Summorum Pontificum.de

Der Ritenstreit von Charlotte —
Zwischenbericht und Zukunftsaussichten

04. Juni 2025

1 - Liturgie

Der Stich zeigt die Szene vor dem Thron Salomos, als er den Scharfrichter auffordert, das umstrittene Kind zu teilen.

Die Weisheit Salomos und die Liebe der wahren Mutter

In der US-Diözese Charlotte, in der Bischof Martin die Feier der überlieferten Liturgie extrem einschränkenden Bedingungen un­ter­worfen hatte, zeichnet sich eine zumindest zeitweilige Entspannung ab: Nach einer Mit­tei­lung in der Diözesanzeitungen hat der Bischof das Inkrafttreten der von ihm verfügten Maß­nah­men bis in den Oktober ausgesetzt und schöpft damit die von seinem Vorgänger von Rom erbetene und erhaltene Dispens voll aus. Der Bischof begründet seinen erfreulichen Schritt damit, daß er auf die Bitten der vier Pfarrer eingehen wolle, die bisher in ihren Pfarrkirchen Sonntagsmessen im überliefer­en Ritus angeboten haben und darum gebeten hatten, diese Praxis auch weiterhin fortsetzen zu können.

Das (vorläufige, wie man betonen muß) Einlenken des Bischofs geht wohl in erster Linie auf das überaus schlechte Echo zurück, das Bischof Martin auf seine Maßnahme ausge­löst hat – Kritik kam nicht nur von den Gläubigen und Priestern seiner Diözese, sondern auch aus weit darüber hinausreichenden Kreisen, auch vom Weltklerus anderer amerika­nischen Diözesen, die sich mit Unterstützung ihrer Bischöfe um eine produktive Gestal­tung des Verhältnisses zwischen den Anhängern der überlieferten und der unter Paul VI. tiefgreifend veränderten Reformtheologie bemühen. Gerüchte wollen auch von einem „Anruf aus Rom“ wissen – nichts Genaues weiß man nicht. daß Papst Leo selbst sich eingeschaltet habe, halten wir für extrem unwahrscheinlich – das entspricht nicht dem, was wir bisher über seinen Leitungsstil erfahren haben. Wahrscheinlicher wäre – wenn es einen solchen Anruf denn tatsächlich gegeben haben sollte – daß er informell von einem Mitarbeiter des Bischofsdikasteriums gekommen wäre, das Bischof Martin erst im April vor übereiltem Vorgehen in seinem ersten Amtsjahr gewarnt und zur Zurückhaltung auf­gefordert hatte. Im Dikasterium weiß man vermutlich mehr als unsereins hinsichtlich der Überlegungen, die der neue Papst hinsichtlich der beiden so widersprüchlichen Rege­lun­gen zur „Alten Messe“ durch seine Vorgänger in „Summorum-Pontificum“ bzw. „Traditi­onis Custodes“ entwickelt hat oder in absehbarer Zeit entwickeln muß. Das schwere Erbe verlangt nach Ordnung.

Bischof Martin seinerseits soll sich dahingehend geäußert haben, daß Rom ihm bitte eine geänderte Fassung von Traditionis Custodes zukommen lassen möge, wenn man dort eine dauerhafte Änderung seines Vorgehens erwarte. Das klingt leicht verschnupft, wie man das von Befehle ausführenden Beamten kennt, wenn sie erstaunt feststellen, daß sie den Willen der höheren Instanz falsch eingeschätzt haben oder daß sich die Groß­wetterlage auf unvorhergesehene Weise geändert hat.

Feststehen dürfte jedenfalls, daß Maßnahmen zur Wiedergewinnung des Liturgischen Friedens, der durch den Widerspruch von Papst Franziskus zur 20 Jahre zuvor erfolgten Gesetzgebung von Papst Benedikt empfindlich gestört worden ist, auf der Agenda von Papst Leo ziemlich weit oben stehen dürfte. Weniger aus persönlichem Antrieb – nach allem, was man weiß, gehört er zu der glücklichen Generation amerikanischer Priester und Bischöfe, die es vermeiden konnte, in die Perspektive der „Hermeneutik des Bru­ches“ gedrängt zu werden. Aber durch welche Maßnahmen könnte der „liturgische Frieden“ wiedergewonnen werden, ohne neue Schauplätze im seit Jahrhunderten andau­ernden Streit der Modernisten, Reformisten und Traditionalisten um den weiteren Kurs der Kirche zu eröffnen? Das Gebiet der Liturgie ist bietet sich ja deshalb für solche Schauplätze besonders an, weil es im Zentrum des sichtbaren Handelns der Kirche steht. Das Gezänk von Theologen auf ihren Elfenbeintürmen wird von der Masse der (mehr oder weniger)Gläubigen mit guten Gründen kaum wahrgenommen. Wie also mit dem Widerspruch von Franziskus zu Benedikt (und nicht nur zu Benedikt) umgehen? Eine ausführlichere Diskussion der hier denkbaren Möglichkeiten hat Edward Pentin dieser Tage im National Catholic Register veröffentlicht.

Traditionis Custodes quasi „aufzuheben“, wie Franziskus das mit Summorum-Pontificum getan hat, erscheint wenig sinnvoll – das würde den entstandenen Eindruck der Willkür nur weiter verstärken und im übrigen ja wenig dazu beitragen, die Perspektive des Bruches zu überwinden. Eher denkbar wäre ein Ausweichen auf die Ebene der „Ausfüh­rungsbestimmungen“ die zunächst keine abschließende Antwort geben – so praktiziert das TC das mit der Formel vom Novus Ordo als der „Einen lex orandi“ der lateinischen Kirche – und mit diesen Bestimmungen den vorherigen Status weitgehend oder doch für alle praktischen Zwecke wieder herzustellen. Sich auszumalen, wie ein solches Kunst­stück gelingen könnte, strengt unsere Phantasie bis an ihre Grenzen an – aber das ist ja auch nicht unsere Aufgabe. Hier ist Papst Leo gefordert – und der hat dafür kompetente Mitarbeiter.

Vor allem scheint er auch nach dem, was wir in den wenigen Wochen seiner Amtszeit beobachten konnten, das Naturell und die Absicht zu haben, ohne Aufgabe von Grund­sätzlichem unterschiedliche Perspektiven zusammenzuführen oder wenigstens zu gegenseitiger Duldung zu bewegen – was unter den gegebenen Umständen und im 60 Jahr des vorschnell ausgerufenen „neuen Frühlings“ wohl das äußerste ist, auf das wir hoffen können. Und es wäre nicht wenig.

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