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Wider die Hermeneutik des Mißtrauens

26. Mai 2025

& - Kirchenkrise

Der Leichnam des verstorbenen Papstes sitzt in seinen Amtgewändern auf einem in einem Krypta-Gewölbe aufgeschlagenen Thron, vor ihm in anklagender Geste Papst Stephan.

Stephan VI verurteilt Vorgänger Formosus

Viele Anhänger der Tradition schauen derzeit beunruhigt auf die Entwick­lungen um die Wallfahrt Paris-Chartres – wir hatten darüber berichtet – und auf das brutale Vorgehen des Bischofs von Charlotte, der sämtliche bisher in Pfarrkirchen statt­fin­denden Zelebrationen der überlieferten Liturgie untersagt hat und die Besucher von ursprünglich 28 Sonntagsmessen auf eine Art ökumenische Autobahnkapelle verwiesen hat. Dort darf dann ein Diözesanpriester am Sonntag zwei Messen nach dem alten Ritus zelebrieren – das wars. In beiden Fällen richten sich hoff­nungsvolle Blicke auf den neuen Mann in Rom, immer öfter unterlegt mit skeptischen Untertönen oder offenen Anzeichen von Ungeduld: Wenn Papst Leo dem nicht sofort Einhalt gebie­tet, dann brauchten wir nicht mehr darauf zu hoffen, daß er den von seinem Vorgänger neu angefachten Krieg gegen die Tradition beendet. Besonders Ungeduldige wie z.B. Erbischof Vigano haben ihr Urteil bereits gefällt: Leo wäre danach nichts ande­res als Franziskus in roter Mozetta und mit besseren Manieren.

Nach 12 Jahren offener Verfolgung der Tradition sowie Marginalisierung und Verspot­tung ihrer Anhänger kann man ein gewisses Maß an Mißtrauen und Befürchtungen ge­genüber Rom nachvollziehen – aber niemand sollte sich dadurch von einer nüchternen Wahrnehmung der Situation abhalten lassen. Und diese Wahrnehmung berechtigt durchaus zu Hoffnungen. Zumal ja nicht nur Papst Leo selbst viele Zeichen gesetzt hat, die zu Hoffnungen berechtigen. Auch viele erprobte Anwälte der Tradition von den Kardinälen Burke, Sarah und Müller bis zu Publizisten wie Peter Kwasniewski, Michael Matt oder dem Caminante Wanderer sehen hinter dem gewandelten Stil des neuen Papstes kein Täuschungsmanöver, sondern den ernsten und ehrlichen Willen zum Abbau der Spannungen und zu einer Versöhnung der Kirche mit ihrer eigenen Geschichte in Lehre und Tradition.

Das Crisis-Magazine hatte bereits im Februar in einem mit leichter Ironie geschriebenen Beitrag mit dem Gedanken gespielt, der nächste Papst werde ein Mann vom Schlage Do­nald Trumps sein, der mit aller Kraft und ohne allzuviel Rücksichtnahmen die Kirche wieder auf den wahren katholischen Kurs bringe. Nun, wie weit Trump damit in Wa­shing­ton kommt, bleibt abzuwarten – aber wäre ein Trump im Vatikan wirklich geeignet, diesem Ziel näherzukommen? Mit einem autoritären Machtmenschen, der macht, was ihm gerade in den Sinn kommt und donnerstags das Gegenteil von dem tut, was er dien­stags gesagt hat? Einige Leute – der Autor Austin Ruse von First Things gehört nicht dazu – scheinen nun zu glauben, man könnte die schwer gestörte Ordnung in vielen Bereichen der Kirche durch autoritäre Maßnahmen und hartes Eingreifen wieder ins Lot bringen. Doch der Wunsch nach einem solche Mittel anwendenden Papst gehört mit zu den schweren Schäden, die Franziskus der Kirche zugefügt hat.

Gerade bei den oben angeführten Beispielen um die Rehabilitierung der überlieferten Liturgie als Messe, die allen zugänglich sein muß (was nicht gleichbedeutend damit ist, daß sie auch alle besuchen müssten), steht Leo vor einem höchst problematischen Erbe. Franziskus hat mit dem wie zum Hohn als „Traditionis Custodes“ benannten Gesetz gleichrangigen Gesetzen seiner unmittelbaren Vorgänger in einer Weise widersprochen, wie das seit der berüchtigten Kadaversynode von Papst Stephan zur Verurteilung seines Vorgängers Formosus in der Kirche nicht mehr erlebt worden ist. Diese Art des Wider­spruchs wurde schon im 9. Jahrhundert als Skandal empfunden, und ist es im 21. Jahr­hundert noch mehr. Unter Anwendung der gleichen Mittel ist es daher auch nicht rückgängig zu machen.

Nun berufen sich aber der Bischof von Charlotte und die französische Bischofskonferenz – ob aus eigenem Antrieb oder unter Einflüsterung römischer Gegner von überlieferter Liturgie und Lehre – ausdrücklich auf dieses Gesetz, und bei den meisten anderen Miß­ständen, deren Behebung oder zumindest Abmilderung von Papst Leo mit vollem Recht erwartet wird, steht es ähnlich. Das bringt Papst Leo, der nicht nur nach allem, was man sehen und hören kann, ein rechtgläubiger und frommer Mann, sondern auch ein ernst­hafter Kirchenrechtler ist, in eine Situation, für deren Bewältigung es in der bisherigen Geschichte keine Vorbilder zu geben scheint.

Aber es gibt natürlich Richtlinien, und die wichtigste davon hat Papst Leo bereits in sei­ner ersten Ansprache auf der Loggia und danach noch weitere Male ganz deutlich ausge­sprochen: Der eigentliche Herr der Kirche ist Christus und sein Evangelium – kein Papst mit seiner pontifikalen Einzelmeinung und auch keine Synode mit einem Mehr­heits­beschluss, wie man hinzufügen möchte. Das setzt Grenzen, die insbesondere in den ver­wirrenden Phasen nach dem II. Vatikanum teilweise aus dem Blick geraten sind und deren Überwindung oder gänzliche Abschaffung erklärtes Programm nach wie vor Ziel hochmögender Reformtheologen ist.

Das verweist auf die kirchenpolitische Dimension der Problemlage. Neben dem Verweis auf die überragende Stellung Christi als des Hauptes der Kirche hat Leo – nicht zuletzt auch in seinem Wappen – die Verpflichtung zur Wahrung der Einheit hervorgehoben. Nun ist auch mit diesem Begriff in den letzten Jahrzehnten viel Schindluder getrieben worden, aber wenn und soweit wirklich Christus als das Haupt und der Richtungsgeber des kirchlichen Ein­heitsstrebens anerkannt werden, sind auch hier klare Grenzen gezogen.

All das bedeutet, daß Papst Leo in allem, was er tun will, um die Wunden der Kirche zu heilen – der Spruch vom Feldlazarett hatte ja seinen wahren Kern, nur muß man dabei auch an die Opfe von Bürgerkrieg denken – darauf aus sein muß, möglichst viele Ange­hörige von Episkopat, Klerus und Laienschaft mit an Bord zu nehmen, und nur wenigen so entschieden entgegen zu treten, daß sie sich selbst offen (und nicht wie bisher meist klammheimlich) aus der Gemeinschaft ausschließen.

Wir können ihn dabei auf dreifache Weise unterstützen. Zuerst natürlich durch unser Gebet – wobei das manchmal allzu bereitwillig und unverbindlich dahergesagt wird. Zum zweiten dadurch, daß wir die Schwierigkeit seiner Situation anerkennen und nicht jedem Räuspern oder jeder vielleicht nicht sofort verständlichen Entscheidung in der Herme­neu­tik abgrundtiefen Mißtrauens oder sogar mit der von Papst Benedikt 2010 beklagten „sprungbereiten Feindseligkeit“ begegnen.

Und drittens mit dem Verzicht darauf, die großen in der Tat vorhandenen inner­kirch­lichen Widersprüche im eigenen Denken so zuzuspitzen, daß sie als unvereinbare Ge­gen­sätze erscheinen. Die hl. Messe und die unter teilweise mißbräuchlicher Berufung auf das II. Vatikanum „reformierten“ Sakramente sind in den überwiegenden Fällen „gültig“ und – soweit es Gottes Gnadenhandeln betrifft – weiterhin wirksam. Selbst wenn das in der deutschen Synodalkirche weniger oft der Fall und definitiv weniger gut erkennbar sein mag als z.B. in Nordamerika. In Denken und Sprache sollten auch diejenigen, die aus gu­ten Gründen an der Tradition festhalten, die Achtung vor den Sakramenten nicht verges­sen. Und auch nicht vor denen, die sie in der – wenn auch beschädigten – neuen Form spenden und empfangen.

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