausdrücklich der Heiligen Schrift („norma normans non normata“), der apostolischen Tradition und dem bisherigen definitiven Entscheidungen des Lehramtes selbst widerspricht (Dei Verbum 10; vgl. DH 3116-3117).

„Die Privatmeinungen von Päpsten und Bischöfen sind vom Lehramt ausdrücklich ausgeschlossen.“ So ist es. Vom „Lehramt Franziskus'“, das sein Unterhofmeister Fernández in so großen Tönen beschwört, wird wohl auf Dauer nichts übrig bleiben - außer dem, was schon vorher dazu gehörte.

*