Statio in S. Nicola in Carcere

Blick von der königszeitlichen Area Sacra herStatio des Samstags vor dem Passionssonntag ist in S. Nicola in Carcere nahe der Tiberinsel am Fuß des kapitolinischen Hügels - allerdings erst seit dem 12. oder 13. Jahrhundert. Vorher ging der Zug an diesem Tag nach weit draußen zu St. Laurentius v. d. M. Die heutige Kirche hat zwar in der Neuzeit einige moderne Ausstattungselemente - darunter auch die Fassade - erhalten, gibt aber ansonsten einen guten Eindruck von der römischen Spätromanik. Der klobige Kirchturm ist aus einem Festungsturm der Burg im unmittelbar angrenzenden Marcellustheater hervorgegangen.

Über die Gründe der Verlegung der Statio an den Tiber gibt es nur Vermutungen. Doch sind die Stationes am Samstag, ja überhaupt die Messfeier am Samstag, erst verhältnismäßig spät eingeführt worden, so daß hier das allgemeine Schema öfter durchbrochen wird. Neben dem Bestreben, möglichst viele Stationes innerhalb der im Mittelalter enorm geschrumpften Stadt zu halten, mag der nahe dieser Kirche gelegene Brunnen - Rom litt damals unter ständigem Trinkwassermangel - eine Rolle gespielt haben: Der selbstverständlich auf die Taufvorbereitung hinweisende Introitus beginnt mit dem Aufruf des Propheten Jesaias:

Ihr Dürstenden, kommet zum Wasser, so spricht der Herr, und die Ihr kein Geld habt, kommet herbei und trinket in Freuden“.

Die Kirche des hl. Nikolaus im Kerker, obwohl als Stationskirche eine der jüngsten, hat, wie schon der Name ahnen lässt, eine bemerkenswerte Geschichte, die sich von der der meisten anderen Stationskirchen unterscheidet. Zunächst eine ganz außergewöhnliche Baugeschichte: Der verhältnismäßig kleine Bau steht auf den Fundamenten von gleich drei antiken Tempeln aus der Zeit der punischen Kriege (2. vorchristl. Jh.), alle drei sehr klein und dicht aneinander gerückt. Die äußeren Säulenreihen des mittleren, die zum Teil noch am ursprünglichen Ort stehen, markieren heute das Mittelschiff. Die Wände der Seitenschiffe bestehen aus den zugemauerten äußeren Säulenreihen der Tempel zur rechten und zur Linken, wie man nach Freilegungsarbeiten der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts auch deutlich sehen kann. Diese Lage ließ die Untergewölbe des mittleren Tempels, der übrigens der Iuno Sospita, der Retterin, geweiht war, jahrhundertelang als idealen Ort für die Lagerung des Staatsschatzes erscheinen: Von Mauern und Gottheiten bestens bewacht und beschützt.

Der Gründungsmythos der Stadt, der ganz in der Nähe die Fundstelle von Romulus und Remus im Korb lokalisiert, hat insoweit Realitätsgehalt, als hier an der Furt durch den Tiber die Keimzelle einer der Siedlungen lag, aus denen später Rom entstand. Die Lage zwischen dem alten Stadthafen und dem antiken Gemüse- und dem Rindermarkt mag später nicht die vornehmste gewesen sein, aber direkt gegenüber von San Nicola vor der Kirche von S. Omobono liegen ein paar unauffällige Mauerreste, wie man sie in Rom an jeder zweiten Straßenecke sehen kann. Nur daß die ältesten davon aus dem 7. Jh. v. Christus stammen - sie gehören zur Area Sacra aus der sagenhaften Zeit der frühen Könige. Ihr teilweise wieder aufgefundener Skulpturenschmuck liefert wertvolle Einsichten zum Herauswachsen Roms aus seinen etrurischen Ursprüngen.

Und wie kommt der hl. Nikolaus aus Kleinasien in den Kerker an diesem uralten Tempelbezirk? Nachdem die Tempel geschlossen und zerfallen und der römische Staatsschatz längst in alle Winde zerstreut waren, richtete der byzantinische Stadtkommandant im frühen Mittelalter in den festen Gewölben unter den Ruinen ein Gefängnis ein. Die Erinnerung daran mag im 12. Jahrhundert der Grund gewesen sein, die dort entstehende Kirche dem hl. Nikolaus zu weihen, der unter anderem als Patron und Befreier von Gefangenen verehrt wurde. Die damals bereits vorgegebene Liturgie des Tages enthält neben dem Bezug des Wassers im Introitus auf den nahegelegenen Brunnen weitere Anschlusstellen zum Ort: Die Lesung aus dem Propheten Jesaias wendet sich an die Juden im Exil und die Katechumenen vor der Taufe:

Ich rette Dich ... damit Du den Gefangenen verkündest, 'kommet heraus', und denen, die in Finsternis schmachten, 'kommet ans Licht'. Sie werden weiden an den Wegen, auf allen Ebenen werden ihre Triften sein.“

Das Evangelium nach Johannes greift dann den Aufruf zum Licht auf:

Ich bin das Licht der Welt: Wer mir nachfolgt, wandelt nicht in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“

Und es enthält auch einen Anklang an das Thema von Gefängnis und Gefangenschaft, wenn es mit den Worten schließt:

Niemand ergriff Ihn, denn Seine Stunde war noch nicht gekommen.“

Das aufgeklärte späte 19. Jahrhundert konnte über diese Art der Herstellung von Zusammenhängen nur den Kopf schütteln. Das späte zwanzigste Jahrhundert hat sie dann unter Markenzeichen wie „Postmoderne“ und „laterales Denken“ unvermutet wieder zu Ehren gebracht.