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Die allegorische Meßerklärung
des hl. Franz von Sales

3. April 2024

Kommentar und Kategorisierung

Der Stahlstich des ausgehenden 19. Jh. zeigt Priester und Ministrant vor dem Altar, dessen Bild den kniend betenden Jesus zeigt, der im Ölberggarten von einem Engel gestärkt wird.

Christus und sein Priester bereiten sich auf das Opfer vor.

Peter Kwasniewski überraschte die Leser von New Liturgical Movement am Ostermontag mit einem Geständnis, das geeignet ist, bei dem einen oder anderen die Augenbrauen nach oben gehen zu lassen: Er räumt ein, dem Prinzip der allegorischen Meßerklärung, das von den Vertretern der ursprünglichen Liturgischen Bewegung mit Nachdruck abgelehnt worden war, durchaus positive Seiten abgewinnen zu können. Die Befürworter einer stärkeren Einbeziehung der Gläubigen in die (äußere?) Feier der Eucharistie bestanden mit Papst Pius X. darauf, „die Messe zu beten“ – also die Texte des Missales selbst - und hielten die Allegorien für etwas der eigentlichen Struktur und Funktion der Liturgie Fremdes, das geeignet war, das subjektive Gebetsleben der Katholiken vom objektiven Gehalt der Liturgie wegzuführen.

Eine dahin gehende Gefahr und praktische Tendenz ist nicht zu bestreiten, aber das „die Messe beten“ enthält ebenfalls problematische Elemente. Sie beginnen bei der wohl jedem Nutzer eines zweisprachigen Missale bekannten Versuchung, schon beim Mitlesen des Introitus oder des Tagesgebetes so sehr bemüht zu sein, der Gedankentiefe eines solchen Gebetes zu folgen, daß man erst zur Lesung wieder Anschluß an den Fortgang der Dinge findet – nur um ihn beim Offertorium erneut zu verlieren. Und das ist nur eines der geringeren Probleme. Es gibt auch Gründe für die Vermutung, daß dieses Mitbeten und manchmal auch Mitsprechen der Messtexte mit dazu geführt hat, den Unterschied zwischen dem Vollzug der heiligen Handlung durch den Priester und dessen Mitvollzug durch die Gläubigen zu verwischen, so daß schließlich mit der Betonung der Gemeinschaftselemente in Theorie und Praxis des Novus Ordo vielerorts jenes Stadium erreicht wurde, wo dieser Unterschied nur noch als irritierende „Ungleichheit“ wahrgenommen wird. Und am Ende stehen dann alle 17 verbliebenen Gottesdienstteilnehmer um den Altar, fassen sich an den Händen und sprechen gemeinsam den Kanon und die Wandlungsworte…

Die im Zuge der Gegenreform zu großer Verbreitung gekommenen allegorischen Meßerklärungen und daraus abgeleiteten Gebete für die Gläubigen waren ein ernst zu nehmender Versuch, diese Gläubigen stärker in den Ablauf und die innere Struktur der heiligen Handlung einzubeziehen, ohne ihnen eine „Mitwirkung“ bei den äußeren Abläufen nahezulegen. Dieser Versuch fand und findet seine Rechtfertigung nicht zuletzt darin, daß die „Allegorese“, also der Ansatz, Inhalt und Bedeutung unsichtbarer Dinge durch sinnlich faßbare Zeichen und Riten besser einsichtig zu machen, der katholischen Tradition ganz und gar nicht fremd ist. Die Sakramente, die in sichtbaren Zeichen das bewirken, was sie bezeichnen, sind der deutlichste Ausdruck dieses Sprechens in Gleichnissen und Symbolen.

Im deutschen Sprachraum fand die allegorische Messerklärung, die bereits im hohen Mittelalter von vielen ernsthaften Theologen – bekanntestes Beispiel ist Rupert von Deutz – genutzt wurde, ihre stärkste Verbreitung unter dem einfachen Volk durch die Schriften Martin von Cochems (1634 – 1712). Die auf ihn zurückgehenden „Meßandachten“, von denen es schließlich für jeden Sonntag des Kirchenjahres eine eigene mehr oder wenig eng an den Lesungen des Tages orientierte Version gab, führten Generationen von Katholiken zu einem tieferen Verständnis der heiligen Messe. Diese Andachten lösten sich im Lauf der Zeit auch von einer zu engen allegorischen Begleitung der Aktionen am Altar, selbst wenn sie in ihrer „einfachen Sprache“ und Emotionalität oft noch weit vom späteren Idealbild des „die Messe beten“ entfernt blieben.

Kwasniewski übersetzt in seinem eingangs erwähnten Artikel eine Meß-Allegorese des hl. Franz von Sales (1567 – 1622), die das Prinzip der Deutung des übersinnlichen Geschehens durch Anknüpfen an die sichtbaren Abläufe der Messfeier besonders deutlich erkennen läßt, von deren 35 Punkten wir hier nur einige besonders typische übersetzen:

Wenn der Priester an die Stufen des Altars tritt: Jesus betritt den Garten Gethsemane.

Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes. Es hat Die gefallen, aus freiem Willen die Todesfurcht und die Angst vor dem bevorstehenden Leiden auf Dich zu nehmen. Gewähre mir die Gnade, künftig all meine Sorgen Dir aufzuopfern. Gott meines Herzens, hilf mir, all meine Leiden mit Deiner Todesangst zu vereinigen, so daß sie durch die Verdienste Deines Leidens zum Nutzen meiner Seele wirken mögen.

Der Priest küsst den Altar: Judas verrät Jesus mit einem Kuss

Herr Jesus Christus, der Du die Umarmung des Judas geduldet hast, bewahre mich durch Deine Gnade vor dem Unglück, Dich jemals zu verraten, und hilf mir, Bosheit und Ungerechtigkeit mit herzlicher Liebe und entgegenkommender Freundlichkeit zu beantworten.

Der Priester geht zur Epistelseite: Jesus wird ins Gefängnis abgeführt

Herr Jesus Christus. Du hast es ertragen, daß Deine Hände durch die Stricke böser Menschen gefesselt wurden. Zerreiße, so bitte ich, die Fesseln meiner Sünden und umfange die Kräfte meiner Seele und meines Leibes mit den Banden Deiner Liebe , daß sie niemals der heilsamen Zucht der vollständigen Unterwerfung unter Deinen Göttlichen Willen entkommen.

Beim Kyrie eleison: Jesus wird dreimal von Petrus verleugnet

Herr Jesus Christus. Du hast es ertragen, im Hause des Kaiphas dreimal vom Haupt und Fürsten der Apostel verleugnet zu werden. Bewahre mich vor den Gefahren schlechter Gesellschaft, damit ich nicht dem Unglück verfalle, mich von Dir zu trennen.

Bei (diesem)m Dominus Vobiscum: Jesus schaut Petrus an und berührt sein Herz

Herr Jesus Christus, der Du durch einen Blick voller Liebe das Herz des hl. Petrus zu einem Quell bußbereiter Tränen erweicht hast, gewähre mir durch Deine Gnade, daß ich meine Sünden beweine und Dich, der Du mein Herr und mein Gott bist, niemals in Worten oder Taten verleugne.

Der Priester enthüllt den Kelch: Jesus wird seines Gewandes entkleidet

Herr Jesus Christus; es hat Dir aus Liebe zu mir gefallen, deiner Kleider beraubt und unmenschlich gegeißelt zu werden, gewähre mir die Gnade, mich der Last meiner Sünden durch eine gute Beichte zu entledigen und niemals unbekleidet ohne die Tugenden eines Christenmenschen vor Dich zu treten.

Bei der Händewaschung des Priesters: Pilatus wäscht seine Hände

Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes. Du wurdest von Pilatus für unschuldig befunden und dennoch den Beleidigungen und dem Zorn der Juden überantwortet; gewähre mir die Gnade, ein untadeliges Leben zu führen und gleichzeitig ein fromme Gleichgültigkeit gegenüber der Meinung der Masse zu bewahren.

Beim Communicantes: Veronica reinigt das Gesicht Jesu mit einem Leinentuch

Herr Jesus Christus; Du hast auf dem Weg nach Kalvaria den frommen Frauen, die aus Liebe zu Dir um Dich weinten, gesagt: Weint nicht wegen mir, sondern wegen Euch selbst“. Gib mir die Gnade, meine Sünden in frommer Zerknirschung und Liebe zu beweinen, die mich Deiner göttlichen Majestät annehmbar machen.

Beim Nobis Quoque Peccatoribus: Die Bekehrung des Räubers (Dismas)

Herr Jesus Christus, Du hast dem bußwilligen Sünder die Freuden des Himmels zugesagt. Schaue auf mich mit Deinen mitleidigen Augen und sprich im letzten Augenblick meines Lebens zu meiner Seele „Noch heute sollst Du mit mir im Paradiese sein“.

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Diese Beispiele sollen genügen, um zu verdeutlichen, wie Franz von Sales den guten Willen und die Bereitschaft frommer Seelen, in der Messe andächtig zu beten, aufnimmt, um sie mit Hilfe der „allegorischen Methode“ von dem, was die Augen sehen, auf das hinzulenken, was das Wesen der Sache ausmacht.

Inwieweit er damit beim vielbeschworenen „modernen Menschen“ Erfolg haben könnte, wäre kritisch zu untersuchen. Die Sprache und die Geisteshaltung der kurzen Texte des hl. Franz von Sales erschließen sich den meisten heutigen Gläubigen wohl nicht mehr ohne Anstrengung – wobei allerdings zu bedenken ist, daß das nicht nur eine Verwendung dieser Texte in Frage stellt, sondern auch erkennen läßt, wie viel Glaubensbewußtsein, welche Emotionalität und auch wie viel Demut dem „heutigen Menschen“ in den letzten 100 Jahren verloren gegangen ist. Oft zu seinem großen Schaden.

Die Feier der heiligen Messe allein ist sicher nicht der primäre Ort, um das, was an diesem Glaubensbewußtsein zu jeder Zeit unentbehrlich wäre, wieder herzustellen. Selbstverständlich muß das pastorale Bemühen zu jeder Zeit bei den Menschen ansetzen, die es vorfindet. Aber seit vielen Jahrzehnten bleibt es auch genau da stehen. Die Ergebnisse beziehungsweise deren weitgehendes Ausbleiben sind überall erkennbar.

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