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Nachtrag zum Proprium von Trinitatis:
Da stimmt doch etwas nicht!

16. Juni 2025

1 - Liturgie

Die Buchillustration zeigt den Heiligen in lehrender Pose, aber mit dem Messgewand bekleidet, auf einem Lehrstuhl sitzend. Der die Darstellung umgebende Rahmen zeigt in Eckmedaillons die Sinnbilder der vier Evangelisten: Beda als Bibelgelehrter

Beda Venerabilis als Bibelgelehrter

Im Beitrag vom 13. Juni zur Pfingstquatember und dem nachfolgenden Fest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit zitierten wir den Text des Offertoriums, das durch seine formal und inhaltlich vollendet trinitarische Formulierung auffällt: „Gepriesen sei Gott Vater und Gottes eingebo­rener Sohn wie auch der Heilige Geist, weil sie an uns Barmher­zig­keit getan.“ Als Quelle gibt unser Schott von 1953 Tobit 12, 6 an – was extrem irritierend ist, wenn man bedenkt, daß dieser von der katholischen Kirche und der Orthodoxie als Bestandteil der hl. Schrift anerkannte Text aus dem 3. oder 2. vorchristlichen Jahrhundert stammt, aus dem eine derartige Formulierung ganz und gar nicht zu erwarten ist. Der Blick in unsere gute alte Vulgata Clementina ergab dort denn auch nicht den An­schein eines Textes wie des oben zitierten. Wir haben zunächst vermutet, daß die gelinde gesagt unübersichtliche Überlieferungsgeschichte des Buches Tobit vielleicht dazu ge­führt habe, daß es auch eine Variante enthielte, die dem Text des Missales näher käme – konnten das aber nirgendwo bestätigen. Eine derart weitgehende Textvariante gibt es offenbar nicht.

Tatsächlich ist die Herkunft des dem Buch Tobit zugeschriebenen Textes noch viel irri­tierender als eine Varianz in der Textüberlieferung. Recherchen mit der Suchmaschine „simplicity.ai“, die „künstlicher Intelligenz“ einsetzt, ergaben, daß das Offertorium auf einen Bibelkommentar des gelehrten Theologen Beda Venerabilis (672 – 735) zurück­geht – und das auf sehr indirekte Weise. Wie kommt so etwas zustande?

Unser erster Verdacht richtete sich auf den Umstand, daß Beda erst 1899 von Papst Leo XIII offiziell zum Kirchenlehrer erhoben worden ist. Sollte das Missale oder zumindest der Schott des 20. Jahrhunderts etwa einen Satz aus dem Kommentar des gerade so hoch geehrten britischen Mönchs zu Tobit 12, 6 mit einem Zitat aus eben diesem biblischen Text verwechselt haben?

Bei weitem nicht. Eine Überprüfung in älteren Ausgaben des Missale Romanum ergab, daß der trinitarische Offertoriumstext weit in die Vergangenheit und vor die Erhebung Bedas zum Kirchenlehrer zurückreicht. Er ist bereits in der Editio Princeps (1570) des Missale „von Trient“ enthalten – dort allerdings ohne Verweis auf Tobit. Dieser Verweis taucht dann (soweit in unseren Beständen überprüfbar) erst in der von Clemens VIII. herausgegebenen Ausgabe von 1634 auf und wurde seitdem in allen folgenden Ausgaben getreulich übernommen – anscheinend ohne jemals in Frage gestellt worden zu sein.

Zweiter Verdacht: War die Aufnahme des Beda-Textes also eine Neuerung der Trienter Reformer? Auch diese Vermutung ließ sich nicht bestätigen. Eine ins Jahr 1449 datierte Ausgabe des Vorläufers des römischen Missales, nämlich ein „Missale secundum consue­tudinem Romanae Curiae“, enthält das trinitarische Offertorium ebenfalls schon – und etwas beziehungslos am Fuß der Seite den Vermerk: „secundum Tobem“, als hätte der Kopist seinerzeit nicht recht gewußt, worauf dieser Verweis sich beziehen solle.

Mit dem Missale der Kurie sind wir schon relativ nahe am Jahr der offiziellen Einfüh­rung des Festes gut einhundert Jahre vorher durch Papst Johannes XXII im Jahr 1334. Zum Offizium für das – aus römischer Perspektive – neue Fest verwandte Papst Johannes ein Formular, das von dem Franziskaner Johannes Peckham, Kanoniker von Lyon und späteren Erzbischof von Canterbury (†1292), verfasst worden war. Die Anfänge des Festes liegen freilich wesentlich früher, nämlich in Benediktinerklöstern Ostfrankreichs des späten 9. Jahrhunderts. Seine allgemeine Anerkennung und Ausbreitung wurde jedoch lange durch den theologischen Einwand behindert, daß schließlich jede Mess­fei­er und jeder Sonntag bereits die Verehrung der Dreifaltigkeit in den Mittelpunkt stelle und ein besonderer Feiertag diese zentrale Stellung eher beschädigen als verstärken könne.

Beim Versuch, sich diesen Anfängen weiter zu nähern, findet sich ein erster Hinweis im "Rationale divinorum officiorum" (Liber VI. Cap. 114: De die Dominica sanctae Trinita­tis; geschrieben um 1290) des Durandus von Mende, der in seinem ausführlichen Kapitel zum (damals noch nicht offiziellen!) Feiertag mitteilt, der bei ihm als Introitus geführte Text „Gelobt sei die heilig­ste Dreifaltigkeit...“ sei von Alkuin von York dem 12. Abschnitt des Buches Tobias entnom­men worden. Damit benennt Durandus also direkt Alkuin als Urheber für diesen Text - wenn auch die Formulierung „Alchuinus sumpsit“ – nicht ausdrücklich auf ein Zitat ver­weist, sondern eher eine Quelle in sehr allgemeinem Sinne anzeigt, aus der Alkuin sein Wissen „geschöpft“ habe.

Mit Alkuin sind wir schon ganz nahe an der Zeit und in dem Raum, in dem nach dem oben mitgeteilten Hinweis das Dreifaltigkeitsfest seinen Ursprung hat: im westfrän­ki­schen „Lotharingen“, dem heutigen Ostfrankreich. Der Mönch Alkuin (geboren 740 im englischen York, gestorben 804 in Tours) verbrachte lange Jahre seines Lebens als „Hof­theologe“ Karls des Großen in eben diesem Raum, und seine einflußreiche Stellung läßt es als durchaus denkbar erscheinen, daß er in der einen oder anderen Weise an der Etablierung dieses Festes beteiligt war. Und das, was liturgisch am Hof Karls des Großen geschah, hatte durchaus nicht nur lokale Bedeutung: Der römische Ritus nahm in dieser Zeit immer wieder Elemente aus dem fränkischen Gebrauch auf.

Eine intensive Beschäftigung Alkuins mit dem Thema der Dreifaltigkeit ist jedenfalls durchaus nachweisbar. Die Epoche des 8. und 9. Jahrhunderts war innerkirchlich durch Auseinander­setzungen um die Irrlehre des „Adoptianismus“ geprägt, mit dem das Wesen der heiligen Dreifaltigkeit in Frage gestellt worden war. Es ist überliefert, daß Alkuin sich auf den Synoden von Frankfurt (794) und Aachen (799) entschieden gegen diese Häresie ausge­sprochen hat. Und das erstaunliche Verknüpfungsvermögen der mit KI optimierten Such­maschinen vermittelt uns die Kenntnis von einem Anfang des 9. Jahrhunderts geschriebenen Brief Alkuins an Erzbischof Ricbod von Trier, in dem er um Zusendung einer Kopie der „Expositio in Tobiam allegorica“ des Beda Venerabilis bat. Dieser Text galt damals als ein Schlüsseltext zum Verständnis des Wesens der heiligsten Dreifaltig­keit. Und wir haben damit für weitere Suchen einen Buchtitel in der Hand, und tat­säch­lich ist der Text denn auch heute im Unterschied zur Zeit Alkuins mit geringem Aufwand er­reich­bar: Als Digitalisat aus Band 91 der Patrologia Latina von Migne. Sollte darin die Quelle für den auf Tobit 12, 6 zurückgeführten Text des Festtags-Offertoriums zu finden sein?

Unsere vielleicht etwas naive Erwartung, in diesem Kommentar eine mehr oder weniger wörtliche Entsprechung des Offertoriums aus dem Meßformular auffinden zu können, wurde allerdings enttäuscht. Völlige Fehlanzeige – ein solcher hoch allgemeiner Text würde auch in gar keiner Weise in den Duktus der Kommentierung Bedas passen.

Ein Hauptmotiv seiner allegorischen Deutung des Buches Tobit besteht darin, in der Person des Tobit so erfolgreich leitenden Erzengels Gabriel eine Vorgestalt Christi selbst wiederzufinden. Ein weiteres Motiv ist, aus der Verwendung der dem zunächst so be­droh­lichen und später zu einer Vorgestalt des Erlösers mutierenden Riesenfisch entnom­menen Organe Hinweise auf die Wirkungsweise der Sakramente zu gewinnen – und diese Wirkung sieht Beda untrennbar mit dem Gnadenwalten des Heiligen Geistes ver­bun­den. Das alles entspricht sehr der allegorischen Denkweise des frühen Mittelalters – gibt aber nur sehr bedingt eine Rechtfertigung dafür, im Buch Tobit eine prophetische Aussage über Natur und Wirken der Allerheiligsten Dreifaltigkeit zu erkennen.

Entsprechend der christlichen Lehre ist die Dreifaltige Gottheit in allem, was geschieht – und erst recht in den Berichten der Bibel – präsent und erfahrbar; insoweit ist es immer und überall berechtigt, zu sprechen „Gepriesen sei Gott Vater und Gottes eingebo­rener Sohn wie auch der Heilige Geist, weil sie an uns Barmherzigkeit getan.“ Eine besonderer Brücke vom Bucht Tobit zu dieser Aussage ist jedoch zumindest in den von uns durch­ge­sehenen Materialien nicht erkennbar – was nicht ausschließt, daß die Benediktinermön­che des 9. Jahrhunderts oder auch der noch eher dem 8. Jh. zuzuzählende Alkuin selbst eine solche Brücke zu sehen glaubten und diesem Buch deshalb eine besondere Bedeu­tung für die Lehre von der Dreifaltigkeit zuschrieben. Eine Ansicht, die offenbar von dem fünf Jahrhundert später wirkenden Durandus von Mende fraglos akzeptiert wurde, wenn er schreibt, Alkuin habe seinen Beitrag zum Ordo Missae des Festes „aus dem Buch Tobit“ geschöpft.

Auch weitere fünfhundert Jahre später blieb diese Angabe in den Ausgaben des Missale Romanum des 19. und 20. Jh. noch unhinterfragt. Erst die Kompilatoren des Novus Ordo scheinen an der Quellenangabe auf Tobit Anstoß genommen zu haben. Immerhin haben sie den Text nicht ganz gestrichen, sondern für den Introitus verwandt (wo ihn Durandus seiner­zeit auch schon gesehen hatte) und nur den Verweis auf Tobit ersatzlos weggelassen. Einerseits sicher zu Recht. andererseits haben sie damit auch einen Hinweis auf die Verfahren der „organischen Entwicklung“ getilgt, der viel darüber erfahren läßt, wie das Missale der lateinischen Kirche, wie dieser Ritus und seine Gebete gewachsen und geworden sind.

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