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Der „Jahreskreis“

Die Rede vom „Jahreskreis“, die vielerorts den Begriff des „Kirchenjahres“ abgelöst hat, kann neben verschiedenen Nachteilen doch zumindest einen Vorzug geltend machen: Sie läßt an den zyklischen Charakter der Abfolge der Jahre denken, der weniger von den Kategorien des Anfangs und des Endes bestimmt ist, sondern von der Einsicht in die stete Wiederkehr aller zeitlichen Abläufe – bis der Herr der Zeit wiederkommt, ihr das wirkliche Ende zu setzen.

Die überlieferte Liturgie hat diesen Gedanken der Kontinuität über das Ende des einen und den Anfang des anderen Jahres hinaus unter anderen durch die Wahl der Evangelien zum letzten und zum ersten Sonntag des Kirchenjahres zum Ausdruck gebracht. Der vierundzwanzigste Sonntag nach Pfingsten, der nach traditioneller Zählweise immer der letzte des Kirchenjahres ist, auch wenn zuvor nach dem 23. Sonntag die im Frühjahr ausgefallenen Sonntage nach Erscheinung nachgeholt werden, bringt als Evangelium den Bericht des. hl. Matthäus von Jesu Prophezeiung vom Ende der Welt und den vorausgehenden Wirrungen und Katastrophen. Der 1. Advent – fern jeder vorweihnachtlichen Rührseligkeit – wiederholt exakt dieses Thema in den Worten des Evangeliums nach Lukas und setzt so das Ende des einen „Jahres des Herrn“ in eins mit dem Anfang des nächsten: Die Einteilung der Zeit nach dem Lauf der Gestirne mag den Menschen unentbehrlich sein, um ihr Leben zu gestalten. Für den Herrn der Zeit, der Menschen und Gestirne erschaffen hat, ist sie ohne Bedeutung.

Ob die seit den 60er Jahren zunehmende Verwendung des Begriffs „Jahreskreis“ tatsächlich vor diesem Hintergrund zu sehen ist, kann bezweifelt werden. Die Verlegung des Festes von Christus dem König auf den letzten Sonntag des Kirchenjahres verstärkt zwar einerseits noch den teleologischen Charakter dieses Sonntags. Andererseits verbindet die neue Liturgie durch die Auswahl der Lesungstexte das Königtum Christi so stark mit dem Ende der Zeiten, daß dieses Königtum und das Reich Christi in der zyklischen Abfolge der Jahre in der Menschenwelt leicht aus dem Blick geraten kann: Darüber müssen wir uns heute und in den absehbaren Jahren nicht besorgen. So wird der im Wortgebrauch behauptete zyklische Zusammenhang aufgebrochen; die letzten Dinge, die doch für jeden von uns in jedem Jahr tatsächlich werden können, entschwinden irgendwo im Nebel am Ende der Zeit.

Die Bevorzugung der Bezeichnung „Jahreskreis“ hat jedoch vermutlich keine tiefergehenden theologischen Motive, sondern ist ein Ausdruck der Tendenz der Nachkonzilsjahre, sich in möglichst allem von früheren Bräuchen und Gewohnheiten abzusetzen und der Welt angenehm zu machen. Der Ausdruck „Kirchenjahr" kann schließlich so verstanden werden und wurde auch vielfach so verstanden, daß es zwei verschiedene Weisen der Jahreseinteilung gebe, eine weltliche mit dem Jahresanfang am 1. Januar, und eine kirchliche mit dem 1. Adventssonntag. Eine Gegenüberstellung von kirchlicher und weltlicher Macht klingt hier an, finsteres Mittelalter also, und nichts, was den Propagandisten einer „Kirche in der Welt von heute“ sysmpathisch sein könnte. „Jahreskreis“ hingegen ist angenehm neutral, auch Montessori-Kindergärten, Rohkost-Freunde und Neo-Kelten haben einen, da ist man in netter Gesellschaft.

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