Karwoche III - Gründonnerstag

Der Gründonnerstag

UmschlagbildDas „Thema“ der Liturgie an Gründonnerstag ist nicht die Einsetzung der Eucharistie, sondern das ganze Pascha Mysterium, ähnlich wie an Karfreitag oder am Ostersonntag. Die Klassiker der liturgischen Lehre haben mehrfach erklärt, daß unser Pascha-Fest an den Heiligen Tagen immer an das Gedächtnis von Christi Paschamysterium in seiner Gesamtheit erinnert. An einzelnen Tagen mögen einzelne Aspekte in den Vordergrund treten, aber stets als ein Teil des Ganzen und eng damit verbunden. Selbst wenn man ihn für sich betrachtet, kann man den spezifischen Inhalt des Gründonnerstags als eine vielschichtige Kombination verschiedener Elemente des letzten Abendmahls, seiner letzten Rede an die Jünger, seiner Todesangst und seines Verhörs betrachten - als den ersten Abschnitt der Passion.

Die Gefühle, die in der Seele der Kirche wiederklingen, entsprechen den beiden Worten des Herrn: „Wie sehr hat es mich verlangt...“ und „Vater, dein Wille...“. Das ist der Grund, daß die Kirche des Mittelalters die Notwendigkeit für das Fronleichnamsfest empfand: Sie spürte, daß Gründonnerstag eben nicht das Fest der Einsetzung der Eucharistie war. Gründonnerstag ist ein Tag der Feier des Paschamysteriums, ein Tag der Feier der Passion, ein Tag der Feier der Geheimnisse der Erlösung, und nur in diesem Zusammenhang und unter anderen Motiven ist er auch der Tag der Erinnerung an die Einsetzung der Eucharistie. Diese Vielschichtigkeit kommt auch innerhalb der Messe zum Ausdruck. Der Introitus (nos autem gloriari), das Graduale (Christus factus est) und das Offertorium (Dextera Domini) beziehen sich auf das grundlegende Element der Feier, nämlich das ganze Paschamysterium. Das Evangelium erinnert an die Waschung der Füße der Jünger, die ursprüngliche Oration setzt das Motiv des Verrates Judas‘ in Beziehung zur Heiligen Woche insgesamt.

Diese Aussage erhält umso mehr Gültigkeit, wenn man bedenkt, daß die Liturgie des Gründonnerstag nicht auf die Feier der Messe beschränkt war. In der lebhaften mittelalterlichen Liturgie folgte der Messe ein ganzer Komplex von Riten, der als „Mandatum“ (daher engl. Maundy Thursday) bezeichnet wurde: Die Fußwaschung, die Verlesung der letzten Rede an die Jünger, das rituelle Mahl und die fromme Verehrung des Altars – das alles verschmolz zu einer einheitlichen Folge dramatischer Ereignisse. Das ganze wurde durch eine genau abgestimmte Folge von Texten und Gesängen begleitet. Außerdem müssen wir an die Zeremonie der „Versöhnung der Büßer“ erinnern, die am Morgen dieses Tages stattfand. Sie hat in einigen Ordensgemeinschaften bis in die jüngste Zeit als ein Reinigungsritus überdauert, der die Fastenzeit abschloss und die Seelen auf Ostern einstimmte. (Bemerkenswerterweise haben einige Ordensgemeinschaften die Einheit dieser Abfolge von Riten dadurch unterstrichen, daß sie das Offizium und die Messe des Gründonnerstags aus den Antiphonarien und Gradualen herausnahmen und als Teil einer einheitlichen Handlung in das Prozessionale aufnahmen).

Der Tridentinische Ritus war bereits dafür verantwortlich, einen Prozess in Gang zu setzen, der zur Verarmung dieses liturgisch so komplexen und reichhaltigen Tages führte. Er machte die Fußwaschung zu einer eigenen Feier, die den Kathedralen vorbehalten war. Die Verehrung des Altares wurde zu einer bloßen Entkleidung des Altares reduziert, die von gemurmelten Psalmen begleitet war. Das Liebesmahl und die anderen Elemente des Mandatum fielen ganz weg, und die „Versöhnung der Büßer“ wurde einfach vergessen. Die Neuerung durch die Reform von Papst Pius XII. Bestand darin, die Messe in zwei Teile zu teilen – eine Frühmesse mit der Chrisamweihe für die Bischofskirchen und mit einer Abendmesse mit dem Gedächtnis des letzten Abendmahls für alle Kirchen. Diese Ordnung war die erste, die vorschrieb, die Fußwaschung innerhalb der Messe (nach dem Evangelium) durchzuführen, der Ritus selbst blieb noch unverändert.

Die Reformer nach dem Zweiten Vatikanum hätten nun zu dem Schluß kommen können, die frühere reichhaltige Liturgie der Karwoche wieder herzustellen und dabei so schonend wie möglich lediglich solche Vereinfachungen vorzunehmen, daß auch kleinere Pfarrkirchen sie hätten durchführen können. Stattdessen nahm die Reform die normale Pfarrkirche als Bezugspunkt und erhob deren vermutete Möglichkeiten zur allgemeinen Norm. Aufgrund theoretischer Überlegungen wurde die Abendmesse des Gründonnerstag zum Beginn des Triduum Sacrum - womit sowohl die Tenebrae dieses Tages als auch die Morgenmesse mit der Chrisamweihe herausgenommen wurden. Dann erklärte man die Einsetzung der Eucharistie zur Hauptbotschaft der Messe, und damit verloren auch die Oration und das Graduale Christus factus est ihre Bedeutung – letzteres wurde durch einen Text mit eucharistischem Inhalt aus dem Jahreskreis ersetzt. Die Möglichkeit, nach dem Evangelium dieser Messe eine Fußwaschung einzuschieben, wurde beibehalten, und die Entkleidung des Altars nach der Messe erscheint in dieser Liturgie noch bedeutungsloser, als sie das zuvor war.

Wenn man die Beschreibung der frühesten Zeugen der Heiligen Woche (z. B. Den Bericht der Pilgerin Aetheria aus Jerusalem) mit den Gepflogenheiten der Ostkirchen und den alten Dokumenten aus der lateinischen Kirche vergleicht, wird erkennbar, daß die Christen diese Feiertage ursprünglich mit einer zusammenhängenden Folge von Riten begingen, so daß die Liturgie fast den ganzen Tag ausfüllte. Der Gründonnerstagsritus der Bugnini-Liturgie ist demgegenüber praktisch identisch mit der alltäglichen Form der Messe - alle weiteren Bedürfnisse müssen mit vor Ort entwickelten Frömmigkeitsübungen befriedigt werden.

Ein mögliches Argument zur Verteidigung dieser Veränderungen könnte sein, daß eine „pastoral ausgerichtete“ Liturgie nicht mehr enthalten sollte als das, was die Gläubigen einer normalgroßen Pfarrei ausführen können. Darin liegt sicherlich ein ganz großer Unterschied in der Herangehensweise. In der frühen Liturgie war es immer die Feier der ganzen Kirche, die die einzelnen Gemeinden und Gläubigen dazu einlud, sich soweit es ihnen irgendwie möglich war an der Feier zu beteiligen. Die Kirche zeigt sich auch in den Teilen des Ritus, an denen eine konkrete Gemeinde sich nicht beteiligen kann. (Letzten Endes treffen hier zwei unterschiedliche Ekklesiologien aufeinander. Das moderne Verständnis setzt die Kirche gleich mit dem Gebäude, das aus ihren Mitgliedern erbaut ist. Die traditionelle Sicht der katholischen Theologie geht davon aus, daß die Kirche die Heilige Stadt ist, die sich aus dem Himmel auf die Erde herniedersenkt, anders gewendet: der Tempel, in den die Gläubigen aufgenommen werden.

Nach meiner Meinung hätte es die Aufgabe der Reform sein sollen, die vielfältige Ordnung der Gründonnerstagsfeierlichkeiten wieder herzustellen. Das hätte mit dem Offizium des Tages angefangen und auch den Reinigungsritus (Reconciliatio Paenitentium) zum Abschluß der Fastenzeit mit berücksichtigt. Dazu hätte es die Messe mit der Chrisamweihe in der Bischofskirche gegeben , dann die feierliche Abendmesse, und schließlich das Mandatum, unter Wahrung seines wesentlichen Inhalts an die heutigen Verhältnisse angepasst.

Eine solche Ordnung stellt natürlich ein Ideal dar, das nicht überall verwirklicht werden kann. Aber es ist wichtig, sie im Zusammenhang zu sehen und dieses Gefüge als den Ausgangspunkt zu begreifen, von dem die einzelnen Kirchen ausgehen, wobei die Rubriken ihnen den Spielraum für berechtigte Unterschiede einräumen. Die Teilnehmerzahl sollte dabei jedenfalls nicht das Hauptkriterium sein. Die Treue, die die Mitglieder einer noch so kleinen Gemeinde dazu führt, die heiligen Geheimnisse in der vollständigst möglichen Weise in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche zu begehen und so vor Gott zu treten, ist aller Ehren wert und gerät der Ganzen Kirche zum Wohle. Zur Belohnung für diese Treue werden sie sicher früher oder später erleben, daß ihre kleine Herde an Zahl zunimmt.

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