Klarheit in Lehre und Urteil ist die erste Hirtenpflicht
08. April 2025

Weide meine Lämmer, weide meine Schafe
Seit dem Erlaß von Traditionis Custodes stehen die Priester und Gemeinden, die an der liturgischen Tradition der Kirche festhalten, unter der Drohung, das gegenwärtige Kirchenregiment könne die Feier der Liturgie im überlieferten Ritus gänzlich verbieten. Am bösen Willen dazu mangelt es nicht – aber rechtlich fehlen alle Voraussetzung dafür, ein solches Verbot zu verhängen. Und würde die Liturgie-Administration dennoch einen dahingehenden Versuch unternehmen, wäre dieses Verbot nicht nur rechtswidrig, sondern auch unwirksam und könnte keinen Anspruch auf Befolgung erheben.
Das ist, in wenigen Worten zusammengefasst die Grundaussage eines ausführlichen Textes, den Peter Kwasniewski unter der Überschrift „Braucht ein Priester eine Erlaubnis, um die überlieferte Liturgie zu feiern? “ am 3. April auf seiner Website Tradition and Sanity veröffentlicht hat. Das Datum war nicht willkürlich gewählt: Am 3. April des Jahres 1969, also vor 56 Jahren, hat Papst Paul VI. sein Reform-Missale promulgiert und mit dem Anspruch, damit die einzig zulässige Form der Messfeier geschaffen zu haben, der Kirche eine Wunde zugefügt, die bis heute nicht verheilen konnte. Kwasniewski gibt in seinem Artikel eine ausführliche Übersicht über sämtliche Dokumente und Maßnahmen, die in diesem halben Jahrhundert erlassen worden sind, um die damals geschaffene Situation zu bewältigen. Wir können die vollständige Lektüre seines hier nur gerafft wiedergegebenen Artikels nur sehr empfehlen.
Für seine Übersicht stützt sich Kwasniewski ganz wesentlich auf Dokumente und Argumente, die John Salza und Robert Siscoe bereits 2015 in ihrem gegen die Irrtümer des Sedisvakantismus gerichteten Buch „True or False Pope“ (derzeit nur als E-Book erhältlich) ausgebreitet haben und ergänzt sie durch seitdem neu hinzugekommene Einsichten. Sehr kurz zusammengefasst sieht diese Argumentationsreihe folgendermaßen aus:
1. Bereits in der Apostolischen Konstitution „Missale Romanum“ in ihrer lateinischen Fassung ist kein kirchenrechtliches Verbot der bisherigen Liturgie oder Gebot für die exklusive Verwendung des neuen Missales ausgesprochen. „Die Konstitution“ so fasst Kwasniewski das zusammen „drückt zwar in starker Rhetorik den Wunsch des Papstes aus, daß sein neues Missale allgemein angenommen werde – bleibt dabei jedoch rechtlich unverbindlich. Allerdings haben fehlerhafte Übersetzungen dann dazu beigetragen, einen Eindruck von verbindlicher Promulgation und Verpflichtung zu verbreiten, der so nicht im lateinischen Original steht.“ Eine solche bindende Verpflichtung sei auch in der anschließenden Gesetzgebung nirgendwo ausgesprochen – wenn auch immer wieder der Eindruck erweckt worden sei, daß eine solche Verpflichtung bestehe. Auf dieser Grundlage habe Papst Benedikt zu Recht feststellen können, daß die überlieferte Liturgie niemals rechtlich „abgeschafft“ oder „ersetzt“ worden sei.
2. In diesem Zusammenhang sei zu unterscheiden zwischen a) dem, was die Absicht eines Gesetzgebers sei, und b) dem, was ein Gesetz dann tatsächlich enthalte und aussage und schließlich c) dem, was ein Gesetz überhaupt enthalten und aussagen könne. Ein rechtliches Verbot der überlieferten Liturgie sei jedoch schlichtweg unmöglich. Tatsächlich sei ein solches Verbot auch niemals ausnahmslos durchgesetzt worden. Nicht gegenüber Klöstern, die beim alten Ritus geblieben seien, und – wie wir hinzufügen wollen – auch nicht gegenüber jenen traditionsbewußten Kreisen in England, die mit dem „Agatha-Christie-Indult sogar eine päpstliche Erlaubnis erhielten, den eben nicht „abgeschafften“ alten Ritus weiterhin zu praktizieren – wenn auch unter stark einschränkenden Auflagen.
3. Diese Bedenken gegen die Möglichkeit, unter Berufung auf „das Konzil“ die Abschaffung des traditionellen Ritus anzuordnen, werde noch dadurch verschärft, daß die vom Papst promulgierte Reform des Consiliums weit über das hinaus gegangen sei, was das Konzil selbst der Reformkommission quasi als Auftrag erteilt habe. Man könne dem Papst zwar nicht die Fähigkeit bestreiten, ein solches Missale zu erlauben, aber er sei nicht berechtigt, damit das bestehende Missale zu ersetzen – also abzuschaffen.
4. Zur Bekräftigung dieser Meinung führt Kwasniewski sodann die Ergebnisse der sogenannten Stickler-Kommission an, die 1986 von Papst Johannes-Paul II. speziell zur Klärung des rechtlichen Status der überlieferten Liturgie eingesetzt worden war. Diese Ergebnisse waren zwar nie offiziell veröffentlicht worden, sind aber aus einem Interview mit Kardinal Stickler aus dem Jahre 1997 hinreichend bekannt geworden: Acht von neun der Kommission angehörenden Kardinäle bekräftigten danach die Ansicht, daß die „alte Messe“ auch von Paul VI. nicht „abgeschafft“ worden sei, und alle neun waren sich darin einig, daß kein Bischof seinen Priestern die Zelebration nach dem überlieferten Meßbuch verbieten könne.
Papst Johannes Paul II nahm diese Kommissionsmeinung zustimmend zur Kenntnis – verzichtete dann jedoch aus kirchenpolitischer Rücksichtnahme auf eine autoritative Erklärung zu diesem Sachverhalt. Statt dessen veröffentlichte er (am 2. Juli 1988) das apostolische Schreiben „Ecclesia Dei“, das zwar auf eine grundsätzliche Klärung verzichtete, für alle praktischen Zwecke jedoch die Möglichkeit zur Praktizierung der überlieferten Liturgie beträchtlich über das bereits von Paul IV. eingeräumte Indult hinaus erweiterte.
5. Papst Benedikt ging dann 2007 mit Summorum Pontificum gleich mehrere Schritte auf diesem bereits von seinen Vorgängern beschrittenen Weg weiter und erklärte ausdrücklich – wenn auch ebenfalls nicht in einer kirchenrechtlich verbindlichen Form – daß das überlieferte Missale niemals von Rechts wegen abgeschafft worden und sein Gebrauch daher weiterhin erlaubt sei. Diese Meinungsäußerung erhielt dadurch eine grundsätzliche Dimension, daß er erklärte: „Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein.“
Papst Franziskus – damit gehen wir hier über die von Kwasniewski angesprochene Traditionskette hinaus – scheint dieser Ansicht – wenn auch widerstrebend – ebenfalls zuzuneigen und sah sich jedenfalls bisher außerstande, dem offiziell und aus höchster Autorität zu widersprechen. Traditionis Custodes geht zwar mit der Formel vom Novus Ordo als „ein(zig)en Form der lex orandi für die lex credendi der Kirche“ nach dem Konzil nahe an eine prinzipielle Absage heran – tut dies jedoch in einer begrifflich so unklaren und rechtlich unverbindlichen Form, daß daraus keine eindeutige Rechtswirkung abzuleiten ist. Statt dessen bleibt auch TC bei dem im Prinzip schwer bestreitenden päpstlichen Vorrecht zur Regelung der Liturgie – welches dieses Dokument dann in höchst schikanöser Weise anwendet mit dem klar erkennbaren Ziel, die praktische Verwendung der überlieferten Liturgie immer weiter zurückzudrängen und nach Möglichkeit ganz aus dem Rechtsraum der Kirche zu verbannen.
Ohne explizit auf TC und Folgen einzugehen, stellt Kwasniewskis dieser klar erkennbaren Tendenz unter Berufung auf seine zuvor dargestellte Ableitung der tatsächlichen Rechtssituation folgende Feststellungen gegenüber:
Es ist an der Zeit, daß wir damit aufhören, leichthin mit Begriffen wie ,Erlaubnis‘ oder ‚Bevollmächtigung‘ zu hantieren. Wir müssen sie präzise und korrekt verwenden. Daraus zieht er dann folgende Schlüsse:
- Priester brauchen keine ,Erlaubnis‘ um die alte Messe zu zelebrieren.
- Priester haben nie eine ,Erlaubnis‘ zur Zelebration im überlieferten Ritus benötigt.
- Niemand kann ihnen diese Zelebration verbieten.
- Niemand kann von ihnen verlangen, ausschließlich nach dem neuen Missale zu zelebrieren.
Dem können wir im Prinzip in vollem Umfang zustimmen. Man sollte jedoch nicht übersehen, daß Priester – anders als Laien – in dieser Situation in schwere Gewissenskonflikte gestürzt werden können. Sie haben schließlich ihrem Bischof in die Hand Gehorsam gelobt – und dazu gehört auch, nicht leichthin darüber entscheiden zu wollen, welche Anforderungen des Bischofs berechtigt, zumutbar oder als erkennbar in Sünde führend abzulehnen sind. Auf diesen Konflikt kann es im praktischen Leben nicht nur eine einzige und allgemein gültige Antwort geben.
Wo vom Gehorsam die Rede ist, ist allerdings stets ein oft in den Hintergrund gedrängter Umstand zu beachten: Es gibt nicht nur eine Gehorsamspflicht der Priester, sondern auch eine Fürsorgepflicht ihrer Oberen – und die gebietet es diesen Oberen bis hinauf in die Spitze, die ihnen Anvertrauten nicht in vermeidbare Gewissenskonflikte zu stürzen und ihnen Entscheidungen über Gegenstände zuzumuten die in Unzweideutigkeit und Klarheit auf gesamtkirchlicher Ebene getroffen werden müssten – erforderlichenfalls durch eindeutige rechtliche Regelungen. Dieser Pflicht ist auch durch ein publikumswirksam dahin gesprochenes „Wer bin ich, um zu urteilen?“ nicht zu entkommen, im Gegenteil: Auf der Grundlage der von Christus gegebenen und von den Aposteln überlieferten Lehre zu urteilen und entscheiden ist die erste Hirtenpflicht.
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