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Theologie der Selbstermächtigung.
Goethes Prometheus und die „synodale Kirche“

18 März 2025

Von P. Joachim Heimerl von Heimthal

6 - Kirchenkrise

Der heldenhafte Prometheus steht hoch aufgereckt in der Bildmitte, in der erhobenen rechten Hand die Fackel mit dem den Göttern entwendeten Feuer - der Vernunft. Im dunkel des Vordergrunds kaum erkennbar due Gestalt der noch unerleuchteten, unaufgeklärten Menschheit.

Prometheus bringt das Licht der tätigen Vernunft

Das wirklich Komische am Modernismus in Kirche und Gesellschaft ist, daß er in vielem alles andere als „modern“ ist, sondern immer wieder auf vermeintliche Erkenntnisse zu­rück­fällt, die Andere schon zwei oder mehr tausend Jahre vorhergewonnen zu haben glaubten – und die von wieder Anderen seit­dem auch immer wieder angezweifelt oder widerlegt oder auch wieder neu aufgebracht worden sind

Sich gelegentlich mit derlei Erscheinungen auseinanderzusetzen, wie P. Heimerl das in seinem heutigen Beitrag zu Goethes „Prome­theus“ tut, ist nicht Tradi­tionspflege der Tradition willen, sondern eine gute Methode, dem je­weils gerade die Herrschaft beanspruchenden Wahn mit mehr Gelas­seneheit zu begegnen.

Aus dem Schulunterricht kennen die meisten Goethes Hymne „Prometheus“, die zwischen 1772 und 1773 entstanden ist. Goethe selbst hat das Gedicht als einen Schlüsseltext gesehen, in dem er anthropologische und theologische Grundsätze entwickelte. Er tat dies im Rück­griff auf einen antiken Mythos, der aber im Grunde keine Rolle spielt, er bleibt eine Maskerade. In der Hauptsache geht es dagegen um einen Dauerbrenner: um den Konflikt zwischen dem Sohn und seinem Vater, vor allem aber um das Verhältnis zwischen Gott und Mensch.

Goethe kommt es vor allem darauf an, hier ein neues Bewusst­sein darzustellen, immerhin gehört die Hymne zu den richtungsweisenden Texten des „Sturm und Drang“. In dieser Zeit, die man auch „Geniezeit“ nennt, pocht das Subjekt auf seine Autonomie. Es befreit sich aus seinen religiösen und sozialen Abhän­gig­keiten und ermächtigt sich selbst. - Die Französische Revolution ist nicht mehr zu weit entfernt.

In dieser Zeit wird Goethes Prometheus zum Symbol dieses neuen Menschentyps; man könnte sagen: zum Modell des modernen Menschen schlechthin. Für den zählen über­kommene Ordnungen und Autoritäten nicht mehr, die göttliche Autorität mit einge­schlossen. Was zählt, ist der neue Mensch: das „Genie“.

Der prometheische Mensch ist deshalb ein Rebell, der wie alle Rebellen zuerst einmal gegen seinen göttlichen Vater aufbegehrt. Dies macht Prometheus schon am Beginn der Hymne klar: „Bedecke Deinen Himmel, Zeus“ - Das ist eine markige Absage an Gott und alles Transzendente, vor allem aber ist es eine Absage ans Christentum; „Prometheus“ ist Goethes endgültige Abkehr vom christlichen Gottesbild. Dementsprechend hat man die Hymne als regelrechtes Anti-Gebet verstanden, als Kontrafaktur zum „Vater Unser“: Der Mensch weist Gott in seine Schranken und möchte von ihm unbehelligt bleiben: „Dein Reich komme“ - von wegen. Prometheus will von Gott ganz anderes; es ist, als würde er sagen: „Hau endlich ab!“

Ebenso hat der moderne Mensch Gott weit ins Abseits gestellt, ins Jenseits, denn nur da gehört er seiner Ansicht nach hin. Er selbst dagegen beharrt auf sein Diesseits, in dem Gott nicht mehr wirken darf. Die Erde ist „seine“ Erde, das sagt auch Prometheus ganz klar, und weist mit großer Geste auf alles, was er sich aufgebaut hat: „Hütte“ und „Herd“ stehen symbolisch dafür, sie umfassen alle materiellen Güter. Vor allem stehen sie aber aber für eins: An seiner Macht wird die Machtlosigkeit Gottes offenbar; der Glaube taugt nur mehr für „Kinder und Bettler“, wie Prometheus sagt, für „hoffnungsvolle Toren“.

Prometheus weiß selber, wovon er hier spricht: Die Abkehr vom Vatergott geschieht aus einer Enttäuschung in seiner Kindheit heraus; „Traumabewältigung“ sagt man heute zumeist dazu. Er wirft Zeus vor, er habe ihn als Kind schlichtweg im Stich gelassen. Dafür dreht er den Spieß jetzt um. Als Erwachsener macht man sich schließlich eigene Gottesbilder - oder am besten gar keine mehr.

Auf jede Abkehr vom Alten folgt aber immer ein Hinwendung zum Neuen, und bei Prometheus ist dies die Hinwendung zum eigenen, zum genialen Ich. Dieses „Ich“ ist folgerichtig das letzte Wort der Hymne; der ganze Text verengt sich fulminant darauf hin.

Diese Verengung ist zugleich ein Grundprinzip des Goetheschen Denkens, das er in seiner Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ mit dem Luzifer-Mythos illustriert. Demnach ist der Selbstbezug ein Grundimpuls des genialen Menschen, der zur unbe­dingten Freiheit und zur Selbstbestimmung führt. Für Prometheus gibt es deshalb nur noch einen Gott: sein eigenes „heilig glühend Herz“.

Spätestens hier ist klar, worum es Goethe geht, nämlich um die luziferische Vergött­lichung des Menschen. Goethe nennt das eine radikale „Verselbstung“, den äußersten Ich-Bezug.

Weil der Mensch selbst göttlich ist, ist er nach Goethe auch ein gottähnlicher Schöpfer oder hält sich wenigstens dafür. Dementsprechend erschafft Prometheus am Ende die Menschen nach seinem eigenen Bilde. Das ist wieder ein biblischer Anklang und wieder ist es vor allem eine radikale Absage an Gott. Dem „Anti-Vater Unser“ folgen konsequent nun Taten. Prometheus verstetigt seine Rebellion, indem er sich über Generationen hinweg selbst dupliziert.

250 Jahre nach ihrem Entstehen ist die „Prometheus“-Hymne noch immer aktuell. Aller­dings hätte sich Goethe nie gedacht, dass sein Text ein Menschenbild vorwegnimmt, das ausgerechnet die katholische Kirche in Deutschland für sich entdeckt, und das man in Rom zur „synodalen Kirche“ fortentwickelt hat.

Auch dort hat man sich bekanntlich zu einer radikalen „Verselbstung“ entschlossen; sie spricht aus jedem Dokument der sogenannten „Weltsynode“ (2024) und ist ebenso „luziferisch“, wie es Goethes Menschenbild ist. Man nimmt nicht mehr an Gott, der Offenbarung und an der Überlieferung Maß, sondern bastelt sich ein eigene Anthro­po­logie, genau wie es im Spiegel des Gedichts Prometheus mit der Schöpfung der Men­schen tut.

Dieses „synodale“ Menschenbild stammt ganz aus der Welt und ist auch nur von dieser Welt; im fehlt jeder biblische Bezug. Es ist ausschließlich vom Zeitgeist und der Gender­ideologie geformt, weit weg vom überkommenen Gottes- und Menschenbild. Dafür ist es ganz nah an sich selbst. Dementsprechend ist es „hetero“, „homo“, „nonbinär“ und „divers“; im Grunde weiß es selbst nicht, was es in diesem Durcheinander ist. Ganz sicher aber ist es das Produkt einer „Theologie der Selbstermächtigung“, einer prometheischen Rebellion: Kraft eigener Autorität gibt sich der Mensch nun selbst eine neue „Moral“. Was zählt, ist nur noch die Richtlinie des eigenen Herzens, die man heute einfach den „Glaubenssinn“ nennt. Der wieder gilt als so unfehlbar wie die prometheische Berufung auf sich selbst und das „heilig glühend Herz“. Kurzerhand schafft man mittels des „Glaubens­sinns“ die Gebote Gottes und die Sünde ab; man legt selber fest, was „gut“ und „böse“ ist.

Kaum jemand bemerkt, wie rasch man damit der Schlange auf den Leim gegangen ist, die eben dies schon den ersten Menschen im Paradies versprach: „Ihr werdet sein wie Gott und Gutes wie Böses erkennen...“ (Gen. 3, 5). Genau das aber ist wieder der Wunsch des Prometheus, und dieser Wunsch hat sich, wie man weiß, schon bei Adam und Eva nicht erfüllt. Stattdessen zeigen Geschichte und Literatur, wohin es führt, wenn Menschen sich selbst ermächtigen und radikal „verselbsten“, erst recht wenn sie sich selber schräge Men­schen­bilder basteln.

Goethe selbst ahnte schon bald, dass sein Prometheus aus diesem Grund in einer Sack­gasse steckt und hat der Hymne mit „Ganymed“ (1774) eine Alternative gegenüber gestellt.

Auch die „synodale Kirche“ bräuchte nicht lange zu suchen, um aus ihrer Sackgasse herauszukommen. Eine Alternative fände sie in der simplen Neuausrichtung am christ­lichen Menschenbild.

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