Kein Glückwunsch zum Geburtstag:
„Nostra Aetate“ wird 60
28. Oktober 2025
Karl Rahner – Stimme im Hintergrund
Heute vor 60 Jahren, am 28. Oktober 1965, beschloss das zweite vatikanische Konzil seine Erklärung „Nostra Aetate“ über das Verhältnis der Kirche zu den anderen Religionen. Nostra Aetate ist das kürzeste (83 Zeilen!) und möglicherweise auch verhängnisvollste Dokument des zweiten Vatikanums. Seine Anfangsworte „Nostra Aetate“ (In diesem unseren Zeitalter) klingen wie eine Fanfare, in der Zukunftsoptimismus und Machbarkeitsglaube der Nachkriegszeit ihren triumphalen Ausdruck finden. Und im Hintergrund schwingt mit die Erinnerung an die Grauen von Weltkrieg und Judenverfolgung, die in einem damals noch halbwegs glaubhaften „Nie Wieder“ dazu motivierten, alles Bisherige in Frage zu stellen und neue Wege zu beschreiten.
So weit, so ehrenhaft und gut gemeint – aber auch hier erweist sich das „gut gemeint“ als das, was das wahre Gute verfehlt. Nirgendwo wird das deutlicher als in den Schlußsätzen des 2. Abschnitts, in dem es nach der einleitenden Banalität „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in anderen) Religionen wahr und heilig ist“ in sichtlicher Verlegenheit auf ihr eigenes Wesen zu sprechen kommt:
Unablässig aber verkündet sie und muß sie verkündigen Christus, der ist "der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat. Deshalb mahnt sie ihre Söhne, daß sie mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.
Mehr ist von dem „Geht hinaus und lehret alle Völker und tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“, das ihr Gründer ihr zum Auftrag gegeben hat (Math 28;19 ), nicht übrig geblieben. Oder von dem Zeugnis, das Petrus der Fels vor dem hohen Rat der Juden ablegte: „Und es ist in keinem anderen das Heil, denn auch kein anderer Name ist unter dem Himmel den Menschen gegeben, in welchem wir gerettet werden." (APG 4;12).
Banalität ist auch das Kennzeichen der folgenden Abschnitte, in denen „Das Konzil“ aussagt, was es über die Weltreligionen des Hinduismus, (3 Zeilen), Buddhismus (3 Zeilen), Islam (10 Zeilen) und Judentum (31 Zeilen) zu sagen hat oder sagen will. Bemerkenswert zum Islam die Reduktion, es sei da im Laufe der Jahrhunderte „zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften“ gekommen; und zum Judentum eine Wortwolke, die heute gerne in der Formel vom „nie aufgekündigten Bund Gottes mit seinem Volk“ extrem verkürzt und mißverständlich übersetzt wird.
Den Abschluß des Dokuments bildet dann ein Kapitel zur „Universalen Brüderlichkeit“ aller Menschen, aus dem sich all die Irrtümer und Irreführungen ableiten lassen, mit denen sich die Kirche seit dem Korankuss Johannes-Pauls II. bis zum von Franziskus abgezeichneten Dokument von Abu Dhabi um den Verstand bringen läßt.
Die inhaltliche Dürftigkeit von Nostra Aetate läßt sich nicht allein daraus erklären, daß die Welt des Konzils noch stark eurozentrisch gesehen wurde (die sog. „Entkolonialisierung“ hatte gerade erst richtig eingesetzt) und die anderen Regionen und Religionen im Weltbild der Konzilsmehrheit kaum eine Rolle spielten. Im weltweit anerkannten „Anthropos-Institut“ der Steyler Missionare oder im Umfeld der „Monumenta Sinica“ der Jesuiten hätte es genug Wissenschaftler – teils mit missionarischem, teils mit akademischem Hintergrund – gegeben, die erschöpfende Auskunft über Geschichte und Religion aller Erdteile geben konnten. Aber ihre Sachkunde wurde nicht in Anspruch genommen. Die Zielsetzung des Konzilsdokument war von Anfang an politisch. Ursprünglich war nur – ganz im Rahmen der weltweiten „Aufarbeitungsbemühungen“ nach dem 2. Weltkrieg – eine auf Versöhnung abzielende Erklärung zum Judentum geplant, die dann aber nicht zuletzt auf Druck von islamischer Seite ausgeweitet wurde.
Die maßgeblichen Köpfe hinter der Abfassung des Dokuments waren – neben Papst Johannes XXIII. selbst – der von ihm als Leiter der entsprechenden Arbeitsgruppe eingesetzte Augustin Kardinal Bea (Alttestamentler und Judaist) sowie die progressistisch orientierten Kardinäle Johannes Willebrands aus den Niederlanden und Franz König von Wien. Der hatte als Peritus Karl Rahner mit nach Rom genommen, und das Rahnersche Raunen durchwaltet folgerichtig denn merklich die Denkvoraussetzungen von „Nostra Aetate“ – auch wenn es dort wegen des knappen zur Verfügung stehenden Raumes nicht so Recht zur Wirkung kommen konnte.
Nostra Aetate ist auf der einen Seite Ausdruck der Tatsache, daß viele der nach dem Konzil zum Durchbruch gekommenen Fehlentwicklungen nicht durch das Konzil hervorgerufen worden sind, sondern sich schon lange im Hintergrund vorbereitet hatten – dem entschieden Kampf von Pius IX gegen den Modernismus zum Trotz. Zum Zweiten ist an NA gerade wegen seiner Kürze besonders deutlich zu erkennen, daß seine verhängnisvolle Wirkung nicht darauf beruhte, daß es direkt falsche und der Lehre der Kirche widersprechende Aussagen enthielte – sondern darauf, daß es viele richtige Aussagen und Grundsätze nicht ausspricht, ohne deren Beachtung die Stimme der Kirche undeutlich und mißverständlich wird. Es sind die Leerstellen der Verkündigung, in denen sich der Irrtum am bequemsten einnisten und ausbreiten kann.
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