Wessen Nachfolger wird Papst Leo XIV ?
10. Mai 2025

Papst Leo bei der Messe in der Sixtina am 9. 5.
Wenn Papst Leo XIV den Gläubigen, die an den Traditionen der Kirche festhalten wollen, den Eindruck vermitteln wollte, „der Albtraum ist vorbei“, dann ist ihm das mit seinem ersten Auftritt auf der Loggia der Peterskirche durchaus gelungen. Doch ist er tatsächlich der Mann, der einen Brückenschlag zwischen den traditionellen Formen und der überlieferten Lehre der Kirche und den oft beides sprengenden Vorstellungen seines unmittelbaren Vorgängers Franziskus bewerkstelligen kann?
Der ganze Auftritt des neuen Papstes signalisierte jedenfalls den Willen zur Anknüpfung an die Tradition – von der päpstlichen Mozetta, die Franziskus abgelehnt hatte, bis zur Wahl des Namens und lateinisch gesprochenen Gebeten auf der Loggia. Seine Ansprache klang einerseits so, wie Leute, die einfach nur katholisch sein wollen, das von einem neu gewählten Papst hören wollen – enthielt andererseits aber auch genug Stichworte aus dem Programm von Franziskus, um dessen Anhängern Hoffnung zu geben, diesem Programm weiterhin verpflichtet zu sein. So wollten es jedenfalls die Zentralorgane der Modernisten wie etwa der National Catholic Reporter (nicht zu verwechseln mit dem NC-Register) sehen, der neben dem langsam in die Jahre kommenden Konzilsgeist nun einen Geist von Franziskus heraufbeschwor, um den von diesem angestrebten Traditionsbruch unumkehrbar zu machen. Nicht nur in Deutschland beanspruchten die Bätzinge und Marxens sogleich den neuen Papst als einen der ihren, um ihre oft noch über Franziskus hinausgehenden Säkularisierungspläne zu unterstützen. (Ein Beispiel hier)
Viele Vertreter der Medien verstanden den Friedensgruß mit den Worten des Auferstandenen, mit dem Leo seine Rede eröffnete, als Ankündigung eines politischen Pontifikats und zitierten seine Ermutigung „Das Böse wird nicht gewinnen“ gerade so, als sei es aus der Perspektive der NATO gesprochen: Für die übernatürlichen Dinge fehlt ihnen jedes Sensorium.
Erste Recherchen traditionsverbundener Medien, die den neuen Mann bisher eben so wenig auf dem Schirm hatten wie die meisten anderen, schienen solche Befürchtungen zu bestätigen. John-Henry Westen von LifeSite News veröffentlichte eine Liste von „Fünf beunruhigenden Punkten “ – darunter neben tagespolitischen Leichtgewichten wie angeblicher Trump-Gegnerschaft oder Unterstützung einer freizügigen Einwanderungspolitik auch schwerer wiegende Vorwürfe: Kardinal Prevost sei ein Unterstützer der Franziskus'schen Synodal-Ideologie, er habe als Präfekt der Bischofs-Kongregation die Entlassung unter anderem der Bischöfe Rey (Fréjus-Toulon) und Strickland (Tyler, Texas) betrieben. Auch sei seine Haltung zu bedenklichen Lehraussagen von Franziskus in Amoris Laetitia und Laudato Si mehr als unklar.
Peter Kwasniewski, der sich ebenfalls zu einer Reihe von Bedenken bekannte, faßte diese so zusammen:

Leo XIV. wird zwar einen deutlich besseren Regierungsstil haben, aber die meisten politischen Maßnahmen und Pläne von Franziskus fortführen; er wird dieses Erbe zementieren, wenn auch diskreter und leiser, ohne all das Melodrama; er wird daran arbeiten, Bergoglios Erbe zu normalisieren und zu institutionalisieren – es sozusagen mit einem Lächeln zu übertünchen, seine Ecken und Kanten zu glätten und es tief in Personal und Strukturen zu verankern. Tatsächlich wird ein Papst, der von dieser Vision beseelt ist, wenn auch nur einigermaßen intelligent, seinen Charme voll ausspielen und die Kontroverse abschwächen, um die beständige Umsetzung von Amoris Laetitia, Fiducia Supplicans, Abu Dhabi, Traditionis Custodes usw. zu decken.
Hier ist nicht der Ort, um auf derartige Vorwürfe und Bedenken – die Liste wurde später von anderen Autoren noch erweitert – im Einzelnen einzugehen. Dazu wird sich erforderlichenfalls später noch Gelegenheit bieten.
Doch nachdem wir alle einen weiteren Tag Zeit für tiefer gehende Recherchen und Überlegungen hatten, haben sich die meisten Vorwürfe schnell relativiert, so daß sich in vielem ein deutlich positiveres Bild ergibt. Als schwerwiegendster Vorwurf bleibt, daß Kardinal Prevost als Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe nicht nur die Entlassung glaubenstreuer, sondern auch die Ernennung modernistischer und häretischer Bischöfe betrieben oder zumindest hingenommen habe. Zwar weiß man, daß Franziskus hemmungslos in die kurialen Behörden hineinregierte, auch über den Kopf der von ihm selbst ins Amt gebrachten Präfekten hinweg – aber wäre es da nicht angebracht gewesen, eher zurückzutreten als ungerechte Verfügungen zu unterschreiben? Die Frage ist erlaubt, aber auch die Gegenfrage: Hätte Robert Francis Prevost in diesem Fall die Chance gehabt, zum 267. Bischof von Rom gewählt zu werden? Wobei er dieses Amt vermutlich nie bewußt angestrebt hat – aber er hat sich den Weg auch nicht verbaut. Und nun ist er Papst und kann selbst entscheiden, was gelten soll und was nicht – daran wird er zu messen sein.
Der Caminante Wanderer drückt seine Überlegungen in einem Beitrag vom 9. Mai unter der Überschrift: „Warum ich mäßig optimistisch bin“ folgendermaßen aus:

Der Irrtum, der meiner Meinung nach in den meisten Teilen der Weltpresse und auf vielen traditionalistenfreundlichen Websites herrscht, besteht darin, daß man glaubt, Leo XIV. werde ein Franz II. sein, weil Prevost ein Mann Bergoglios war. Ich bin diesbezüglich mäßig optimistisch (…) Während Bergoglio seine Jesuitenausbildung kaum abgeschlossen und nie wieder in seinem Leben ein Buch in die Hand genommen hatte, verfügt Prevost über einen Abschluss in Mathematik, einen Magister in Theologie und einen Doktortitel in Kirchenrecht. Er ist ein kultivierter Mann, der Wert auf Studium und ernsthafte Ausbildung legt, obwohl er auch Missionar ist.
Kommen wir zu etwas noch Wichtigerem: der Messe, die vor wenigen Stunden in der Sixtinischen Kapelle gefeiert wurde. (Hier ein eineinhalb-stündiges Video auf YouTube). Ich hätte es tatsächlich vorgezogen, wenn er den Hoch- und nicht den Volksaltar benutzt hätte und daß er schönere Gewänder getragen hätte, aber ich muß sagen, daß es lange her ist, daß ich eine so katholische und theologische Predigt gehört habe. Er sprach schlicht und einfach von Christus. Ich kann Ihnen nur wärmstens empfehlen, es anzuhören, denn es ist erbaulich. Christus als Mittelpunkt der Kirche, der Geschichte und unserer Herzen. Er sprach nicht über die synodale Kirche, die Armen, den Dialog oder den Klimawandel: Er sprach über Christus. Er erwähnte weder Kardinal Kasper, Bergoglios „Theologen auf den Knien“, noch Léon Bloy; Er zitierte keinen anderen als den Heiligen Ignatius von Antiochia. Das heißt, wir haben einen christlichen Papst, und mit mäßigem Optimismus würde ich sogar behaupten, daß wir einen katholischen Papst haben.“
Und wir haben – um dem eine eigene Beobachtung aus eben dieser Meßfeier hinzuzufügen – einen Papst, der das Gloria in lateinischer Sprache singen und vor dem Allerheiligsten niederknien kann. Daran, daß Prevost/Leo XIV tatsächlich katholisch ist, kann es keinen Zweifel geben: Er ist Nachfolger des von Christus zur Nachfolge eingesetzten Petrus.
Doch das bedeutet bei realistischer Sicht der Dinge noch nicht, daß wir von Papst Leo alsbald oder zumindest in absehbarer Zeit erwarten können, daß er Schriften und Akte seines Vorgängers öffentlich und explizit korrigiert, zurücknimmt oder verurteilt. Wenn es wirklich seine Absicht (und der ihm im Konklave mitgegebene Auftrag) ist, einen Brückenschlag zu versuchen und die von seinem Vorgänger so brutal vertiefte Spaltung in der Kirche zu verringern, wären solche Schritte eher kontraproduktiv – wie an der von Franziskus verfügten Aufhebung von „Summorum Pontificum“ seines Vorgängers Benedikt zu erkennen ist. Hier sind subtilere Verfahren angeraten.
Welche Mittel ihm für einen solchen Brückenschlag zur Verfügung stehen, welche er anwenden wird – und ob diese schließlich zu Erfolgen führen – wird abzuwarten sein. Mit Geduld, Gebet und Beharrlichkeit – und der Bereitschaft, auch selbst über den Status Quo hinauszudenken.
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