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George Weigel über die Aufgabe des Papstamtes – und wie man sie verfehlt

09. Februar 2024

6 - Kirchenkrise

Das Gemälde aus der Renaisance zeigt Bildfüllend groß Christus, der dem klein vor ihm Knienden Petrus die Schlüssel übergibt

Lorenzo Veneziano - Die Schlüsselübergabe

Falls jemand George Weigel nicht kennen sollte: Er ist einer der einflußreichsten katholischen Publizisten in den USA, dessen Artikel unmittelbar nach Erscheinen von vielen anderen Zeitungen und Magazinen online und gedruckt übernommen werden. „Kirchenpolitisch“ steht er eher Johannes Paul II – über den er eine viel beachtete Biographie geschrieben hat – als Benedikt XVI. nahe, dessen Wiederzulassung der überlieferten Liturgie er wenig abgewinnen konnte. Weigel gilt als Stimme der breiten „Mittleren Richtung“ des US-Katholizismus, die fest zur Lehre der Kirche steht – und das mehr oder weniger glücklich mit dem Bekenntnis zum Konzil der 60er Jahre und uneingeschränkter Gefolgschaft zum jeweiligen Papst verbindet.

Eine der bemerkenswertesten Folgen des Pontifikats von Franziskus besteht darin, daß in dieser mittleren Richtung das bedingungslose „Ja“ zum Papst immer öfter von einem „Ja – aber“ abgelöst wird. Man hat erkannt, daß Franziskus selbst in wichtigen Fragen von dem abweicht oder das in Zweifel ziehen läßt, was zum unaufgebbaren Kernbestand der kirchlichen Lehre gehört, und vor die Wahl gestellt, sich zwischen der unverfälschten Lehre oder der demonstrativen Papsttreue zu entscheiden, geben immer mehr dieser Zentristen der Lehre den Vorzug. Sie tun das mit allem Respekt gegenüber der Position des Mannes auf dem Stuhl Petri – aber auch mit steigender Ungeduld und zunehmender Deutlichkeit. Das skandalöse Dokument „Fiducia supplicans“ hat diese Deutlichkeit noch einmal gesteigert – und eine aktuelle Wortmeldung von Weigel läßt erkennen, daß die Ungeduld allmählich in Unwillen übergeht.

Weigel wählt für den Anfang seines unter der Überschrift „Tohu wa-bohu on the Tiber“ erschienen Artikels einen Ausgangspunkt, dessen Sachlichkeit und Objektivität von niemandem bestritten werden kann: Er zitiert einfach die Überschriften, unter denen drei große zum Mainstream gerechnete katholische Publikationen der USA im Januar über das römische Dokument berichtet hatten – und zwar innerhalb von 24 Stunden:

„Papst Franziskus verteidigt Segnung von Paaren in irregulären Situationen einschließlich gleichgeschlechtlicher Zusammenschlüsse“ – so „America Media“ am 26. Januar.
(Anm.: America Media ist der Artikeldienst des von den US-Jesuiten betriebenen America-Magazines)

„Der Papst verteidigt das Dokument, das Segnungen für „irreguläre Paare“ ermöglicht“ - La Croix International vom 27. Januar.
(La Croix ist die Publikationsplattform der französischen Bischofskonferenz.)

„Inmitten des Aufruhrs über das Dokument des Vatikans erklärt der Papst, es gehe nicht darum, gleichgeschlechtliche Gemeinschaften zu segnen, sondern Menschen – „Crux“ am 27. Januar.
(Crux ist ein Webmagazin hoher Reichweite, das der gemäßigt progressive Vatikanist John Allen nach seinem Weggang vom radikalprogressiven „National Catholic Reporter“ – nicht zu verwechseln mit dem glaubenstreuen „National Catholic Register“ – gegründet hat.)

Drei „katholische“ Stimmen, von denen sich zwei fundamental widersprechen und eine weitere „irgendwie unentschieden“ erscheint. Mit diesem Befund sind alle von Rom gestarteten Versuche erledigt, die Kritik an der Unklarheit und Widersprüchlichkeit von Fiducia Supplicans als Ausdruck von Dummheit (haben noch nicht verstanden) oder Bösartigkeit (s. dazu etwa hier) abzuschmettern: Selbst von Publikationen, die sich als „katholisch“ bezeichnen, wird das Papier des in seinem Amt kläglich überforderten Fernandez widersprüchlich und unklar gelesen. Oder wie Weigel es ausdrückt: Es schafft in einer derzeit heiß diskutierten Frage keine Klarheit, sondern Chaos – in der Sprache der Bibel Tohuwabohu. Das aber, so stellt Weigel im Folgenden fest, widerspricht diametral der „Arbeitsplatzbeschreibung“ für den Inhaber des Stuhles Petri. Sein Job besteht darin, seine Brüder zu stärken (Lukas 22, 32), und nicht darin, sie zu verunsichern und besonders den Schwächeren (und oft Frömmeren) unter ihnen den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Und von da aus geht Weigel in seiner Kritik am gegenwärtigen Verwalter des päpstlichen Amtes deutlich über alles hinaus, was wir bisher von ihm in dieser Sache lesen konnten. Er schreibt: „Die Brüder zu stärken bedeutet nicht, sie zu verwirren. Und es bedeutet auch nicht, die Verwirrung unwidersprochen stehen zu lassen, die von anderen Autoritätspersonen in der Kirche verbreitet wird. Die Verschiedenheit in der Einheit, zu deren Schutz das Petrusamt ebenfalls aufgefordert ist, bedeutet keine Verschiedenheit in Fragen des Glaubens oder der Moral, die längst entschieden sind. Verschiedenheit in Einheit bedeutet nicht Tohuwabohu.

Die Welt des 21. Jahrhunderts ist voller Chaos und Verwirrung – vieles davon tödlich. Die Welt braucht nicht noch mehr Chaos und Verwirrung von der katholischen Kirche – wenn sie Tohuwabohu mit religiösem Anstrich will, gibt es genug andere Quellen, bei denen man das finden kann. Ob die Kirche das zu schätzen weiß oder nicht – sie bedarf seitens der katholischen Kirche einer überzeugenden, kreativen, verständlichen und verständnisvollen Verkündigung der Wahrheiten des Evangeliums - und ebenso der Wahrheiten des sittlichen Lebens, deren Annahme uns dabei hilft, Christus und seine Sache anzunehmen, so wie wir dabei auch Hilfe von Seiten der Vernunft erfahren – aber auch das ist ein im Jahre 2024 rarer Artikel. (…)

(Und nach einem kurzen Exkurs über das berühmte „¡Hagan Lio!“ vom Weltjugendtag 2013 kommt er zum Schluß:) Soviel ist sicher: Es ist jedenfalls nicht der Auftrag des Mannes, der das Petrusamt innehat, Unordnung anzurichten. Bis der Herr in Herrlichkeit wiederkommt wird es ohnehin immer ein gerüttelt maß an Tohuwabohu in der Kirche geben. Eine Aufgabe des Petrusamtes besteht darin, dieses unvermeidbare Chaos und diese Verwirrung so klein wie möglich zu halten. Nicht, sie zu verschärfen, und erst recht nicht, dazu zu ermutigen.“

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