Karwoche II - Die Tenebrae

Tenebrae in Blackfriars, Oxford, 2008Die Tenebrae

Das Officium Tenebrarum (Matutin und Laudes an Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag) muß als ein organischer Teil der Liturgie der Karwoche gelten. Dieses Offizium ist nach Inhalt und Form ein kostbares Erbstück des römischen Ritual und wir sollten versuchen, es auf die eine oder andere Weise auch zu einem wesentlichen Element der Pfarrliturgie zu machen.

Die Besonderheiten des Officium Tenebrarum (die Auslassung des Invitatoriums, der Hymnen, des introductoriums und der Schlußgebete sowie der Abschluß der Psalmen ohne Doxologie) sind alles Überreste eines älteren Stadiums der Liturgie. Die Teilnehmer empfinden sie jedoch nicht als historische Kuriositäten, sondern als außergewöhnliche Formen in einer außergewöhnlichen Zeit: Als Zeichen tiefer Berührung und Zurücknahme, als Verzicht auf die übliche Ausschmückung an diesen unüblichen Tagen. Im Bereich des Brauches hat das die gleiche Funktion wie der Verzicht auf Blumen auf dem Altar und das Verstummen der Orgel in ihrer jeweiligen Sphäre.

Die Ordnung des Offiziums am Donnerstag, Freitag und Samstag war in allen Varianten der Liturgie von den ältesten Zeiten bis zu der Zeit unmittelbar vor Einführung der Liturgia Horarum praktisch überall die gleiche. Es ist bemerkenswert, daß der monastische Zweig der römischen Liturgie, der sich sonst strukturell vom Diözesanritus unterscheidet, hier voll mit den anderen Mitgliedern der römischen Ritusfamilie übereinstimmt und daß das monastische Stundengebet hier seinen Benediktinischen Charakter zugunsten des gemeinsamen Erbes zurückstellt.

Ein wichtiger Teil des Officium Tenebrarum sind die Lesungen aus den Klageliedern des Propheten Jeremias. Die Lokalen Traditionen unterscheiden sich in der Auswahl der Stellen, aber sie stimmen alle darin überein, daß sie die Lesungen aus den Klagen nehmen. Die Verlesung dieser Klagen in der Liturgie verbindet den Tod Jesu mit der Erinnerung an den Fall der Menschheit, an die Erbsünde, das tragische Schicksal von Israel und Jerusalem. Damit macht der Ritus die Verbindung der Passion mit der ganzen Heilsgeschichte geradezu sinnlich als Einheit erfahrbar, geradeso wie der Canon der römischen Messe das mit seiner Erwähnung von Abel, Abraham und Melchisedech tut. Aber das geschieht nicht durch eine didaktische Darlegung, sondern ganz der Art der Liturgie entsprechend in einer „verhüllten Predigt“, in der Sprache der Symbole, Bilder, Gleichnisse und Gleichsetzungen.

Die letzte Kerze wird gelöschtEin besonders kostbarer Teil des Officium Tenebrarum ist die Litanei am Ende der Laudes. Sie kommt praktisch in jeder alten Liturgie vor und hat in einigen Ordensgemeinschaften bis in die jüngste Zeit überlebt. Der Text, der dramatische Effekt des „Arrangements“, die kunstvolle Einbeziehung des Graduale Christus factus est und einige andere Elemente machen sie zu einem würdigen Abschluß der Feier. Im Ritus der ungarischen Kirchen nannte man die Zeremonie das „Kyrie Puerorum“, weil jeder Abschnitt der Litanei mit dem Kyriegesang kleiner Kinder einsetzte (oder anderswo mit dem Gesang des jeweils jüngsten Mitglieds eines Konvents oder Klosters).

Der Usus der Kurie und dementsprechend auch der Tridentinische Ritus behielten dieses alte Offizium fast unverändert bei – nur die Litanei fiel weg. Sie entsprach mehr den Gemeinschaften mit einem lebhaften liturgischen Leben als den Beamten des päpstlichen Hofes, und so ersetzte die Kurie diesen dramatischen Part durch die schlichte Rezitation von Psalm 50 und den Gesang Christus factus est.

Der Bugnini-Liturgie fehlt es völlig an Feinheit des Gefühls und der Verehrung. Sie konnte es nicht hinnehmen, daß die Struktur des Officium Tenebrarum sich von den anderen Tagen des Jahres unterschied; so wurden Invitatorien und Hymnen geschaffen oder ausgesucht, um diese Unordnung im Offizium der Karwoche zu bereinigen. Auch die Klagelieder wurden aufgegeben, da sie nicht in enger Verbindung zum „Thema des Tages“ zu stehen schienen. (Nebenbei bemerkt: Durch die sich überall aufdrängenden liturgischen Kommentierungen entstand in der Liturgie ein übertriebenes Interesse an „Themen“, die dann ihrerseits wieder zu einer der Haupttriebkräfte der Reform wurden). Die Wiederherstellung der Litanei „Kyrie Puerorum“ kam unter diesen Umständen natürlich überhaupt nicht in Frage, obwohl man sie eigentlich leicht mit einem der Steckenpferde der Bugnini-Liturgie hätte identifizieren können: Den allgemeinen Fürbitten (preces).

In der Bugnini-Liturgie finden wir an Stelle des Officium Tenebrarum ein sauber ausgearbeitete reguläres Tagesoffizium. Es erscheinen hier und da noch einige ausgewählte Antiphonen und Responsorien des Römischen Ritus, aber das Offizium selbst, das bis dahin in jedem Zweig der römischen Liturgie als gemeinsames Erbe bewahrt worden war, wurde nach mindestens 1500-jährigem Bestehen ausgelöscht.

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