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Die langfristigen Auswirkungen von
„Dignitas Infinita“

17. Mai 2024

2 - Theologie und 6 - Kirchenkrise

Die Karikatur vom Titelblatt des 'Spectator' zeigt Franziskus, der vergnügt auf einer Abrißbirne sitzend die Kirche zertrümmert. Der Abrißbirne haben wir die Züge von Fernandez einmontiert.

Noch haben sie ihren Spaß. Doch wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe...

Die neueren Dokumente aus dem Dikasterium für Unglauben und Bibelfälschung wie Dignitas Infinita haben wir kaum noch zur Kenntnis genommen - es ist immer das gleiche Elend. Doch nun hat Carlos A. Casanova auf OnePeterFive einen sehr aufschluß­reichen Artikel über die Entstehung und die Langzeit­wir­kun­gen dieses Dokuments veröffentlicht, der einige Zusammen­hänge deutlicher hervortreten läßt, als uns das bisher bewußt war. Wir haben den Artikel übersetzt – ausnahmsweise mit Anmerkungen – und weisen insbesondere auf Anmerkung [1] hin, die die unredliche Vorgehensweise von Fernández und Franziskus deutlich erkennbar macht.

Ich habe nicht vor, eine systematische Kritik von Dignitas infinita vorzunehmen – das haben Edward Feser, Jeanne Smits und Peter Kwasniewski schon sehr gut vorgemacht. Stattdessen möchte ich heute einen Blick auf die Methode, die Auswirkungen und die Gründe für diese Auswirkungen sowie die Motive werfen.

Hinsichtlich der Methode möchte ich die seltsame Hermeneutik hervorheben, die Fernandez hinsichtlich des bisherigen Lehramts, das er zitiert, anwendet. Ein typisches Beispiel ist die Angelus-Predigt von Johannes Paul II aus dem Jahr 1980. In dieser Predigt spricht der Papst von den Behinderten und sagt, daß Gott uns in Christus eine solche Liebe gezeigt hat, daß er jedem Menschen eine unendliche Würde verliehen hat. Victor Manuel Fernandez zitiert diese Predigt um zu behaupten, daß Menschen aufgrund ihres eigenen ontologischen Wesens über eine unendliche und unwiderrufliche Würde verfügen. In anderen Worten: Er bedient sich einer christlichen Wahrheit – nämlich, daß aufgrund der Liebe Gottes und auch aufgrund des Ziels, zu dem wir bestimmt sind, wenn wir auf Gottes Liebe reagieren, gesagt werden kann, dass jeder von uns unendliche Würde besitzt – und verdreht sie im Grunde in eine Formulierung, die schwer mit der Majestät Gottes zu vereinbaren ist. Denn niemand außer Gott verfügt aufgrund seiner eigenen ontologischen Struktur über unendliche Würde. Wie sehr das offenbar gegen die Majestät Gottes verstößt wird noch deutlicher, wenn wir die Folgen dieses Dokuments betrachten.

Hinsichtlich der Folgen ist festzustellen, daß das Dokument eine eindeutige Häresie enthält: Die Behauptung der absoluten Unrechtmäßigkeit der Todesstrafe. Dabei ignoriert Victor Manuel Fernández völlig die Lehren der Bibel, der patristischen Tradition und des gesamten Lehramts der Kirche im Laufe der Jahrhunderte.

Bei der Pressekonferenz, auf der er die Veröffentlichung des Dokuments ankündigte, kamen weitere damit zusammenhängende Fragen zur Sprache. Erstens verweist er auf eine päpstliche Erklärung aus dem 15. Jahrhundert, die es den Portugiesen erlaubte, heidnische Sklaven zu kaufen und zu verkaufen, und auf eine weitere aus dem Jahr 1537, in der der Papst den Handel mit heidnischen Sklaven verbot. Daraus leitet er ab, daß sich das kirchliche Lehramt ändern kann und dass die Gläubigen verpflichtet sind, dem Papst in allem, was er sagt, zu gehorchen. Fernández ignoriert bei dieser Gelegenheit , daß das Christentum keine sozialrevolutionäre Doktrin ist, daß das Neue Testament die Sklaverei nicht für abgeschafft erklärt hat ( wie Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Spe Salvi sehr schön gezeigt hat), und daß christliche Gelehrte vertreten haben, daß Sklaverei sehr wohl als Strafe gegen Verbrecher oder Gefangene in einem gerechten Krieg verhängt werden kann . Es ist daher möglich, daß ein Papst unter verschiedenen historischen Umständen zu Recht oder zu Unrecht der Meinung ist, dass die Bedingungen für gerechtfertigte Sklaverei gegeben sind, und dass ein anderer Papst unter anderen historischen Umständen der Meinung ist, dass dies nicht der Fall ist.

In dem gleichen Interview behauptet er dann auch, daß sich Die Lehre über Homosexualität ebenfalls ändern kann, wie schon in Fiducia supplicans geschehen, und er behauptet, daß seiner Meinung nach n. 2357 des Katechismus der Katholischen Kirche den Respekt gegenüber Homosexuellen nicht ausreichend zum Ausdruck, wenn es dort heißt, daß homosexuelle Tendenzen „von Natur aus ungeordnet“ sind; [2] Daher fordert er eine Neuformulierung. Tatsächlich finden sich im Dokument Dignitas infinita selbst sehr zweifelhafte Aussagen zu diesem Thema, wonach Menschen nicht für ihre sexuelle Orientierung strafrechtlich bestraft werden sollten, wie dies „mancherorts“ geschieht. Man könnte sich fragen: Wird dort, wo pädophile Pornografen bestraft werden oder wo Strafen für Bigamisten oder Ehebrecher gesetzlich verankert sind, die Menschenwürde verletzt? Denn das sind alles Beispiele „sexueller Orientierung“ (gegenüber Personen, mit denen man nicht verheiratet ist, gegenüber mehr als einer Person des anderen Geschlechts, gegenüber Kindern). Kann das Rechtssystem Störungen, die das Familiengefüge verletzen, unter Strafe stellen? Auch hier befiehlt Gott in der Heiligen Schrift Strafen, ja sogar die Todesstrafe, für Inzest, Ehebruch, gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehr und Unzucht mit Tieren. Hat Gott im Gesetz des Mose gegen die Menschenwürde verstoßen?

In Dignitas Infinita sehen wir eine Mischung aus zwei markanten Ansichten von Fernández. Erstens kann sich seiner Meinung nach die katholische Lehre in ihrem Wesen ändern. Wenn man genau hinschaut, ist dies nichts anderes als eine populäre Formulierung des sehr gefährlichen theologischen Grundsatzes von Walter Kasper: „Der Gott, der auf seinem Thron über der Welt und über der Geschichte sitzt, als wäre er ein unveränderliches Wesen, ist eine Beleidigung für den Menschen.“ [3] Von daher kann man tatsächlich sagen, dass die Würde des Menschen unendlich ist. Dann ist in der Tat der Mensch das wahre Subjekt „unendlicher Würde“, und nicht Gott. So geht eine bestimmte Art von gnostischer „Prozesstheologie“ vor, der Gott als transzendenter Schöpfer verhaßt ist und die zu dem Versuch führt, Ihn zu entthronen und Ihn zu zwingen, sich zusammen mit dem Geist des Menschen zu verändern. Ist es denkbar, dass sich eine gnostische Schule in die Kirche eingeschlichen hat und nun hohe Ämter innehat?

Die zweite These ist, daß der Gehorsam gegenüber dem Papst es verlangt, jede neue Lehre zu akzeptieren, die er vorschlägt, und dass die Kardinäle, die den Papst kritisiert haben, ihren Glaubenseid gebrochen haben. [4]

Aber nein – so funktioniert das nicht mit dem Gehorsam in der Kirche. Die Angehörigen der kommunistischen Partei müssen tatsächlich alles, was die Parteihierarchie in ihrer täglichen Linie sagt, für wahr halten, auch wenn es der Linie vom Vortag widerspricht. Katholiken hingegen glauben an die Lehren Christi und an die Offenbarung vor Christus, die in der Heiligen Schrift und Tradition enthalten sind. Das Erste Vatikanische Konzil und das Konzil von Trient haben uns gelehrt, dass das Hauptkriterium für die Bestimmung des Inhalts der Tradition das einstimmige Zeugnis der Väter ist. Alle Lehrdokumente in der Geschichte der Kirche sind als Hinweise zu betrachten, die es uns ermöglichen, die Offenbarung zu verstehen, und nicht etwa als Ersatz für die Offenbarung. Aus diesem Grund sagte das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Konstitution Dei Verbum Nr. 10, dass „das Lehramt nicht über dem Wort Gottes steht, sondern ihm dient.“ Die Struktur, die Christus seiner Kirche gegeben hat, ist in dieser Offenbarung ausgesagt, und deshalb akzeptieren wir den Papst. Nicht umgekehrt: Wir akzeptieren die Offenbarung nicht, weil sie uns vom Papst gegeben wurde. [5]

Soviel zu den Folgen und den Hintergründen. Jetzt müssen wir noch einen Blick auf die Motive werfen. Auf der Pressekonferenz, auf der er Dignitas infinita vorstellte , gab Victor Manuel Fernández zu, dass die Kongregation für das Katholische Bildungswesen seinerzeit seine Ernennung gestoppt habe, als Erzbischof Bergoglio ihn zum Rektor der Katholischen Universität von Argentinien ernennen wollte, und zwar genau wegen eines Artikels, den Fernández über die Segnung homosexueller Paare veröffentlicht hatte. Die Person, die die Kongregation benachrichtigte, war übrigens Bischof Aguer. Und das ist sehr interessant für alle, die die Zusammenhänge verstehen wollen.Vor einigen Jahren wurde der ehrwürdige Bischof Aguer auf wirklich „unwürdige“ Weise aus der Diözese La Plata entfernt, um ihn durch niemand anderen als Victor Manuel Fernández zu ersetzen – und kurz nach seiner Ernennung zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre versuchte Fernández, seine frühere Meinung zur Segnung homosexueller Paare, für die er vor wenigen Jahren noch gemaßregelt worden war, zur offiziellen katholischen Doktrin zu machen. Interessant.

Anmerkungen

[1] Siehe dort in No. 4 den folgenden Abschnitt: Das Christentum hatte keine sozialrevolutionäre Botschaft gebracht, etwa wie die, mit der Spartakus in blutigen Kämpfen gescheitert war. Jesus war nicht Spartakus, er war kein Befreiungskämpfer wie Barabbas oder Bar-Kochba. Was Jesus, der selbst am Kreuz gestorben war, gebracht hatte, war etwas ganz anderes: die Begegnung mit dem Herrn aller Herren, die Begegnung mit dem lebendigen Gott und so die Begegnung mit einer Hoffnung, die stärker war als die Leiden der Sklaverei und daher von innen her das Leben und die Welt umgestaltete. Was neu geworden war, wird am deutlichsten im Brief des heiligen Paulus an Philemon. Dies ist ein ganz persönlicher Brief, den Paulus im Gefängnis schreibt und dem davongelaufenen Sklaven Onesimus für seinen Herrn – eben Philemon – mitgibt. Ja, Paulus schickt den zu ihm geflohenen Sklaven an seinen Herrn zurück, nicht befehlend, sondern bittend: "Ich bitte dich sehr für mein Kind Onesimus, dem ich im Gefängnis zum Vater geworden bin [...] Ich schicke ihn zu dir zurück, das bedeutet mein eigenes Herz [...] Vielleicht wurde er nur deshalb eine Weile von dir getrennt, damit du ihn für ewig zurückerhältst, nicht mehr als Sklaven, sondern weit mehr: als geliebten Bruder" (Phlm 10-16). Die Menschen, die ihrem zivilen Status nach sich als Herren und Sklaven gegenüberstehen, sind als Glieder der einen Kirche einander Brüder und Schwestern geworden – so redeten sich die Christen an; sie waren durch die Taufe neu geboren, mit dem gleichen Geist getränkt und empfingen nebeneinander und miteinander den Leib des Herrn. Das änderte, auch wenn die äußeren Strukturen gleich blieben, von innen her die Gesellschaft. (Text nach der offiziellen deutschen Fassung).

[2] So berichtet Nestors Blog in Infocatólica. Ich wollte in dieser Notiz nicht über das Problem des gerechten Krieges sprechen, dessen Behandlung in Dignitas infinita ebenfalls sehr problematisch ist.

[3] „Gott in der Geschichte“, Gott heute: 15 Beiträge zur Gottesfrage, Mainz, 1967.

[4] Siehe Anmerkung zum VMF-Interview, veröffentlicht in La Nuova Bussola Quotidiana von Tommaso Scandroglio am 13. April 2024.

[5] Auch wenn man den neoscholastischen Standpunkt vertritt, daß die unmittelbare Regel des Glaubens das Lehramt in seiner Interpretation der Offenbarung ist, kann dies dennoch nicht als Widerspruch zu dem verstanden werden, was dasselbe Lehramt zuvor konsequent und feierlich gelehrt hat, oder zur Klarstellung Bedeutung der Heiligen Schrift (z. B. dass Christus tatsächlich von den Toten auferstanden ist, im Gegensatz zu einer modernistischen Ansicht, dass sein Andenken von seinen Jüngern als lebendig geschätzt wurde). Ich danke Peter Kwasniewski für diese Anmerkung und für die Korrektur der Übersetzung.

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