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Schon lange vor Bethlehem - das prä-inkarna­to­rische Wirkung Christi an den Menschen

23. Dezember 2025

2 - Theologie und Tradition

Melchisedech steht am Opferaltar und erhebt seine Gaben zum mit einer aus den Wolken ragenden Hand angedeuteten Herrn.

Melchisedech - Vorgestalt und Verkörperung Christi

Weihnachten im Jahr des großen Jubi­läums von Nicäa bietet Gele­gen­heit, eine im allgemeinen Bewußtsein wenig präsente Facette der Glaubenswahrheit von der ungeschaffenen und mit dem Vater vor aller Zeit existierenden zweiten Person der hoch­heiligen Dreifaltigkeit in den Blick zu nehmen. Die an Weihnachten (und an Mariä Verkündi­gung!) gefeierte Menschwerdung der Zweiten Person der Dreifaltigkeit als Jesus der Christus ist „nur“ der Beginn einer besonderen Phase des Handelns dieser göttlichen Person in der Welt und an den Menschen, doch dieses Handeln geht dem Menschen und der Welt weit vor­aus und ist tatsächlich die Ursache von beider Existenz. Alles ist in dem und durch das Wort Gottes geschaffen, das schließlich in Bethlehem menschliche Gestalt annahm – nicht nur als äußerliche Hülle, sondern als sichtbaren Ausdruck seines Wesens.

Die zuerst von Justin dem Märtyrer (* ~100; †165) formulierte und seit Nicäa zu den Grundaussagen der christlichen Lehre gehörende Logos-Theologie stützt sich auf den Prolog des Johannes-Evangeliums „Im Anfang war das Wort, / und das Wort war bei Gott, / und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden / und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“ Ihre Vorgestalt findet diese Aussage gleich im ersten Kapitel des Schöpfungsberichtes im Buch Genesis: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde …“ Die materielle Schöpfung, der ganze Kosmos, sind das Werk des Göttlichen Wortes, und während der Vater selbst im unzugänglichen Licht wohnt und das Wirken des Geistes vor allem darin kenntlich wird, daß ohne seine Gegenwart Wüste und Wirrnis herrschen, ist der ungeschaffene Sohn die eigentliche Wirkkraft der Schöpfung, der er von ihrem Anbeginn an zugewandt und zutiefst verbunden ist.

Das ist Grundlage und Voraussetzung seiner spätere „Inkarnation“ im „Fleisch“ dieser materiellen Schöpfung, das ist der eigentliche Inhalt von Johannes „Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum…“ (10-12) , und der nachfolgenden Bekräftigung: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.“

Die großen Kirchenlehrer des zweiten bis vierten Jahrhunderts haben daraus den Gedanken des „präinkarnierten“ Christus abgeleitet, wonach überall da, wo im alten Testament vom Handeln Gottes an den Menschen die Rede ist oder Begegnungen zwischen dem Herrn und seinen Propheten berichtet wird, die in der Geschichte als Jesus Christus im Fleisch geborene zweite Person des dreifaltigen Gottes agiert: Der Jahweh des Volkes Israel wäre danach in seinem Wesen und als Person der über-zeitliche Christus, der dann in der Zeit von den Seinen nicht als Messias erkannt und anerkannt worden ist. Außer auf Johannes kann sich dieses Verständnis insbesondere auf den 1. Korintherbrief (10, 1-4) stützen, in dem der wasserspendende Felsen explizit und die dem Volk Israel voranziehende Feuersäule implizit mit Christus identifiziert werden: „Unsere Väter alle (…)tranken aus dem geistgeschenkten Felsen, der mit ihnen zog. Und dieser Fels war Christus.“ 

In der Theologie des Ostens ist diese Gleichsetzung bis heute weitgehend selbstver­ständlich; im Westen wurde sie dadurch zurückgedrängt (nicht widerlegt), daß der hl. Augustinus auch in der Abwehr möglicher arianischer Fehldeutungen solche Identifizierungen ablehnte.

Darüber, in welchen Berichte und Erzählungen der hl. Schrift das sichtbare Handeln des prä-inkarnierten Logos in der Welt zu erkennen ist, gibt es unter den frühen Kirchen­vätern und ihren theologischen Schülern abweichende Ansichten. Justin der Märtyrer sah praktisch überall, wo die Schrift vom „Engel des Herrn“ oder den „Worten des Herrn“ spricht die zweite Person der Dreifaltigkeit als Träger der Handlung. Zusammen mit Justin waren sich auch Irenäus von Lyon, Tertullian und Hilarius von Poitiers darin einig, daß der Gesetzgeber vom Sinai (Exodus 19 – 20) nicht, wie es später die christliche Kunst immer wieder darstellt, der Vater selbst war, sondern der präinkarnierte Christus: Der Logos selbst sprach, wie es seinem Wesen gebührte, das Gesetz und erlegte es dem Mose und seinem Volk auf.

Weitere Gottesbegegnungen des Alten Testaments, die von den frühen Kirchenlehrern des Ostens wie des Westens ausdrücklich dem Wirken des prä-inkarnierten Christus zugeschrieben werden, sind der in Gestalt von drei Engeln erscheinenden Besucher Abrahams im Eichenhain von Mamre (Gen 18, 1-15), oder der in Exodus 3, 18 erwähnte göttliche Erlöser Israels aus der ägyptischen Knechtschaft. Einige lenkten den Blick auf die wunderbare Erscheinung des ohne (die im alten Testament besonders wichtigen und stets erwähnten) Vorfahren erscheinenden Priesterkönig Melchisedek und sein Opfer von Brot und Wein beim Bundesschluß mit Abraham und seinem wandernden Volk (Gen 14, 18).

Jesaja (45,1) geht sogar soweit, den Perserkönig Kyros, der die Juden aus der Gefan­gen­schaft entließ, wenn nicht direkt als prä-inkarnierten Christus, so doch als dessen ge­weihte und gesalbte (christos) Vorgestalt anzusprechen. Erwähnenswert ist hier auch das Zeugnis des zur Zeit Christi in Alexandria lebenden hellenistisch-jüdischen Philosophen Philo, der im „Logos“ – ohne dabei vom Eingott-Glauben abzurücken - den „zweiten Gott Israels“ erblickte, eine zweite Erscheinungform des Einen Gottes, den göttlichen Vermit­tler zwischen dem transzendenten Gott und der materiellen Welt.

Diese Positionen, den Juden Philo eingeschlossen, sind sich bei allen Unterschieden im Einzelnen darin einig, daß die Gottheit „an sich“ unerkennbar im unzugänglichen Licht wohnt und sich zu ihrem Wirken „für uns“ in der geschaffenen Welt einer besonderen gottgleichen Vermittlungsperson bedient, deren Tätigkeit nicht erst mit dem drama­ti­schen Akt der Menschwerdung einsetzt, sondern die Schöpfung seit ihrem Anbeginn durchwaltet. Der hier in groben Umrissen angesprochene Prozess der Menschwerdung des göttlichen Wortes als Person hat aber noch eine zweite Seite, bei dem das Wort selbst und die in den Worten der Schrift vermittelte Wahrheit im Zentrum stehen. Die Gottes­bilder und das Gottesverständnis der Menschen und Völker sind historisch gewachsen, und während Gott selbst unveränderlich und unwandelbar ist, hat sich das Verständnis von Gott entsprechend dem menschlichen Begriffsapparat entwickelt und gewandelt.

Und Gott – bzw. konkret die Zweite Person in Jahweh/Christus – hat sich auch immer wieder in einer Weise offenbart, die einerseits diesem Verständnis entsprach und ange­passt war – andererseits aber auch dazu beitrug und die Menschen motivierte, ihr Ver­ständnis und ihr Wissen unter Führung des Geistes weiterzuentwickeln – hin zu mehr Übereinstimmung mit dem (unwandelbaren) Wesen Gottes, zu mehr Wahrheit. Auch das ist eine Art der Inkarnation, der Anpassung und wenn man so will sogar der Unterwer­fung der Gottheit nicht nur unter die materiellen Bedingungen der Geschöpflichkeit, sondern auch unter das allzu unzulängliche jeweils bereitstehende „geistige Material“.

Die Schwierigkeit dieses Prozesses ist eindrucksvoll abzulesen am Wandel des Messias­bildes, das seinen Ausgangspunkt bei glorifizierten irdischen Herrschern wie David oder Salomon hatte und sich dann durch die widersprüchlichen Erfahrungen der Heilsge­schichte und die geistgeleitete „Erziehungsarbeit“ der Propheten erweiterte und vertiefte: Weg von der Erwartung eines machtvollen Königs, der das Volk des Bundes zur Herrschaft über alle seine Bedränger geführt hätte, und hin zur „Menschwerdung im Fleische“ im ärmlichen Stall auf den Hirtenfeldern von Bethlehem gerade da, wo seit alters her die Schafe für die Opfer im Tempel gezüchtet wurden.

So wie die Person des göttlichen Wortes zu seiner Menschwerdung sich der geschaffenen und gewachsenen irdischen und mit vielerlei Unvollkommenheiten behafteten Materie einer menschlichen Mutter bediente, hat auch das Wort Gottes in der Offenbarung / Heiligen Schrift sich der bereits vorhandenen – und nicht zufällig so beschaffenen – primitiven „Materie“ des menschlichen Denkens über Gott und das Überirdische be­dient, bis dann schließlich jene Fülle der Zeit erreicht war, in der das Wort Gottes irdi­sches Fleisch annahm – und der Geist zumindest eines Teils der Menschen aus vielerlei Irrungen heraus so weit entwickelt, daß sie die Bedeutung dieses Vorganges zumindest erahnen konnten und daran gingen, dieses Wort allen Menschen guten Willens zu ver­künden.

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