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Besonderheiten der Passionszeit in anderen Riten des Westens

Von Gregory Dipippo, New Liturgical Movement

18. März 2024

Kommentar und Kategorisierung

Moses mit den Tafeln der Gebote auf dem Thron des Gesetzes

Moses als Gesetzgeber - auch in der Liturgie

Die Zusammenziehung der beiden letzten Wochen vor Ostern als eines besonderen liturgischen Abschnitts, der Passionszeit, ist eine Eigenheit des römischen Ritus. Die Hervorhebung dieser Zeit ist älter als ihre formelle Bezeichnung. Zwar wird der Passionssonntag in den ältesten römischen Liturgischen Schriften noch als „Fünfter Sonntag der Fastenzeit“ bezeichnet, doch macht sich bereits dort eine bedeutende Veränderung des liturgischen Charakters der mit diesem Tag beginnenden Zeit bemerkbar – und diese Veränderung führte schon vor dem Ende des 9. Jahrhunderts zu der neuen Bezeichnung „Passionssonntag“. Während sich die Schriftlesungen zur Messe während der ersten vier Wochen auf den Bußcharakter der Fastenzeit und die Vorbereitung auf die Taufe in der Osternacht konzentrierten, stellen die der beiden letzten Wochen das Thema der Passion des Herrn in den Mittelpunkt. Schon die erste Lesung der Passionszeit (Hebr 9, 11 – 15) spricht vom „Blut Christi, das unser Bewußtsein von toten Werken reinigt um dem lebendigen Gott zu dienen“. Das folgende Graduale ist einer der vielen Texte, die in Person des Herrn während seines Leidens ausrufen: „Errette mich, o Herr, vor meinen Feinden“

Im Stundengebet werden die Passionshymnen Vexilla Regis und Pange Lingua in zwei Teilen gesungen, die eine zur Matutin und die andere zur Laudes – bis hin zum Triduum, in dem keine Hymnen gesungen werden. Im ersten Teil der Fastenzeit werden beginnend mit Septuagesima die Schriftlesungen der Matutin der Reihe nach aus dem Pentateuch genommen, und die Responsorien dieser Zeit kommen aus den gleichen Büchern. Am Passionssonntag geht man zum Propheten Jeremias über, dessen Wehklagen als eine Vorgestalt der Klagen des leidenden Herrn gelten. Die Responsorien der Passionszeit werden jedoch größtenteils aus den Psalmen genommen – sie sprechen ebenfalls in der Person des leidenden Herrn. Allerdings gibt es eine bemerkenswerte Ausnahme beim ersten Responsorium dieser Reihe, das auf Leviticus 23, 5-6 beruht.:

Es begint ein Zitat

R. Isti sunt dies, quos observáre debétis tempóribus suis: * Quartadécima die ad vésperum Pascha Dómini est: et in quintadécima solemnitátem celebrábitis altíssimo Dómino. V. Locútus est Dóminus ad Móysen, dicens: Lóquere filiis Israël, et dices ad eos. Quartadécima die…

*

Dies sind die Tage, die ihr zu ihrer Zeit einhalten sollt: Am vierzehnten Tage zum Abend ist das Pascha des Herrn, und am fünfzehnten sollt ihr die festliche Feier des Allerhöchsten Herrn begehen. Und der Herr sprach zu Moses: Sprich zu den Kindern Israels und sage ihnen: Am vierzehnten Tage...

Normalerweise werden die Responsorien des Sonntags der Reihe nach während der Woche wiederholt, aber diese wird aus offensichtlichen Gründen des Textzusammen­hangs ausschließlich am Passionssonntag selbst gesprochen.

Wie ich schon an anderer Stelle ausgeführt habe, ist die Messe der Osternacht keine Erste Messe der Osterfeier, sondern eher eine Erwartung der Auferstehung. Das geht auch aus ihrer Unvollständigkeit hervor – sie hat kein Introitus, kein Offertorium, kein Agnus Dei, auch das Credo entfällt, und es gibt keinen Friedensgruß. Das ist die Feier „am vierzehnten Tage zum Abend“, die rechte Zeit für die Ostervigil, der Beginn, aber noch nicht die Erfüllung des „Pascha des Herrn“. Erst am 15. Tag, dem Ostersonntag, wird dann die Auferstehung in der Fülle der „festlichen Feier“ begangen.

Die gleiche Unterscheidung zwischen Fasten- und Passionszeit findet sich auch im Ambrosianischen Ritus, wo sie zwar in einiger Hinsicht nicht so deutlich betont wird, aber doch sehr deutlich ist. Der ambrosianische Ritus hat jedoch den Ausdruck „Passionszeit“ nie übernommen und bezeichnet diesen Sonntag weiterhin als „Fünften Fastensonntag“. Im Stundengebetserden die Fastenhymnen Audi, benigne Conditor und Ex more docti mystico jeweils zur Laudes und der Vesper während der Woche gesungen. (Der Hymnus zur Matutin ist feststehend.)

Der sehr lange Gesang zum Offertorium am Sonntag, der in verkürzter Form auch an den vier folgenden Tagen gesungen wird, enthält jedoch die gleiche Stelle aus Leviticus 23 wie das oben zitierte römische Responsorium:

Es begint ein Zitat

Offertorium: Haec dicit Dominus: Erit vobis sábbatum venerábile, et vocábitur sanctum; et offerétis ad vésperum holocaustómata vestra: quia in die illa propitiábitur vobis Salvátor vester.

V. I Locútus est Móyses filiis Israel, dicens: Quartodécimo die ad vésperum Pascha Dómini est, et in quintodécimo sollemnitátem celebrábitis altíssimo Deo: quia in die illa propitiábitur vobis Salvator vester.

V. II In die octávo ventúro súmite vobis ramos palmárum, et secundum legem, quam praecépi vobis, sollemnitátem celebrábitis altíssimo Deo: quia in die illa propitiábitur vobis Salvator vester.

Es begint ein Zitat

Offertorium: So spricht der Herr: „Ihr sollt den Sabbath ehren, er soll heilig sein, und ihr sollt am Abend euer Brandopfer darbringen, denn an diesem Tage wird euer Retter sich euer erbarmen.

V. I Moses wandte sich an die Kinder Israels und sprach: Am vierzehnten Tage zum Abend ist das Pascha des Herrn, und am fünfzehnten sollt ihr die festliche Feier des Allerhöchsten Herrn begehen, denn an diesem Tage wird euer Retter sich euer erbarmen.

V. II Am kommenden achten Tage nehmt eure Palmzweige und begeht wie ich euch geboten habe die festliche Feier des Allerhöchsten Herrn, denn an diesem Tage wird euer Retter sich euer erbarmen.

Die Worte „Ihr sollt den Sabbath ehren“ bezieht sich auf eine sehr altertümliche Sitte, die der ambrosianische Ritus bis auf den heutigen Tag bewahrt hat. Wie mein Kollege Nicola die Grandi ausgeführt hat, sind die Samstage der Fastenzeit sämtlich auf die Riten ausgerichtet, durch die die Katechumenen auf den Empfang der Taufe in der Osternacht vorbereitet werden. Der letzte davon, der Tag vor dem Palmsonntag, wird „in traditione symboli – „zur Anvertrauung des Glaubensbekenntnisses“ genannt, an dem die Katechumenen das Glaubensbekenntnis gelehrt wurden, das sie dann in der Osternacht aufzusagen hatten. Die Worte des zweiten Abschnitts (beruhend auf einzelnen Versen des gleichen Abschnitts aus Leviticus) beziehen sich selbstverständlich nur auf den Palmsonntag und werden während der Woche ausgelassen.

Zu den Werktagsmessen der ersten vier Wochen der Fastenzeit liest der Ambrosianische Ritus zur Belehrung der Katechumenen die Bergpredigt aus den Kapiteln 5-7 des Matthäus-Evangeliums. An den Werktagen nach dem 5. Fastensonntag ändert sich jedoch ebenso wie im römischen Ritus die Blickrichtung und wendet sich der Passion zu.

Montag: Markus 8, 27-33: „Und er begann sie zu lehren, daß der Menschensohn vieles erleiden muß und von den Ältesten und Hohen Priestern und Schriftgelehrten verstoßen und getötet werden muß und nach drei Tagen wieder auferstehen wird“.

Dienstag: Johannes 6, 64-72: Habe ich nicht euch 12 auserwählt, und einer von euch ist ein Böser Geist? Damit meinte er Judas Ischariot, den Sohn des Simon, der ihn verraten sollte.

Mittwoch: Lukas 18, 31-34: All das, was von den Propheten über den Menschensohn geschrieben wurde, wird erfüllt werden. Er wird den Heiden ausgeliefert, verspottet, gegeißelt und bespuckt. Und … sie werden ihn töten und am dritten Tage wird er auferstehen.

Donnerstag: Johannes 7, 43-53: „So entstand seinetwegen ein Streit in der Menge. Einige von ihnen wollten ihn angreifen, aber keiner wagte, Hand an ihn zu legen. (Der Freitag ist im ambrosianischen Ritus ohne Liturgie – daher gibt es hier kein Evangelium)

Diese Lesungen gehören zur allerältesten Schicht der ambrosianischen Tradition noch vor der umfangreichen Romanisierung des Ritus in der Karolingerzeit. Wir können daher zur Recht sagen, daß die ambrosianische „Passionszeit“ ebenso alt ist wie die römische, auch wenn sie nicht in der Terminologie als solche gekennzeichnet wird.

Die gleiche Übung findet sich auch im mozarabischen Ritus. Am 5. Sonntag der Fastenzeit ähnelt das Sacrificium (es entspricht dem römischen Offertorium) teilweise dem oben zitierten römischen Responsorium und teilweise dem ambrosianischen Offertorium.

Es begint ein Zitat

Sacrificium Isti sunt dies, quos debétis custodíre tempóribus suis: * Quartadécima die ad vésperum Pascha Dómini est: et in quintadécima solemnitátem celebrábitis altíssimo Deo vestro. V. Locútus est Móyses filiis Israel, dicens: In die octávo ventúro súmite vobis ramos palmárum, et exsultáte in conspectu Dómini, et secundum legem, quod (sic) vobis praecépi, sollemnitátem celebrábitis altíssimo altíssimo Deo vestro.

*

Sacrificium Dies sind die Tage, die ihr zu ihrer Zeit einhalten sollt: Am vierzehnten Tage zum Abend ist das Pascha des Herrn, und am fünfzehnten sollt ihr die festliche Feier eures Allerhöchsten Herrn begehen. Moses wandte sich an die Kinder Israels und sprach: Am kommenden achten Tage nehmt eure Palmzweige und jubelt vor dem Angesicht des Herrn gemäß dem Gesetz, das ich euch geboten habe die festliche Feier des Allerhöchsten Herrn.

Dem folgt ein als „Missa“ bezeichnete Gebet, das die Symbolik dieses Liedes sehr schön erklärt:

Es begint ein Zitat

Deus, qui mýstico olim praesagio fámulo tuo Móysi, inter alias praeceptórum tuórum ceremonias, etiam horum diérum solemnia in monte Sinai propitius ostendisti, ut octávo die ventúro súmerent diversárum árborum fructus, ramos quoque palmárum, et exultárent in conspectu Dómini Dei sui cum hymnis: concéde nobis fámulis tuis, ut innocentiae et fídei veritáte sincéri, tuis semper coram altáribus assistámus, sicque tibi parsimoniam córporum offerámus, ut actuum plenitúdinem perfectis apud nos móribus retentémus.

*

O Gott, der Du vor alter Zeit auf dem Berg Sinai Deinem Diener Moses in einer Mystischen Schau gnädig neben den anderen Zeremonien Deines Gebotes auch die Feierlichkeiten dieser Tage gezeigt hast, daß sie (die Israeliten) am 8. Tage Früchte der verschiedenen Bäume und Palmzweige aufnehmen und damit vor dem Angesicht des Herrn mit Lobgesängen feiern sollten – gewähre uns, Deinen Dienern, daß wir stets ohne Schuld und in aufrichtigem Glauben vor Deinem Altar dienen und so unser körperliches Fasten aufopfern, damit wir, nachdem wir diese Sitten eingehalten haben, die Fülle von deren Früchte erhalten.

Abschließend wollen wir bemerken, daß nach älteren Lektionaren des mozarabischen Ritus der gleiche Abschnitt, aus dem diese Texte entnommen sind, auch die erste Lesung der Messe (Leviticus 23, 5-8; 23-28; 39-41) stellt – aber das ist nicht länger in Übung.

*