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Joseph Shaw zu den Überlegungen zur Errichtung eines Ordinariats

04. Juni 2024

4 - Gemeinden und Gemeinschaften

Das Photo zeigt Joseph Shaw als Vortragenden bei einer Veranstaltung der Latin-Mass-Society

Joseph Shaw

Die Überlegungen von P. De Blignières zur Errichtung eines Ordinariats für die Ge­meinden und Gemeinschaften des überlieferten Ritus haben Joseph Shaw von der Latin Mass Society von England und Wales zu einer Weiter­führung veranlaßt, die jetzt bei OnePeterFive veröffentlicht worden ist. Zwar ist die angespro­chene Frage derzeit nicht wirklich aktuell – die Beschäftigung damit bietet jedoch reichlich Anlaß zur Selbstvergewisserung der Tradition über ihre Stellung in der Kirche und die Position der Kirche in der Gegenwart überhaupt.

Joseph Shaw beginnt mit einem Blick auf die Geschichte der Ordinariatsidee insgesamt und schreibt dazu:

Es begint ein Zitat

Der Apostolische Brief von Papst Johannes Paul II „Ecclesia Dei“ von 1988 schuf für die Ordensgemeinschaften und Priesterinstitute der überlieferten Litur­gie einen rechtlichen Rahmen: Die Petrusbruderschaft, das Institut Christus König und Hoher Priester, die Benediktiner von Le Barroux und die ganzen übrigen „Ecclesia-Dei-Gemeinschaften“. Während dieser „Ecclesia-Dei-Periode“ propagierten Una Voce International, Dom Gerard Calvet von Le Barroux und andere die Idee eines traditions­orien­tierten Ordinariats , weil viele Priester Schwierigkeiten hatten, von ihren Bischöfen die Erlaubnis zur Feier der überlieferten Liturgie zu erhalten und weil die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften auch Bischöfe für die Spendung von Priesterweihen, Firmungen usw. brauchten.

Kurz vor Summorum Pontificum erklärte Bischof Fellay, der damalige Obere der Piusbruderschaft, daß er unter Bezug auf diese Vorschläge Papst Benedikt auch darum gebeten habe, eine „kirchliche Struktur für die Familie der Tradition“ zu errichten.

Nach 2007 wurde die Notwendigkeit einer solchen Struktur weniger dringlich empfunden. Selbst wenn die Praxis den theoretischen Vorgaben von Summorum Pontificum nicht entsprach, hatten die Traditionalisten jetzt doch eine weitaus stärkere Position als zuvor. Andererseits bildete die Idee eines Ordinariats nach wie vor einen wichtigen Bestandteil bei den Überlegungen zu einer Wiedereingliederung der SSPX. Dabei war nicht klar, ob ein solches Ordinariat alle Ecclesia-Dei-Gemeinschaften und auch Diözesanpriester, die die überlieferte Messe feierten, umfassen würde, oder nur für die Piusbruderschaft (und vielleicht die mit ihr zusammenhängenden Ordensgemein­schaf­ten) gelten würde.

Es liegt auf der Hand, daß es der SSPX sehr entgegen kommen würde, auf einer ordent­lichen kanonischen Grundlage eine Struktur wie die aktuell de facto bestehende zu er­richten, in der sie über hauseigene Bischöfe zur Spendung der Sakramente verfügen und nicht der Administration möglicherweise ablehnend eingestellter Bischöfe unterlie­gen. Außerdem hätte es für sie nur geringe Bedeutung, ob die Ecclesia-Dei-Gemein­schaften außen vor blieben und die Diözesanpriester weiterhin das Recht zur Bi-Ritualität von alter und neuer Messe behielten.

Was mich und andere in der Una-Voce-Bewegung, mit denen ich mich darüber beraten habe, nun beschäftigt ist die Frage, ob eine derartige kanonische Struktur nicht denen, die der überlieferten Liturgie feindlich gegenüberstehen, nicht eine Mög­lich­keit bieten würde, die Alte Messe und die Entwicklung der Familie der Tradition eher einzuschränken als zu fördern.

Als die Idee eines Ordinariats in den 90er Jahren erstmals propagiert wurde, betrachtete man in der traditionsorientierten Bewegung weitgehend die Bischöfe als das ein­schränkende Element, während zumindest der Heilige Vater uns gegenüber eher aufge­schlossen zu sein schien. Das war nicht falsch, aber die Lage hat sich verändert. Wir haben nun eine Situation, in der eine offen feindlich eingestellte päpstliche Politik im Gegensatz zu einer weitaus offeneren Haltung vieler, wenn nicht aller Bischöfe steht. Wenn man den Bischöfe tatsächlich die Wahl gegeben hätte, ob sie die überlieferte Liturgie zulassen, wie der Einleitungsartikel von Traditionis Custodes irreführen­der­weise andeutet, dann würde es nicht nur wesentlich mehr Meßfeiern geben, sondern ihr verbundene Katholiken, die in ablehnend eingestellten Diözesen leben, hätten auch viel mehr Möglichkeiten, in andere Diözesen auszuweichen.

Wie sich inzwischen herausgestellt hat, wurden die Möglichkeiten der Bischöfe drastisch eingeschränkt, aber trotzdem haben viele Wege gefunden, Gemeinden der Tradition zu beschützen – manchmal öffentlich, manchmal „unter dem Radar“, und das werden die der Tradition verbundenen Katholiken nicht vergessen.

Man kann sich leicht vorstellen, was unter den Bedingungen von Traditionis Custodes geschehen würde, wenn alle überlieferten Messen der Autorität eines einzigen Bischofs oder vielleicht einem für jedes Land unterstünden, der vom Papst eingesetzt worden wäre. Selbst wenn ein solcher Bischof der alten Messe zugeneigt wäre, stünde er unter der strengen Aufsicht des heiligen Stuhles und könnte viel leichter unter Druck gesetzt werden als Massen von Diözesanbischöfen in den verschiedensten Weltregionen. Man kann es unmöglich vorhersehen, aber man kann die Möglichkeit nicht außer acht lassen, daß nicht alle von ihnen der überlieferten Liturgie wohlgesonnen sein würden.

In meinem Artikel für Sedes Sapientiae (dort hat die Diskussion um ein Ordinariat ursprünglich stattgefunden) habe ich ein zweites Problem hervorgehoben. Es ist nämlich so, daß viele Diözesan- und Ordenspriester im Novus Ordo zunächst die überlieferte Liturgie „privat“ etwa an ihren freien Tagen oder zu besonderen Anlässen zu zelebrieren begonnen haben. Nachdem sie es versucht haben, erkennen sie ihren Wert für ihr eigenes geistiges Leben und ihre pastoralen Möglichkeiten, und feiern sie einmal wöchentlich an einem Werktag oder einem Samstag, und dann immer öfter. Nun mögen Priester , die sowohl die alte als auch die neue Liturgie feiern, nicht das Ideal sein – das lasse ich hier zunächst offen – aber wie ich in dem Sedes-Sapienta-Artikel ausführe:

Wir sollten hier nicht nur von einem Stand der Dinge ausgehen, sondern von einer Prozess, den viele Leute auf ihrem Weg zu einer tieferen und reicheren Beschäftigung mit ihrem katholischen Erbe und seiner Spiritualität durch­laufen haben.

Eine Kirche mit nur zwei Möglichkeiten – einem Mainstream, wo es nur den Novus Ordo gibt, und eine traditionalistische Enklave, in der nur die überlieferte Liturgie gefeiert wird – und wo es keine Zwischenstaufen gibt, würde diesen Prozess unterbrechen.

Traditionalisten, die sich für den Gedanken eines Ordinariats einsetzen, denken vermut­lich nicht an die Möglichkeit, daß die überlieferte Liturgie außerhalb dieses Ordinariats verboten werden könnte. Es besteht die Gefahr, daß ein Ordinariat genau zur Rechtfer­ti­gung eines solchen Verbots herangezogen werden könnte. Anders ausgedrückt: Wenn Katholiken, die der überlieferten Liturgie anhängen, ein Ordinariat in dem Glauben unterstützen, daß es nicht exklusiv sei, könnte diese Idee von Inhabern von Machtpositi­onen aufgegriffen und umgesetzt werden, die das ganz anders sehen. Und unsere Gegner hätten zahlreiche Möglichkeiten, ihre Ansichten durchzusetzen. Sie könnten Exklusivität als den Preis für die mit einem Ordinariat verbundenen Vorteile darstellen, sie könnten die negativen Auswirkungen irgendwo im Kleingedruckten verstecken, und sie könnten sie erst nach Errichtung eines Ordinariats offenlegen.

Um dem entgegenzuwirken schlage ich – ohne damit auszuschließen, wie die SSPX eines Tages wieder eingegliedert werden könnte – Folgendes als unverhandelbares Prinzip in alle Überlegungen zur Entwicklung des Rechtsstatus der überlieferten Liturgie aufzunehmen:

Die überlieferte Liturgie ist Erbteil jedes Priesters und aller Laien des lateinischen Ritus und darf daher weder gesetzlich noch praktisch auf die Angehörigen eines traditionalistischen Ordinariats eingeschränkt werden.

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