Karwoche IV - Karfreitag

Der Karfreitag

Auch am Karfreitag war nach dem Gebrauch der mittelalterlichen Kirchen der ganze Tag von liturgischen Begängnissen durchzogen. Hier wird aus Platzgründen jedoch nur die zentrale Feierlichkeit des Tages, die Missa praesanctificatorum, dargestellt. Ihre Hauptbestandteile waren und sind auch jetzt noch in jedem Zweig der römischen Liturgie identisch: Lesungen mit der Passion, feierliche Gebete, die Kreuzverehrung und schließlich die Spendung der praesanctificatorum, also die heilige Kommunion. Wenn wir die Details anschauen, stellen wir allerdings im reformierten Ordo wesentliche Veränderungen fest.

Beginnen wir mit den beiden Lesungen. Jahrhunderte hindurch war die erste Lesung von Hosea über die drei Tage von Tod und Auferstehung, während als zweite ein Abschnitt aus Exodus über das Opfer des Osterlammes vorgelesen wurde. Der ersten Lesung folgte einer der bedeutendsten Gesänge der christlichen Liturgie, nämlich das Canticum Domine audivi, der zweiten Lesung folgte Psalm 139 vom verfolgten Gottesknecht. Beide wurde in der Form eines tractus gesungen – das zeugt einerseits vom hohen Alter dieser Gewohnheit und passt andererseits hervorragend in die Anmutung der außerordentlichen liturgischen Situation. Tatsächlich ist zu diesem Zeitpunkt ein Antwortgesang der Gläubigen nicht unbedingt notwendig oder wünschenswert. Diese Texte – die Worte der Kirche, während sie im ersten Tractus von Gottes machtvollem Handeln erschüttert in die Knie sinkt, und die Klage des Leibes Christi in der Einheit mit seinem leidenden Haupte – sind hervorragend dazu geeignet, die aufmerksam dem Gesang eines Solisten oder eines kleinen Chores lauschende Gemeinde zu erschüttern.

Diese Lesungen und beide Tractus finden sich unverändert in allen liturgischen Büchern des römischen Ritus einschließlich des tridentinischen; Abweichungen gibt es nur im Gebrauch der nicht-römischen Kirchen von Benevent und Mailand. Der jüngsten Reform waren sie jedoch nicht gut genug. Für die erste Stelle wählte man statt dessen die Prophetie Isaias über den leidenden Messias vom Gründonnerstag, und als zweite Lesung hören wir jetzt die theologische Abhandlung über das Leiden aus dem Brief an die Hebräer. Beides sind wichtige Texte, und sie passen auch zum Tage, aber dennoch drängt sich der Eindruck auf, daß diese Änderung auch einen Verlust bedeutet.

Die Perikope vom Opferlamm wurde jetzt der Messe vom Gründonnerstag zugeordnet, um die Verbindung zwischen dem Heiligen Mahl des Neuen Testaments mit dem Paschamahl des Alten Testaments zu betonen. Meiner Ansicht nach war der lange Text Isajas mit seinem nachgerade lyrischen Ton in der Zeit vor Beginn der heiligen Tage besser angebracht. Die Perikope vom Schlachten des Osterlammes stellte das Pascha der beiden Testamente einander gegenüber und repräsentierte damit das „Heute“ des Karfreitags als eines Kreuzungspunktes der großen Mysterien der Heilsökonomie. Ich denke, am Gründonnerstag hätte man es gut bei einer Lesung und dem Evangelium nach der Ordnung des Tages bewenden lassen können, und damit hätte der Text über das Osterlamm an dem ihm theologisch zukommenden Platz des Karfreitags bleiben können.

Wenn wir den Text Jesajas mit der Prophetie Hoseas vergleichen, stellen wir fest, daß Letzterer das Leiden nicht in den Einzelheiten beschreibt, sondern unsere Aufmerksamkeit auf die Objektivität des göttlichen Handelns im Paschamysterium richtet. Wie es aussieht, kann man heute nicht mehr voraussetzen, daß dieser Abschnitt verstanden wird, und so wäre dann die Lesung nach Jesajas eine mehr an der Praxis ausgerichtete Lösung.

Die Abschaffung des Traktus von Habakuk bedeutet in meinen Augen einen größeren Verlust. Im christlichen Altertum brachte dieser Text nicht nur am Karfreitag, wenn Gott sich „in medio duorum animalium“ in Gerechtigkeit und Erbarmen (in ira misericordiae memor) offenbart, sondern auch an anderen Tagen (etwa im Weihnachtsoffizium oder in der Ostervigil der Kirche von Benevent) das Staunen der Kirche über die Großtaten Gottes zum Ausdruck. „Herr ich habe Deine Taten gesehen, und ich bin verwirrt...“ Im gegenwärtigen Ritus singen wir stattdessen nach der ersten Lesung ein weniger ausdruckstarkes Traktus und nach der zweiten ein Graduale – wieder eine ziemlich absurde Reihenfolge, die der Tradition des Chorals keinesfalls entspricht.

Die Bugnini-Liturgie hat den Ort der feierlichen Gebete zwar beibehalten, aber den Text wesentlich verändert. Dieser neue Text wäre eine eigene Untersuchung wert. Jedenfalls heben sich die neuen Teile von ihrem klassischen Umfeld deutlich durch ihren Stil und ihre Geschwätzigkeit ab.

Höhepunkt der Karfreitagsliturgie ist die Kreuzverehrung; ihre Ursprünge gehen bis auf die Bräuche der Kirche von Jerusalem zurück. Wenn die Christen der Heiligen Stadt auf dem Hügel von Golgotha standen und die Reliquien des Heiligen Kreuzes verehrten, konnten sie sich als Teilnehmer der Ereignisse der Passion und der Erlösung fühlen und Anteil an deren Gnaden haben. Dieses erstaunliche Bewußtsein des hic et nunc muß (bei der überlieferten Gestalt des Ablaufs) in diesem Augenblick auch die kleinsten Kirchen der Christenheit durchdrungen haben.

In den meisten liturgischen Büchern aus vortridentinischer Zeit ging dem Ritus der Erhebung und Verehrung des Kreuzes ein dramatisch aufgebauter Ablauf von monumentaler Einfachheit voraus. Er war ihm nicht nur vorangestellt, er bereitete ihn auch vor: Die Abläufe vor der Kreuzverehrung vermittelten der Gemeinde die richtige Einstellung für die Kreuzverehrung. Wenn das Kreuz in die Kirche getragen wurde, unterbrach man den Zug an drei Stellen („stationes“). Der Priester, der das Kreuz trug, sang die Worte unseres Erlösers: O du mein Volk,was tat ich dir? Betrübt ich dich? Antworte mir! Die Improperien waren also ursprünglich keine Gesänge zur Kreuzesverehrung, sondern in den Worten des Vorsängers sprach der Erlöser selbst, und während er scheinbar das Volk Israel ansprach, wandte er sich in Wirklichkeit an die ganze Menschheit, die ganze Kirche und die versammelte Gemeinde.

Die Klageworte wollten nicht verurteilen, sondern die Herzen anrühren, wie es der Herr selbst getan hatte: „O Jerusalem, Jerusalem, wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln“. Und dabei müssen wir an den Psalmvers denken: „Hodie, si vocem ejus audieritis, nolite obdurare corda vestra“ (Wenn ihr heute seine Stimme hört, so verhärtet nicht eure Herzen). Die Antwort der Seele auf diese Klage kann nur in völliger Bereitschaft (zur Hingabe) bestehen. Dies ist daher der gebotene Zeitpunkt für die ganze Menschheit, die ganze Kirche, für die beiden Erdkreise, Ost und West, jedesmal zu antworten: „Hagios ho Theos – Sanctus Deus“. Und in unserer Zeit mag die Ortsgemeinde auch in ihrer Muttersprache einstimmen „Heilig ist der Herr!“. Erst nach diesen drei Stationen erreicht das Kreuz den Hochaltar, wo der Zelebrant es erhebt und dabei singt „Ecce Lignum Crucis – Seht das Holz des Kreuzes...“ und wo dann der Zug der Gläubigen zur Kreuzverehrung beginnt.

Bereits die tridentinische Liturgie hatte keinen Sinn für die mächtige Kraft dieses Rituals, so wie sie überhaupt für so viele dramatische Momente der Liturgie keinen Sinn hatte. Das Kreuz wurde schweigend hereingetragen, und die Improperien wurden zur Hintergrundmusik für die Kreuzverehrung. Nachdem die Gesänge so ihre Bedeutung verloren hatten, teilten sie das Schicksal der anderen „begleitenden“ Gesänge und wurde in den meisten Kirchen weggelassen oder durch andere Lieder ersetzt.

Auch in diesem ging die Bugnini-Liturgie nicht von der ganzen römischen Tradition, sondern von der tridentinischen Form aus. Ihr Ansatz bestand dabei vor allem darin, Möglichkeiten für noch weitergehende Vereinfachungen auszuschöpfen. Sie zog die letzte Konsequenz aus dem Schicksal der „Hintergrund-Gesänge“: Einige Stücke sind zwar noch aufgeführt, aber sie können durch „einen anderen geeigneten Gesang („cantus aptus“) ersetzt werden – und niemand weiß, was „aptus“ an dieser Stelle bedeutet. Mit diesem Vorgehen bekräftigte die Reform den Entwertungsprozess, dem die Psalmen zur Verehrung des Kreuzes in den meisten Kirchen ohnehin schon ausgesetzt waren. Ganz allgemein ist festzustellen, daß den Psalmen in der neuen Liturgie kein definierter liturgischer Inhalt mehr zukommt.

Es kam den Reformern gar nicht in den Sinn, einige der wertvollen Teile, die in Trient weggefallen waren, wiederherzustellen – etwa die früher weitverbreitete wunderbare Antiphon Dum fabricator mundi oder die Priestergebete, die während der Verehrung durch die Gläubigen stumm gesprochen worden waren und deren Fehlen heute eine funktionelle Lücke bildet. Im Gegenteil, selbst die Gesänge, die im tridentinischen Ritus beibehalten worden waren, wurden nun zur Disposition gestellt. All das hat freilich keine allzugroße praktische Bedeutung, weil die ganze Prozession zur Kreuzverehrung in vielen Kirchen als „unpraktikabel“ aufgegeben worden ist und man die Kreuzverehrung lieber in einer Form durchführt, die besser zum „beschleunigten Lebenstempo des modernen Menschen“ passt. Niemand dachte daran, wie wohltätig die dramatische Kraft der vorbereitenden Zeremonien gerade in den Kirchen sein könnte, in denen sich nicht die ganze Gemeinde an der Prozession beteiligen kann. Sie könnten die Zeit und den Anstoß dafür geben, daß die Gläubigen sich zumindest im Geiste an diesem bedeutenden Ereignis beteiligen.

In Zusammenhang mit der Austeilung der hl. Kommunion möchte ich darauf hinweisen, daß alte Choralbücher zahlreiche gedanklich und emotional hochstehende Stücke zur Begleitung der Prozession mit der Hostie zum Altar enthalten. (Etwa der Hymnus Laudes omnipotes ferimus, der von der Einheit der Eucharistie mit dem Kreuzesopfer handelt). Das Geheimnis der Eucharistie als memoria passionis kam auch in dem alten Brauch zum Ausdruck, daß der Priester bei der Elevation der Hostie intonierte: „Das ist der Leib, der für euch dahingegeben wird“, was der Chor dann mit dem Gesang der Communio Hoc Corpus fortsetzte. Die neuen Rubriken schreiben demgegenüber den leicht gekürzten normalen Ritus der Messe vor.

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