Karwoche I - Palmsonntag

Der Palmsonntag

PorträtphotoDie Karwoche ist einer der wichtigsten Bestandteile unserer Liturgie. Sie ist Mittelpunkt des ganzen Jahres und ihre Verhältnisse wirken sich in erheblichem Umfang auf das ganze liturgische Leben aus. Sie ist ein außergewöhnlicher Zeitabschnitt, nicht nur wegen ihrer Inhalte, sondern auch wegen ihrer liturgischen Formen, die dieser Inhalte würdig sind. Bei der Herausbildung der Liturgie der Karwoche spielten neben diesen Inhalten auch einige der Entwicklungsgesetze der Liturgie eine Rolle. Dazu gehörte auch das Bemühen, die Liturgie bestimmter Abschnitte des Kirchenjahres, vor allem eben der Karwoche, zu erhalten und in ihnen einige der ältesten liturgischen Bräuche zu bewahren – teils aus Pietät, teils deshalb, weil sie nach Ansicht der Gläubigen eine besondere Verbindung zum Inhalt dieser Woche hatten (vergl. „Lex Baumstark“).

Es ist festzuhalten, daß es im Römischen Ritus keinen anderen Zeitabschnitt gibt, der so viele Elemente von den Gebräuchen der Kirche von Jerusalem übernommen hat wie die Karwoche. Die bildhafte Kraft einiger ihrer liturgischer Aktivitäten (z.B. die Riten des Palmsonntags) oder die Überreste der Verehrung der heiligen Stätten und Reliquien (z.B. am Karfreitag) breiteten sich von Jerusalem aus in der ganzen Kirche aus und gewährleisteten, daß keiner vom unmittelbaren (nachgerade physischen) Kontakt mit den heiligen Geheimnissen ausgeschlossen wäre. Das mag daher rühren, daß die Römische Liturgie sich nicht mit Worten zufrieden gibt, sondern an diesen heiligen Tagen den Ausdruck in sichtbaren Symbolen und dramatischen Handlungen sucht. Indem sie so die Sphäre der Worte überschreitet, drückt sie gleichzeitig eine theologische Sichtweise aus, nach der die Liturgie mehr ist als ein lehrhaftes, anspornendes oder gedenkendes Erinnern: Sie ist ein Akt des Mysteriums, in dem sich unter dem Schleier äußerer Handlungen die Realitäten der Erlösung in der Gegenwart verwirklichen. Die Struktur der Karwoche bietet auch pastoralen Nutzen. Er besteht darin, daß die ganze versammelte Gemeinde – unabhängig von Alter, Bildung und sozialer Stellung – durch das liturgische Ereignis unmittelbar berührt wird.

In dieser Hinsicht stellte der Ritus Curiae (d. h. der vortridentinische Gebrauch am päpstlichen Hof) und dann natürlich auch der Tridentinische Ritus bereits einen beträchtlichen Niedergang dar. Im Leben der Priester der päpstlichen Kammern fehlten sowohl die Voraussetzungen als auch die pastoralen Anreize für die vielfarbige Umsetzung einer solchen „bildhaften“ Liturgie. Beispiele dieser Verarmung durch die Abschaffung einiger starker dramatischer Momente sind die reduzierte Form der Palmsonntagsprozession, die Restbestände der Fußwaschung (Mandatum) und der Verehrung des Altars am Gründonnerstag, die Verkürzung der Prozession vor der Verehrung des Kreuzes an Karfreitag und die Auslassung der Abschlußriten bei den Tenebrae.

Dieser bereits reduzierte tridentinische Ritus bildete nun den Ausgangspunkt für die Reformen der Bugnini-Liturgie. Die Neuerungen brachten weitere Verarmung, teilweise durch Vorgaben, teilweise durch Freistellung ad libitum, und führten so immer weiter in den liturgischen Minimalismus. Zusätzlich eliminierte die Bugnini-Liturgie die besonderen Züge der Karwoche und „standardisierte“ ihre Riten durch Übernahme von für das ganze Jahr geltenden Rubriken (insbesondere im Offizium).

Der Palmsonntag

Am Palmsonntag beginnt das Hochamt mit der Palmweihe und der Prozession. Im Mittelalter ging jedem Sonntagshochamt eine Prozession voraus. Die Palmsonntagsprozession war eine erweiterte Sonderform dieser all-sonntäglichen Prozession, die die Ereignisse dieses Tages darstellte und in Erinnerung rief. Damit folgte die ganze Kirche dem Brauch der Gläubigen in Jerusalem, die alle Orte der einmaligen Ereignisse abschritten und so das Gedächtnis von Christi Einzug in die Heilige Stadt feierten.

Die Palmweihe und die Prozession sind im Prinzip zwei gleich bedeutende Teile des Ritus. Wegen der dramatischen Elemente innerhalb der Prozession und dem Auftritt der Kinder, die die pueri Hebreorum darstellten, entwickelte sich allerdings zunächst die Prozession zum Hauptelement der liturgischen Handlung. Höhepunkt der Prozession ist der Moment, in dem die Kinder ihre Kleider vor Christus (repräsentiert durch das Vortragekreuz) ausbreiten, die Palmzweige auf seinen Weg legen und schließlich vor dem Einzug in die Kirche wie seinerzeit vor dem Stadttor von Jerusalem dem Rex Christe Redemptor ihren Tribut zollen. So verwandelten diese dramatischen Elemente die Prozession in eine Kette von Aktionen und bestimmten gleichzeitig genau den Ort der verschiedenen Gesänge: Pueri Hebreorum vestimenta..., Pueri Hebreorum tollens ramos, Gloria, laus et honor..., Scriptum est percutiam..., Ingressus Dominus.

Im Ritus von Trient verlagerte sich das Gewicht zur Palmweihe, und die Prozession wurde zu einer strukturlosen Wanderung, in der sich der Gesang mit der Rolle einer Begleitung oder einer Hintergrundmusik zufrieden geben mußte. Es kann daher nicht überraschen, daß ein guter Teil der Gesänge bereits damals ausgelassen wurden und daß das, was übrig blieb, entweder später auch noch entfiel oder durch anderes Material ersetzt wurde. Lediglich der Einzug in die Kirche wurde weiterhin durch den Gesang des Gloria laus und durch eine bescheidene symbolische Geste (das Pochen mit dem Kreuz an die Kirchentüre) hervorgehoben. Andererseits verlängerte der Ritus von Trient die Zeremonie der Palmweihe, die mit längeren Lesungen Gebeten, Präfation und Sanctus der Form der der Messe ähnelt.

Die Bugnini-Liturgie setzte die Vereinfachung fort. Die Palmweihe wurde gekürzt, und die Prozession wurde auf ihren Kern mit einem Minimum an gregorianischen Gesängen reduziert, wobei es erlaubt wurde, an deren Stelle auch praktisch alle anderen Lieder zu verwenden. Die Rubriken führten außerdem alternative Formen ein, die auch den völligen Verzicht auf die Prozession erlaubten, im schlimmsten Fall auch auf den feierlichen Einzug des Priesters.

Eine Wiedereinführung der traditionellen Struktur der Prozessionen und ihrer dramatischen Elemente (oder zumindest das Angebot der Möglichkeit, sie wieder zu praktizieren) wäre heute unter pastoralen Gesichtspunkten selbst dann hilfreich, wenn die Prozession die Kirche vielfach gar nicht verlassen kann. Wenn aus Platzgründen nur der Priester mit der Assistenz und die Kinder an der Prozession teilnehmen und die verschiedenen Stationen vor den Augen der Gläubigen in ihren Bänken darstellen könnten, wäre das schon eine große Hilfe, um sie besser in den Beginn der Karwoche einzuführen.

Für dieser Prozession haben die ursprünglichen Gesänge größte Bedeutung, sie können durch nichts anderes ersetzt werden. Statt sie abzuschaffen wäre es besser gewesen, wieder eine engere Verbindung zwischen den Gesängen und dem Handlungsablauf herzustellen, so daß ihre Bedeutung klarer hervorträte. (Im Bereich der Folklore hat sich gezeigt, daß bestimmte Elemente eines Brauchtums umso eher überlebten, je mehr Lieder mit ihnen verbunden waren.)

Ich kann hier nicht auf alle Einzelheiten eingehen, aber zwei Punkte sollen noch besonders hervorgehoben werden. Der Übergang, oder besser gesagt, der Wechsel zwischen der Prozession und der Messe ist sowohl dem Inhalt nach als auch wegen des psychologischen Effekts ein höchst bedeutsames Element der traditionellen römischen Liturgie. Die Prozession ist mehr als nur Vorbereitung auf die heilige Messe, sie ist eine liturgische Handlung mit eigener Bedeutung. Von daher war es völlig logisch, daß der Zelebrant bei der Prozession das Pluviale trug und dann nach dem Vortrag der abschließenden großen Fürbitten dieses für die Prozession angemessene Gewand ablegte und die Kasel des Priesters für die hl. Messe anlegte. Damit hatte auch die Schola etwas mehr Zeit, den Introitus (Domine ne longe) zu singen.

Ein solcher Übergang ist höchst angemessen, einmal wegen des Unterschieds der inhaltlichen und emotionalen Konnotationen der beiden Feierlichkeiten (s. dazu die Gesänge, Lesungen und Gebete der Messe), dann aber auch aus technischen Überlegungen: Um die Bewegung der Prozession anzuhalten, die Teilnehmer neu aufzustellen, die Assistenz neu zu ordnen – all das läßt sich viel zwangloser arrangieren, wenn man für Introitus und die Inzensierung des Altars genügend Zeit hat, zwangloser jedenfalls, als wenn die Prozession bruchlos in die Gebete und Lesungen der Messe übergeht.

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