Zur Geschichte und Liturgie des Mittwochs
der Fastenquatember
12. März 2025

Durch Gebet und Fasten vorbereitet empfängt Moses das Gesetz
Kaum hat die große Buß- und Fastenzeit zur Vorbereitung auf das Gedenken des erlösenden Leiden und Sterbens Christi begonnen, drängen sich schon drei weitere Buß- und Bettage ins Blickfeld. Zumindest für die Katholiken, die einer über tausendjährigen Tradition folgen und am Mittwoch, Freitag und Samstag der ersten Fastenwoche die Frühjahrsquatember halten. An diesen viermal im Jahr jeweils zum Übergang zwischen den Jahreszeiten begangenen Quatembertagen danken sie im Bewußtsein ihrer Unzulänglichkeit dem Herrn dafür, daß er die Mühen ihrer Arbeit belohnt hat und bitten, diesen Mühen ein weiteres Mal Segen und Gelingen zu schenken. Die Herkunft des frommen Brauches aus der vormodernen Ackerbau-Gesellschaft ist unübersehbar.
Tatsächlich reichen seine Ursprünge weit in die jüdische und die heidnische Vorgeschichte des Christentums zurück. Inwieweit sie schon in vorchristlicher Zeit mit dem Gedanken von Fasten und Buße verbunden waren, ist ungewiss. Aber die Juden hatten ohnehin in jeder Woche zwei Fasttage – den zweiten und den fünften Tag nach dem Sabbat – d.h. Montag und Donnerstag. Im Christentum ist der Zusammenhang bereits für die früheste Zeit nachweisbar. Für die Westkirche finden sich die ältesten Hinweise zu jahreszeitgebundenen Fasttagen im Liber Pontificalis. Dort gibt es neben den „großen“ Fasten zum Advent und vor Ostern noch drei „kleine“ Fastenwochen, die – möglicherweise in ungefährer Entsprechung zu den jüdischen Hochfesten Pessach, Schawuot und Jom Kippur im 4., 7. und 10 Monat stattfanden. Das wären dann wohl „Tritember“ gewesen.
Diese Fasttage wurden dann später durchaus einleuchtend mit den jahreszeitlichen Bitt- und Dankfesten nach vorchristlich-römischer Gewohnheit „synchronisiert“ – und damit waren es dann endgültig vier Quattuor temporum – Quatember. Erste Belege dafür gibt es aus dem späten 5. Jahrhundert, allerdings blieb die Bestimmung des Zeitplans wohl noch lange lokalen Gegebenheiten und Autoritäten vorbehalten. Erst im 11.Jahrhundert hat Papst Gregor VII. In Abstimmung mit einer zuvor in Rom stattgefundenen Synode die Quatembertag des Frühjahrs fest für die erste Fastenwoche vorgeschrieben, und so blieb diese Vorschrift auch bis zur umstürzenden Neuordnung aller liturgischen Dinge nach dem zweiten Vatikanum in der ganzen Kirche bestehen. Danach hat Rom die „Fastenquatember“ zwar nicht offiziell abgeschafft, aber sie stellte ihre Termine in das Belieben der Bischofskonferenzen und die Messtexte in das der Zelebranten – kein Wunder, daß die Quatember heute im Leben der Kirche weitgehend vergessen worden sind.
Das Bewußtsein des nach dem Konzil zur Lehrautorität erhobenen „modernen Menschen“ neigt dazu, in solchen die Jahrtausende umspannenden Traditionsketten und den damit des öfteren einhergehenden Logik-Brüchen einen Mangel zu sehen, der die ganze Sache entwertet und entbehrlich macht: Das kann weg!
Doch das ist ein Irrtum. Einsichten wie „An Gottes Segen ist alles gelegen“ bleiben auch dann realistisch und wahr, wenn religiöse Bräuche, die ihren Ursprung in natürlichen Abläufen von Aussaat, Regenfall, Sonnenschein und schließlich Ernte haben, in der voll-automatisierten Produktion oder am Computerarbeitsplatz des Home-Office nicht mehr wahrgenommen werden. Und deshalb ist das weitgehende Verschwinden der Quatembertage aus dem Bewußtsein der Gläubigen ein Verlust. Ein kleines Stück vom allgemeinen Realitätsverlust, dessen verheerende Folgen wir in der ihre vermeintliche Rationalität so stolz vor sich hertragenden Gesellschaft der Moderne an allen Ecken und Enden und letztlich auch in ihrem Zentrum beobachten können.
Doch zurück zu den Quatembern. Als eigentliche Quatembertage zählen nur der Mittwoch, der Freitag und später auch der Samstag der jeweiligen Woche. Die Donnerstage waren ausgenommen – möglicherweise, weil der Tag der Einsetzung der Eucharistie ähnlich wie der Sonntag als Tag der Auferstehung einen eher freudig-festlichen Charakter hatte. Vielleicht aber auch, um sich vom jüdischen Fasten am Donnerstag abzusetzen. Bis ins frühe Mittelalter hinein ist hier ein merkwürdiges Mit- und Gegeneinander zu beobachten, in dem eine selbstverständliche Wahrung von Traditionen aus dem Judentum auf der einen Seite mit einer polemisch zugespitzten Ablehnung von Gemeinsamkeiten auf der anderen Seite einhergeht. Die Samstage der Quadragesimas erhielten dann später noch einen ganz eigenen Akzent dadurch, daß an diesem Tag die Weihen der Diakone und Priester sowie der ihnen vorausgehenden niederen Weiheämter stattfanden – so letztmalig verbindlich vorgeschrieben im Kirchenrecht von 1917.
Eine Besonderheit des Mittwochs der Fastenquatember besteht darin, daß die Lesungen dieses Tages noch einmal mit Nachdruck den Beginn der Fastenzeit betonen – der den Gläubigen ja bereits am vorhergehenden Aschermittwoch und dann am ersten Fastensonntag eingeschärft worden war. Gerade in den Zeiten, in denen die meisten Gläubigen und ihre Kleriker ohnehin oft bitteren Mangel litten, hatte das Fasten in Lehre und Leben der Kirche überragende Bedeutung. Fromme Ermahnungen im Gottesdienst und bei der Beichte, sozialer Druck aus Familie und Umwelt, aber auch eigenes Bedürfnis und Sündenbewußtsein sorgten dafür, daß die Fastengebote in einem Grade eingehalten wurden, wie wir uns das kaum vorzustellen vermögen. Dom Gueranger unterstreicht das mit einem heute nur noch schwer nachvollziehbaren Appell „Haben wir also besondere Ehrfurcht vor diesen drei Tagen und bedenken wir, daß wir uns einer doppelten Sünde schuldig machen, wenn wir an denselben das Fasten- oder Abstinenzgebot brechen“. (Bd 5, S. 171) Guéranger begründet diese Strenge in einer Klage über die Zeitläufte, die heute überaus aktuell erscheint:

Warum haben denn (die Klugen dieser Welt) immer noch so sehr viel Mühe, irgendwo ein katholisches Element zu entdecken (und in ihrer Politik zu berücksichtigen)? Die Katholiken haben eben von ihrer Kirche und deren heiligen Übungen Abstand genommen, von Jahr zu Jahr wird der Gottesdienst weniger besucht, man empfängt immer seltener die heiligen Sakramente und Fasten steht nur noch im Kalender. (…) Wo ist die Glaubensinnigkeit unserer Vorfahren? Wo können unsere frommen Übungen einen Vergleich mit der ihrigen aushalten? Erst wenn wir darauf zurückkommen, erst dann wird sich der Herr des ungläubigen Volkes erbarmen wegen der Gerechten, die in seiner Mitte wandeln. Das Apostolat des Beispiels wird seine Früchte tragen und wenn ein schwaches Häuflein Gläubiger für das ungeheure römische Reicht der Sauerteig war, von dem der Heiland sagt, daß er Alles in Gärung bringe, dann wird mitten in einer Gesellschaft, welche noch viel mehr katholische Elemente in sich birgt, als sie selbst glaubt, unser Eifer in Bekenntniß und Übung der Pflichten einer christlichen Heerschaar wahrlich nicht ohne Folgen bleiben.“ (Bd 5, S. 176, f)
Die Messe vom Mittwoch der Fastenquatember beginnt mit dem Introitus, der auch am 2. Fastensonntag gesungen wir: Reminiscere miserationum tuarum, Domine… Es folgen zwei Lesungen aus dem alten Testament, zwischen die das Tagesgebet eingeschoben wird. Die erste Lesung aus dem Buch Exodus (2; 24) bringt die Perikope von der Berufung des Moses zum Aufstieg auf den Berg Tabor zur Entgegennahme der Gesetzestafeln. Der Aufenthalt des Mose auf dem Berg nach einer sechstägigen Vorbereitungszeit dauerte dann noch weitere 40 Tage. Was während dieser Zeit geschah, ist nicht ausdrücklich überliefert – wegen der 40 Tage wird traditionell angenommen, daß es sich um eine Fastenzeit gehandelt habe. Nach Graduale und Tagesgebet folgt dann die zweite Lesung aus dem 3. Buch der Könige (3. Reg. 19;) von der Verzweiflung des von König Achab verfolgten Propheten Elias, der in die Wüste floh und zum Herrn und sprach: „Es ist genug, Herr, nimm meine Seele von mir, ich bin nicht besser als meine Väter.“ Doch der Herr schickte ihm zwei mal einen Engel mit stärkender Nahrung, „und in der Kraft dieser Speise ging er vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb.“
Nach dem Tractus folgt dann als Evangelium der Ausschnitt aus Matthäus 12, in dem die Jünger den Herrn um ein Zeichen (seiner Messiasschaft) bitten – worauf Jesus ihnen „das Zeichen des Propheten Jonas“ vorträgt und auslegt: „Gleich wie Jonas drei Tage und drei Nächte im Bauch des Seeungeheuers war (nach Jona 2),so wird auch der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde verharren.“ Danach das weitere Gleichnis von der Austreibung des bösen Geistes, der ruhelos umherschweift und schließlich zu seinem früheren Wirt zurückkehrt und, da er die alte Wohnung gereinigt und gefegt vorfindet, noch sieben weitere Dämonen mitbringt. „Die letzten Dinge dieses Menschen werden schlimmer sein als die ersten“. Und schließlich die Passage, in der Jesus scheinbar seine Familie verleugnet um auf seine Jünger zu verweisen: „Jeder, der den Willen meines Vaters tut, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter“.
Der Zusammenhang dieser drei Teile und damit die Bedeutung der ganzen Perikope erschließt sich nicht leicht. Am nächsten liegt noch eine Interpretation, die darin eine Mahnung sieht, die Dinge nicht nach dem zu beurteilen, was sie zu sein scheinen, sondern mit den Augen des Glaubens und nach dem Willen Gottes wahrzunehmen. Das nachfolgende Offertorium (aus Ps. 118) kann dieses Verständnis stützen: „Ich überdenke Dein Gebot, das ich gar innig liebe; ich strecke meine Hände aus nach Deiner Satzung, die ich erwählt habe.“
Die bloße Erfüllung des Fastengebotes allein, so könnte man den größeren Zusammenhang mit dem Tagesgedanken herstellen, ist noch nicht alles: Es muß aus dem rechten Geist der Gottesfurcht und Gottesliebe hervorgehen.
Im Missale des Novus Ordo versucht das Messformular des Mittwochs nach dem ersten Fastensonntag hier Eindeutigkeit herzustellen: Nachdem es zunächst Introitus und Tagesgebet der traditionellen Messe zum Quatembermittwoch der Fastenzeit (in vereinfachter Form) referiert, bringt es als erste Lesung die Erzählung vom erfolgreichen Fastenaufruf des Propheten Jona (Jona 3, 1 – 10) an die Bewohner von Ninive und einige durchaus passende Zwischengebte sowie als Evangelium aus Lukas 11 alleine die dort auch noch gekürzt überlieferte Antwort Jesu auf die Bitte seiner Jünger nach einem Zeichen. Diese veränderte und verkürzte Auswahl kann das Verständnis möglicherweise erleichtern – auch wenn dabei wichtige Aspekte unberücksichtigt bleiben.
Insgesamt, so läßt sich der Vergleich zusammenfassen, macht die Messe der Reformliturgie zum Mittwoch nach dem ersten Fastensonntag starke Anleihen beim Messformular des (auf den gleichen Tag fallenden) Quatembermittwochs in der Fastenzeit – ohne dessen Komplexität voll wiederzugeben. Das muß per se nicht verfehlt sein – selbst wenn damit bedauerliche Verluste einhergehen.
Unabhängig von dieser „pastoralen“ Begründung kann der Vergleich jedoch auch zu dem Verdacht führen, daß die Messe zum Mittwoch der ersten Fastenwoche ursprünglich als „Ersatz“ für die Quatembermesse konzipiert war, daß also das Konzept der Quatembertage selbst vollständig aus dem Messbuch getilgt werden solle. Verstärkt wird dieser Verdacht dadurch, daß die Quatembertage im reformierten Missale äußerst lieblos behandelt werden. Sie haben keine eigenen Formulare, weder im Jahreskreis noch bei den Messen zu besonderen Anlässen, sondern werden nur sehr kursorisch im letzten und möglicherweise nachträglich angehängten Kapitel der einleitenden „Normae universales“ unter der Überschrift „De Segregationist et Quattuor anno Temporitus“ erwähnt:

(46) Wenn die Bitt- und Quatembertage an einzelnen Orten oder dem Verlangen der Gläubigen gefeiert werden, obliegt die Bestimmung der Einzelheiten und des Zeitpunkte den zuständigen Bischofskonferenzen (…) (47) Dazu kann man unter den Formularen der Messen zu verschiedenen Anlässen diejenigen auswählen, die für den jeweiligen Anlaß am besten geeignet sind. (Lat. Ausgabe „Editio typica altera“ von 1975, S. 106)
Nach einem Herzensanliegen der Verfasser des neuen Messbuches klingt das nicht. Es waren eben „moderne Menschen“, ganz auf der Höhe (ihrer) Zeit.
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