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Gute und weniger gute Gründe für die
Reform der Karwoche von 1955

22. März 2024

1 - Liturgie

Die Buchillustration zeigt einen Kleriker, der auf einem erhöhten Ambo stehend das Exsultet vorsingt.

Feierliche Weihe der Exsultet-Kerze

Hinter der weitgehend mißlungenen Reform der Karwochenliturgie der 50er Jahre steckte nicht nur die Absicht, einen „Probelauf“ für geplante weitergehende Eingriffe in die Litur­gie zu veranstalten. Es gab auch Beweg­gründe, die verständlich und ernst zu nehmen sind. Einer davon war die Notwendigkeit, die an diesen Tagen stattfindenden Feiern der zentralen Geheimnisse des Glaubens so umzugestalten, daß sie in möglichst vielen Kirchen und Gemein­den und unter Teilnahme möglichst vieler Gläu­biger begangen werden konnten.

Die Riten der Karwoche – beginnend bereits mit dem Palmsonntag – trugen in vielem noch die Kennzeichen der „Klerikerliturgie“ des späten Mittelalters an sich. Das ist in gar keiner Weise abwertend gemeint. Nach dem wenigen, was wir über die „Volksseelsorge“ der Zeit vor der protestantischen Reformation wissen, gab es damals auf dem „flachen Land“ jedenfalls kein Netz von Gemeindekirchen und Gemeindepfarrern, das in irgend­einer Weise mit dem „flächendeckenden Angebot“ vergleichbar wäre, wie es sich in Mitteleuropa ab dem 17. Jahrhundert herausbildete. In den größeren Städten und den engmaschig über das ganze Land verstreuten Klöstern gab es „Meßzentren“, die auch von der im Umland wohnenden Landbevölkerung besucht wurden. An diesen Orten standen zahlreiche Kleriker unterschiedlicher Bildungs- und Weihegrade sowie „Scholaren“ bereit, um die Liturgie zu feiern. An hohen Festtagen waren das in aller Regel aufwendige Klerikerliturgien mit dem Volk als mehr oder weniger andächtige Teilnehmer oder Zuschauer. Aber auch die bereits in den vorangehenden Jahrhunderten üblich gewor­de­nen Einzelzelebrationen der Priestermönche unterstanden der Aufsicht von Mitbrüdern und Oberen, so daß unzulässigen Reduzierungen – soweit sie jemand überhaupt beab­sich­tigt hätte – ein Riegel vorgeschoben werden konnte.

Auf dem Flachen Land war man von diesen nahezu idealen Bedingungen weit entfernt. Wo es überhaupt Kirchen und Priester gab – etwa an Adelssitzen oder als fromme Stif­tungen zum Gedächtnis eines Heiligen – waren die Personalressourcen für diese aufwendigen Gottesdienste in der Regel nicht verfügbar. Und die dort begangenen Liturgien waren wohl tatsächlich oft in einem traurigen Zustand. Aus der Zeit vor Trient wird von Klagen berichtet, daß manche auf dem Land (etwa als Bedienstete eines Adelshauses) tätigen Priester nur spärliche Lateinkenntnisse hatten, so daß man bezweifeln konnte, daß die von ihnen mit fehlerhaften Texten gefeierten Gottesdienste überhaupt „rite et valide“ waren.

Trient ordnete hier wichtige Reformschritte an. Das von Papst Pius V. „festgestellte“ Missale und die nach dem Konzil erheblich verbesserte Priesterausbildung boten einigermaßen verläßliche Grundlagen, die es auch den „Landpriestern“ ermöglichten, die Messe gültig und der Ordnung gemäß zu feiern. Davon profitierten nicht nur die Landpriester, sondern auch Domherren, Kanoniker und Mönche an Bischofssitzen oder Klöstern, in deren Liturgien sich unter dem Einfluß zweihundertjähriger reformato­rischer Wirren Irrtümer und Entstellungen eingeschlichen hatten. Tatsächlich konzen­trierte sich das Trienter Missale genau auf diese Aufgabe, einen, wie man heute sagen würde, zuverlässigen „Mindeststandard“ zu sichern. Schon das Levitierte Hochamt wurde nur sehr am Rande berücksichtigt, und die anderen Zeremonien – dabei eben insbesondere die der Karwoche und von Ostern – wurden weitgehend so übernommen, wie sie an der päpstlichen Kurie schon immer üblich waren. Und das bedeutete auch, daß sie mit beträchtlichen personellen, zeitlichen und auch materiellen Anforderungen verbunden waren. Für die größeren Klerikergemeinschaften war das kein Problem, aber die Einzelpriester auf dem Lande sahen sich vor eine praktisch unlösbare Aufgabe gestellt. Und je mehr sich die innerkirchlichen Gewichte in Richtung der gemeindlichen Pfarrseelsorge verschoben und die früheren „Meßzentren“ an Zahl und Bedeutung abnahmen – ein wichtiges Datum bildet da für Deutschland das Jahr 1803 mit der Aufhebung zahlloser Klöster und Benefizien – desto schwerer fiel es, den Vorgaben für die anspruchsvollen Zeremonien der Karwoche gerecht zu werden. Eine Reform wurde immer dringender.

Dazu kam, daß auch die alte Ordnung nicht frei von Mißständen war. Weniger im dogmatischen Bereich im eigentlichen Sinne, aber in der Praxis der Vollzüge. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Tatsache, daß die ursprünglich auf den Tagesanbruch des Ostersonntags terminierte Auferstehungsfeier zeitlich immer weiter nach vorne in den Samstag hinein verschoben wurde, bis sie schließlich den Tag der Grabesruhe (und Höllenfahrt) des Herrn völlig überdeckte. Erklärt wird diese Vorverlegung übrigens mit dem Bestreben der Klerikergemeinschaften, die von ihnen in der Regel streng eingehaltenen Fasten der Karwoche um einen Tag zu verkürzen. Das ist menschlich verständlich, theologisch jedoch durchaus kontraproduktiv – schließlich heißt es im Credo und nach der heiligen Schrift ganz eindeutig: Auferstanden am dritten Tage.

Trotz der Verschlechterung der äußeren Bedingungen blieben die alten Regeln auch dann, nachdem sie von der Realität endgültig überholt waren, noch über ein Jahrhundert in Kraft – und als sie dann schließlich in den berüchtigten 50er Jahren den neuen Gegebenheiten angepasst wurden, ließen sich die Reformer in ihrer Reformbegeisterung dazu verleiten, alles mögliche zu verändern oder „abzuschaffen“, was bei ein wenig mehr Bescheidenheit durchaus nicht hätte verändert werden müssen. Dabei hätten sie sich am Vorbild der Reformer „nach Trient“ orientieren können, die den ererbten Riten und Gebete – soweit nicht häretisch kontaminiert – die größte Ehrerbietung entgegen­brachten und sich darauf beschränkten, die erwähnten „Mindeststandards“ vorzugeben.

Für die Reform der Liturgien der Karwoche hätte das etwa bedeutet, die „in der Fläche“ impraktikabel gewordenen „Klerikerliturgien“ da weiterhin bestehen zu lassen, wo die personellen Voraussetzungen dazu gegeben waren: In Klöstern, an Seminaren oder Kollegien und ähnlichen Einrichtungen. Für andere Gottesdienstorte hätte man auf der Grundlage des Standard-Missales eine „herunterskalierte“ Form entwickeln können, die auch mit bescheidenem Personaleinsatz realisierbar gewesen wäre. Das hätte sinnvolle Reformschritte – etwa die Rückverlegung der Ostermesse auf den Sonntag – nicht ausge­schlossen, aber durchaus ermöglicht, um nur ein hervorragendes Beispiel zu nennen, den Charakter des „Exsultet“ als Weihepräfation der Osterkerze beizubehalten statt sie zu einem dekorativen Element bei der Eröffnung der Messfeier herabzuwürdigen.

Doch wie schon angedeutet: Dafür hätte es etwas mehr Bescheidenheit gebraucht, und etwas weniger von dem Machbarkeitswahn, der seit 1955 die Reformen der Liturgie mißglücken ließ.

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