Soll der „Ritus von Knoxville“ die „alte Messe“ ersetzen? Und das weltweit?
15. Oktober 2025
Das Heilige Messopfer
Das Wort „Ersatz“ verwenden wir hier mit Zögern: Sakramental und abstrakt gesehen bewirkt die Messe nach dem NO unabhängig von Sprache und anderen Äußerlichkeiten das Gleiche wie die hl. Messe im überlieferten Ritus. Oder die extrem verkürzte und „formlose“ illegale Messfeier im Konzentrationslager oder im Gulag, zu der ein bestochener Wachmann ein paar Schlucke Messwein besorgt hatte.
Bei der heiligen Messe gibt es keinen „Ersatz“, sondern nur das wesensmäßig Gleiche. Jedoch: Praktisch und unter Einschluß menschlicher Unzulänglichkeit – also im guten Sinne „pastoral“ gesehen – haben die „Äußerlichkeiten“ des Ritus enorme Bedeutung. Für Menschen, die sich noch auf den unteren Stufen des Weges zur Heiligkeit abmühen, tragen sie viel dazu bei, wie sei das Wesen der gefeierten Geheimnisse wahrnehmen, wie sie mitbeten und mitopfern und der aus der heiligen Handlung strömenden Gnaden teilhaftig werden können. Denn das ist mit „participatio actuosa“ gemeint – und nicht der möglichst zahlreiche Auftritt von Wichtigtuer*innen an möglichst vielen Orten und Stellen, die bisher dem Priester als „alter Christus“ vorbehalten waren.
Nur verstockte Ideologen oder zielbewußte Säkularisten können nach 60 Jahren Erfahrung mit der „Neuen Messe“ bestreiten, daß diese Form der Liturgie zu dieser Art der Teilhabe weniger Anschlußstellen bietet als die überlieferte – sonst wären die Teilnehmerzahlen nicht so dramatisch gefallen, wie das alle verfügbaren Statistiken ausweisen. Der Rückgang ist dramatisch. Die veränderte Form der Liturgie ist bei weitem nicht die einzige Ursache dafür – aber wer sich auch nur ein bißchen mit den Besonderheiten des religiösen Bewußtseins der konkreten Menschen (im Unterschied zu ihrer „pastoraltheologischen“ Abstraktion) auskennt, weiß, daß in lebensweltlicher Perspektive die Formen, die Bewegungen und die Sprache entscheidend dafür sind, wie Menschen eine Sache wahrnehmen, ob das Wesen der Sache bei ihnen ankommt oder sie es verfehlen.
Nach diesem unvermeidlichen Vorspruch nun zum eigentlichen Gegenstand dieses Beitrags: Dem in Knoxville als Ersatz für die überlieferte Liturgie angebotene „lateinische Novus Ordo mit allen smells and bells“. Soweit wir sehen, wurde bisher nirgendwo an Orten, an denen die überlieferte Liturgie aus bischöflicher Willkür oder unter Berufung auf TC „abgeschafft“ wurde, den traditionstreuen Gläubigen eine „Neue Messe“ in Latein, ad Dominum und unter ausdrücklichem Einschluß vieler äußerer Merkmale der überlieferten Liturgie als „Ersatz“ angeboten, so wie das jetzt für Knoxville angekündigt worden ist..
Die schriftlich vorliegende Predigt von Pfarrer Carter enthält eine Information, deren Bedeutung uns beim ersten Lesen nicht aufgefallen war: Pfarrer Carter erwähnt, daß der Ortsbischof nach Ablauf der noch unter Franziskus gewährten Gnadenfrist vom Gottesdienstdikasterium aufgefordert worden sei, die Bestimmungen von Traditionis Custodes umzusetzen. Da diese Verlängerungen im 2023 allgemein im Frühsommer erbeten und zugestanden worden waren, gehen wir davon aus daß die angesprochene Aufforderung des Dikasteriums bereits nach Amtsantritt von Papst Leo erfolgte – und möglicherweise erst nach einer inoffiziellen Rückfrage beim Papst oder in dessen unmittelbaren Umfeld, wie in solchen Fälle verfahren werden solle. Das können wir aber nur vermuten. Was wir dagegen aus dem Interview mit Elise Ann Allen von Crux wissen, ist, daß Papst Leo zumindest in diesem Gespräch die lateinische Version des Novus Ordo pauschal mit der „tridentinischen“ Messe der überlieferten Liturgie gleichsetzt – auch hinsichtlich ihrer pastoralen Wirkung und ihres Einflusses auf das Glaubensbewußtsein. Etwa: Wenn Ihr Latein haben wollt – bitte sehr, ist doch im Angebot!
Doch das entspricht nun in gar keiner Weise dem Empfinden der Gläubigen, die eben nicht nur die geänderte Sprache und die Verarmung der Formen des Ritus, sondern auch des Inhalts der Gebete beklagen – und die in dieser Klage von Franziskus ja auch dahingehend bestätigt worden sind, daß er die bis zum Gegensatz gehenden Unterschiede in der Lex credendi in seinem Motu Proprio Traditionis Custodes ausdrücklich bekräftigte.
Wenn wir die Begründungen der vier amerikanischen Bischöfe, die die überlieferte Liturgie bisher stark eingeschränkt bzw. für ihren Amtsbereich ganz abgeschafft haben, näher betrachten, fällt auf, daß sie nicht dieses von Franziskus und Fernandez an erster Stelle eingeführte Argument der Inkompatibilität der Lex orandi von Trient mit der Lex credendi der nachkonziliaren Kirche verwenden, sondern ihre Maßnahmen primär mit der Notwendigkeit begründen, Spaltung abzuwehren und die angeblich durch die Feier der überlieferten Liturgie gefährdete Einheit der Ortskirche wieder herzustellen. Das ist insofern bedeutsam, als das Argument von Franziskus auf der theologischen Ebene operiert und von daher auch theologisch diskutiert und widerlegt werden kann. Beim Einheitsargument ist das anders: Es operiert auf der disziplinären Ebene, beruft sich auf die Leitungsautorität von Papst und Bischöfen und setzt damit von vornherein jeden als potentiellen Schismatiker ins Unrecht, der auch nur zu einer Diskussion ansetzt.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist übrigens, daß drei der vier hier beteiligten Bischöfe (Michael Martin von Charlotte, geweiht Mai 24; Mark Beckman von Knoxville, geweiht Juli 24; und David Garcia, seit Juli 25 Bischof von Austin) erst in den letzten Monaten des Pontifikats von Franziskus ernannt bzw. an eine neu Position befördert worden sind. Bisher haben wir sie quasi als die letzte Hinterlassenschaft von Franziskus betrachtet. Aber vielleicht sind sie und manche andere problematische Ernennungen – schließlich war Robert Prevost als Präfekt des Bischofsdikasteriums nicht unwesentlich an ihrer Auswahl beteiligt – in Wirklichkeit erste Vorboten des neuen Pontifikats von Papst Leo.
Doch zurück zur Frage des „Ersatzes“ der überlieferten Liturgie durch den lateinischen Novus Ordo , mit dem wie uns unter anderen Aspekten schon einmal am 6. Oktober beschäftigt hatten. Unserer Kenntnis nach sind Zelebrationen nach dem Missale Pauls VI. in lateinischer Sprache gerade in Mitteleuropa, also dem Stammland der überlieferten Liturgie, extrem rar. Selbst an einem Ort wie Heiligenkreuz, wo der Novus Ordo mit sichtlichem Bemühen um Würde und Kontinuität zelebriert wird, erfolgt das nur selten in Latein und soweit wir von hier aus sehen können auch zumeist „ad populum“.
Warum der lateinische Novus Ordo im praktischen Vollzug der Liturgie so selten vorkommt, ist leicht verständlich: Der Ritus Pauls VI. wurde trotz dessen Einspruchs in der Konstitution zur Promulgation von vielen Theologen, Priestern und Theologen durchaus als Ausdruck einer neuen, einer gegen die Tradition gerichteten lex credendi aufgefasst und dementsprechend mit möglichst signalhafter Abweichung von der überlieferten Form gefeiert. Das hat Franziskus in TC ganz zutreffend festgehalten. Ansatzpunkte für eine solche Entgegenstellung findet man in der gesamten Anlage des Ritus und in den Gebetstexten des Missales selbst mehr als genug.
Um die neue Messe, so wie das jetzt für die bisher die überlieferte Liturgie anbietenden Gemeinden von Knoxville vorgesehen ist, im Stil von Trient zu feiern, muß man sie daher quasi „gegen den Strich“ bürsten – dabei kommt es zu Interferenzen, die zumindest von liturgisch sensiblen Gemütern schmerzhaft empfunden werden. Form und Inhalt passen einfach nicht recht zusammen, und nur durch die Verwendung der lateinischen Sprache wird die Diskrepanz für der lateinischen Sprache unkundige Gläubige weniger auffällig.
Von daher stellt der künftige „Ritus von Knoxville“ eine bemerkenswerte Sonderform dar – wir sind gespannt auf die ersten Bilder im Netz. Inwieweit sich die betroffenen Gemeinden damit abfinden und die in dieser Konstruktion angelegte Diskrepanz durch andächtiges Gebet überbrücken können, bleibt abzuwarten. Es ist zu vermuten, daß viele – das scheint ja auch Pfarrer Carter zu befürchten – sich davon nicht überzeugen lassen und lieber zur Piusbruderschaft abwandern. Wir jedenfalls werden sie deshalb nicht als „Schismatiker“ beschimpfen.
Zu diesem tridentinisch verkleideten Ritus modernus drängen sich dann noch zwei weitere Anmerkungen auf: Zum ersten eine Frage: Wird die von den Bischöfen beklagte „Spaltung der Gemeinde“ auf diese Weise tatsächlich beseitigt – oder werden die „Lateiner“ (wenn sie das Angebot denn annehmen) ebenso unter sich bleiben, wie heute schon die zahlreichen anderen Gruppen, die ihren Gottesdienst in ihrer englischen, ihrer spanischen oder ihrer vietnamesischen Muttersprache feiern? Das Thema verdient eine Vertiefung an anderer Stelle: Wie viele Spaltungen hat eigentlich der muttersprachliche Gottesdienst in die katholischen Gemeinden multiethnischer Großstädte gebracht? Und was widerfährt eigentlich dem deutschen Urlauber, der seine Sonntagspflicht auch in Japan wahrnehmen will?
Zum zweiten: Wenn die Liturgiereform seinerzeit (also ab 1. Advent 1969) in der Weise durchgeführt worden wäre, daß zumindest in größeren Gemeinden eine Wahlmöglichkeit zwischen Messen im „Novus Ordo in Volkssprache ad populum“ und der „Latein ad Dominum mit allem Drum und Dran“ angeboten worden worden wäre, hätte die ganze Reform vermutlich einen völlig anderen Verlauf genommen. Ein überall präsenter und derart die Kontinuität betonenderNovus Ordo hätte möglicherweise die von den Vertretern einer neuen Lex credendi veranstalteten kreativen Exzesse bei der neuen Messe delegitimiert und verhindert und die Gläubigen – die zu großen Teilen die Messe eben nicht Wort für Wort im Schott verfolgten, sondern mehr oder weniger frommen Sinnes begleiteten – davor bewahrt, zwangsweise in eine neue Spiritualität mit einer neuen Theologie katapultiert zu werden. Aber genau dieses Katapult war natürlich von den Radikalreformern gewollt, und sie scheuten keine Gewalttat, keinen Mißbrauch und keine Entstellung des Messopfers (und der anderen Sakramente), um den braven Schafen ihre neue Lex credendi aufzuzwingen. Und damit hatten sie letztlich Erfolg – bei einer immer kleiner werdenden Restgruppe, die überhaupt noch an Sonntag in die Kirche geht und kaum noch weiß, wovon sich eine Heilige Messe von einer „Wort-Gottes-Feier“ unterscheidet.
Die vom allgemeinen Fortschrittstaumel und dem Weltethos der Rahnerianer mitgerissene Mehrheit der „Normalos“ in Episkopat, Klerus und Kirchenvolk, hatte größtenteils weder den Durchblick noch das Rückgrat, sich dieser Verflachung und Umdeutung entgegenzusetzen. Ein in allen Gemeinden präsenter lateinischer Novus Ordo hätte in den damals noch möglichen alten Formen zwar die inneren Widersprüche und Defekte der Liturgiereform nicht völlig kompensieren können – aber die schlimmsten Fehlentwicklungen wären der Kirche (vielleicht) erspart geblieben.
Doch diese Chance wurde 1969 verpaßt und läßt sich nicht zurückgewinnen. Und da die Verheerungen des Glaubensbewußtseins durch eine die ganze Gesellschaft erfassende Säkularisierung und deren spezielle Variante in der Liturgiereform inzwischen den glaubenstreu gebliebenen Katholiken überdeutlich vor Augen stehen, wird der „Ritus von Knoxville“ heute kaum noch jemanden von den Leuten in den Bänken überzeugen können: Sie haben ja immer vor Augen, was sie durch die letztlich gegenüber ihren eigenen Ansprüchen gescheiterte Reform verloren haben. Sie feiern die „alte Messe“ eben nicht aus Anhänglichkeit an die lateinische Sprache, an Weihrauch und prächtige Gewänder, sondern weil sie die (in jeder Sprache) unausschöpfliche Tiefe ihres Inhaltes erfahren haben – und wie viel davon durch eine Reform „nach dem Muster technischer Produktion – das Machen, das platte Produkt des Augenblicks“ (Joseph Ratzinger 1989) zerstört worden ist.
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