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Papst Gregor der Große und die
römische Liturgie

30. November 2024

1 - Liturgie

Der Teufel attackiert die Liturgie

Der Teufel attackiert die Liturgie

Die Anhänger der Liturgischen Tradition tun sich schwer mit der historischen Einordnung der von Ihnen so ehrfürchtig bewahrten und verteidigten Liturgien – zumindest im Bereich der populären Sprechweise. Eini­germaßen gedakenlos redet man da vom „Tridentinischen Ritus“, weil das authentische Missale Romanum der römi­schen Kirche nach dem Konzil von Trient durch Papst Pius V. seine heutige Form erhalten hat. Allerdings geht die so bezeichnete Form des lateinischen Ritus weitaus tiefer in die Vergangenheit zurück als „Trient“. Der Canon Romanus ist um die 1000 Jahre älter als das Missale Pius’ V.; er erhielt tatsächlich schon im 6. Jahrhundert die auch heute noch gebrauchte Form und galt bereits damals schon vielen Zeitgenossen als „aus unvor­denk­licher Zeit überliefert“. Möglicherweise geht er in vielen Passagen tatsächlich bis in die Zeit von Papst Damasus (366 – 384), zurück, so daß man den mit diesem Kernstück gefeierten Ritus mit gutem Recht als „Ritus der heiligen Päpste Damasus und Gregor“ bezeichnen könnte. Tatsächlich wird im Bereich der Tradition auch immer wieder der Vorschlag gemacht, statt von „tridentinischem Ritus“ von „Gregorianischem Ritus“ zu sprechen – durchgesetzt hat sich das bisher aber nicht.

Mit dem Namen des Papstes Gregor verbindet die Kirche in der Gegenwart dem gegen­über nicht das Messbuch, sondern die der lateinischen Kirche eigentümliche Form des Chorals – die „Gregorianik“. Aber auch das ist, zumindest hinsichtlich der historischen Terminologie, eher ein Mißgriff: Musikalisch geht der Choral, der heute als Gregorianik bezeichnet wird, eher auf das frühe und hohe Mittelalter zurück. Zumindest werden seine Melodien und die Vortragsweise erst seit dieser Zeit einigermaßen faßbar – einigermaßen deshalb, weil die Methoden der Aufzeichnung sehr begrenzt waren und es bis in die Gegenwart hinein durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wie die frühen Notationen (etwa die sogenannte „Neumenschrift“) zu lesen und zu singen sind. Allgemein folgt man dabei den Forschungsarbeiten und -ergebnissen der Benediktiner von Solesmes aus dem 19. Jahrhundert, die allerdings in den späteren Untersuchungen enorm aufgefächert worden sind.

Beim Versuch, die Ursprünge des liturgischen Chorgesangs möglichst weit zu ihren Ursprüngen zurück zu verfolgen, stießen die Musikhistoriker von Solesmes bereits Ende des 19. Jh. auf eine in relativ wenigen Quellen belegte Form, deren Melodien – soweit erschließbar – sich teilweise deutlich von dem unterscheiden, was dem allgemeinen Kenntnis- und Erwartungsstand entsprach. Außerdem schienen diese Quellen – auch wenn die Manuskripte selbst ebenfalls nicht tiefer als ins 10. Jahrhundert zurückreichen, - einer früheren Zeitschicht als die bisher bekannten anzugehören. Viele Anzeichen sprechen dafür, daß sie bis ins 8, vielleicht sogar ins 7. Jahrhundert zurückgehen – damit ist man zwar noch nicht ganz beim heiligen Papst Gregor, aber doch schon ziemlich nahe dran.

Versuche, die Melodien und die Vortragsweise dieser älteren Quellen zum Klingen zu bringen, führten dann jedoch zu einem äußerst merkwürdigen Befund: Das klang in weiten Teilen ganz und gar nicht „gregorianisch“, sondern erinnerte einerseits an Gesänge der Ostkirchen aus der byzantinischen Tradition, hatte andererseits aber auch unüberhörbare Anklänge an den Orient im weitesten Sinne, also an Musik, wie man sie sowohl aus Israel als auch aus den arabischen (und anderen moslemischen) Ländern hören kann. Jedenfalls standen sie dem musikalischen Orient deutlich näher als den „Kirchentonarten“ des lateinischen Westens, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, sich vorzustellen, daß die Gesänge, die zu den Liturgien des hl. Papstes Gregor gesungen wurden, höchst wahrscheinlich ganz und gar nicht „gregorianisch“ waren. Der Choral, wie er aus diesen Quellen erschlossen werden kann, wird daher in ganz sachlichem Ton als „Altrömischer Choral“ oder „Old Roman Chant bezeichnet“.

Daß dieser altrömische Choral unseren heutigen Ohren sehr „östlich“ klingt, hat leicht nachvollziehbare Ursachen: Zum einen war Rom spätestens mit der Eroberung durch die Goten zu Beginn des 5. Jahrhunderts längst nicht mehr politisches und kulturelles Zentrum des Mittelmeerraumes – dessen Schwerpunkt hatte sich bereits über hundert Jahre zuvor nach Byzanz verlagert, und der römische Papst mag manchem byzan­tini­schen Großkopfe­ten nur als einer von vielen oströmischen Statthaltern des Kaisers im „wilden Westen“ erschienen sein. Alle Wege von Macht und Kultur gingen von Konstan­tinopel aus. Zum zweiten lag Konstantinopel durchaus zeichenhaft an der Nahtstelle zwischen (klassisch griechisch/römischem) Europa und dem von Assur, Babylon, Tyrus und natürlich auch Jerusalem geprägten „Kleinasien“. Als Nicht-Kenner der Musik­geschichte wagen wir hier einmal die Vermutung, daß in Byzanz nicht nur die Musik auf den Straßen, sogar auch bei Hofe und natürlich auch in den Kirchen und Klöstern sehr stark „orientalisch“ geprägt war.

Denn: Die ersten Missionare des Christentums waren allesamt fromme getaufte Juden, und zu ihrem Reisegepäck gehörten nicht nur die (sämtlich in Griechisch, teils aber wohl auch in Aramäisch geschriebenen) Evangelien, sondern auch die Gesänge des Tempels und der Tora-Schulen. Davon zumindest geht Prof.. Eric Werner aus, der sein Lebenswerk unter anderem dem Bestreben widmete, den Gesang der Psalmen im Tempel von Jerusalem aus den älteren erhaltenen Musikbeständen des frühen Christentums und den jüngeren Zeugnissen der synagogalen Tradition zu rekonstruieren. In den frühesten Zeugnissen der kirchlichen Gesangstradition ist dieses jüdische Erbe für sensible Ohren noch deutlich erkennbar; später haben sich seine Spuren unter dem in Rom immer stärker werdenden kulturellen Einfluß des „Westens“ (sprich Franken, aber auch Goten) so weit verdünnt, daß sie in der Gregorianik kaum noch wahrnehmbar sind. Das ist Zeugnis einer seit anderthalb Jahrtausenden stattfindenden „organischen Entwicklung“, die rückgängig zu machen weder möglich noch wünschenswert ist. Die heutige „Gregorianik“, auch wenn sie erst Jahrhunderte nach Papst Gregor entstanden sein mag, ist ein liturgisches Element eigenen Rechtes in der lateinischen Kirche – und nebenbei auch einer der stärksten Impulsgeber für die Herausbildung er europäischen Musikkultur überhaupt.

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