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Die Kardinalprotestanten

Bild: Sail over/Wikimedia, CC BY-SA 3.0Über den Nationalkatholizismus 10 Jahre nach „Summorum pontificum" und ein undeutsches Requiem in Speyer

Kommentar von F.N. Otterbeck

Am 7. Juli 2017 habe auch ich Abschied genommen von Kardinal Meisner, aufgebahrt in St. Gereon. In die Kondolenzliste trug ich ein: 'Consolatrix afflictorum o.p.n.' Denn es war in Kevelaer, im September 1987, als der damalige Kardinal von Berlin erfuhr, dass der Papst ihn nach Köln senden wolle. Trösterin der Betrübten, bitte für uns!

Fast alle römischen Katholiken in Deutschland sind derzeit mehr oder weniger betrübt, auch solche, die der Liturgiereform nachkonziliar zustimmten, mehr oder weniger begeistert. Eine derart weiter fortschreitende Selbstzerstörung der „Gemeindemesse“ hätte man sich vor zehn Jahren in Köln noch nicht vorstellen können. Die Pfarrmessen in Deutz, Kalk oder Mülheim könnten allesamt ins Seniorenheim verlegt werden. Einzelgänger aus den mittleren Jahrgängen suchen Asyl in der Stadtjugendmesse, weil dort (!) liturgisch noch nicht alles zur Disposition steht.

Die Selbstdemontage von Gebet und Arbeit der deutschen Kirche setzte nicht erst 2009 ein, als die Politik uns zwang, uns vom „deutschen Papst“ abzugrenzen. Aber sie hat seit 2013 rasant an Tempo gewonnen, als die Exzellenz Zollitsch „vollen Gleichklang“ des Nationalkatholizismus mit Papst Bergoglio verkündete. Den interessiert aber anscheinend gar nicht, was hier los ist. Jedenfalls steht kein Papstbesuch an. Stell' Dir vor es ist Papstbesuch und keiner geht hin? Der bereits rücktrittsgeneigte knapp 81-jährige wird noch nicht zurücktreten, weil er noch nach Mitteln und Wegen sucht, seine insgesamt unfruchtbar gebliebenen „Parolen“, untergegangen in einem römischen Chaoskarussell, noch irgendwie „unumkehrbar“ zu machen. Auch „Papst Scola“ in Milano wurde inzwischen zurückgetreten. Das Politbüro von Santa Marta wird Pope Francis permanent empfehlen, jetzt endlich auch „Summorum pontificum“ anzutasten, den „Eiterherd“ auszubrennen. Aber anscheinend überzeugte den Nachfolger die Vernunft des Vorgängers: Die Kirche ist nicht berechtigt, die „alte Messe“ zu verbieten oder auch nur faktisch zu unterdrücken.

Der Verfasser hatte dies 2007 noch nicht verstanden. Damals war ich noch Optimist in der neuen Liturgie, an Paul VI. „geschult". Aber der offene Übergang von schwacher Liturgie zu gefeierter Nichtliturgie, auch in Köln, auch in Kevelaer, belehrt uns einstige Konzilsoptimisten dringend und drängend. Die Substanz katholischer Religion in Deutschland ist so sehr angegriffen, bei unter 60-jährigen nahezu vernichtet, dass ein Luther heute sich am Ziele wähnte, müsste er nicht gleichzeitig feststellen, dass in „seiner Kirche“ der Bauernkrieg herrscht, nicht aber das Evangelium, speziell im Lutherjahr.

Felix Neumann schrieb auf ring-eifel.de am 4. Juli (katholisch kann man das nicht nennen): „Franziskus mag die Glaubenskongregation nicht ekklesiologisch überhöhen, er erkennt und nutzt sie aber als zentrale, wohl wichtigste Behörde seiner Kurie. Dort braucht er einen Mann an der Spitze, der seinen Reformkurs und seine Vision der Kirche mitträgt: Feldlazarett statt societas perfecta.“ Feldlazarett? Das ist Kriegssprache. Also auch Krieg in unserer Kirche? Die schäbige Entlassung von Kardinal Müller kam im Stil einer Degradierung gleich, ganz so wie sie in südamerikanischen Militärdikataturen an der Tagesordnung waren und wohl heute noch in Bolivien, Venezuela oder auf Kuba üblich sind. Der Heilige Stuhl hatte einst Größe auch in der Demütigung. Vorbei. Der soeben zitierte Journalist hat für seine Häme sicherlich zuvor „grünes Licht“ von höherer Stelle bekommen. Denn die episkopalen Mediendirektoren kontrollieren die Außendarstellung der Provinzialregierung namens DBK minutiös; und trotzdem erfolglos. So erfolglos wie fast alles, was deutsche Bischöfe „anpacken“, Stichwort: Gemeindemesse. Ohne Gemeinde. Ohne Messe. Neumann kannte den Nachfolger von Müller vermutlich noch nicht. P. Ladaria Ferrer SJ ist Jesuit alter Schule, also möglicherweise ein konservativer Hardliner, was G.L. Müller nie war. Übrigens kann die Kirche in der Welt draußen nur dann irgendwie auch sozial „Feldlazarett“ sein, wenn sie nach innen „societas perfecta“ ist; oder sich dem Ideal zumindest immer mehr annähert. Ohne diese Voraussetzung war der „Montinianismo“ des Konzils nie konzipiert; und ohne diese konnte er auch nicht funktionieren, siehe: 'Synode von Würzburg' a.a.O. (dbk.de).

Nachdem die deutschen Kardinäle mehrheitlich den hohen Fall ihres Mitbruders genießen werden, müssen sie sich dennoch wieder ihrem eigenen, sie täglich demütigenden Wirkungskreis zuwenden. Die Arbeit der deutsch-nachkonziliaren Kirche krankt an ihrem Gebet, nebst sämtlicher damit verbundener Unterlassungssünden: kein Brevier mehr, keine Bittprozessionen, keine Versehgänge, auch keine Mai-Andachten. „Alle Macht den Räten“ hat die deutschen Bischöfe seit etwa 1975 stets in die Irre geführt. Jetzt überwuchert ein Personal- und Vermögensbestand die deutschen Diözesen, sodass Umkehr gar nicht mehr durchführbar zu sein scheint. Das kleine Herz des kranken Patienten würde solche Operationen nur noch durch ein Wunder überleben. Consolatrix afflictorum, ora pro nobis! Die „heiligen drei Könige“, Kasper, 'Murxior' und Woelki-Zar, tun aus ihrer Sicht sicher viel Gutes, um den nationalen Katholizismus in Deutschland hoffähig zu halten, regierungsnah, vielleicht sogar wieder salonfähig zu machen, „mitten in der Welt“, quasi als eine postmoderne Spielart des 'deutschen Idealismus' im weitesten Sinn. Daran sollte ja die kranke Welt genesen.

Wir erlebten allerdings die Gesetzgebung vom 30. Juni 2017. Das Wort „Ehe für alle“ geht mir nicht über die Lippen. Das Gesetz passierte jetztden Bundesrat und wird in Kürze von Reichsnotar Steinmeier ausgefertigt werden. Dann tritt es in Kraft. Nach allen Gesetzen der Logik, der Weisheit und der Verfassung müsste „Karlsruhe“ es kippen, das Verfassungsgericht. Man wird aber sehen, inwieweit der Wahn schon Norm geworden ist, in diesem unserem Lande; ohne Gott. Es war eine Art „Reichstagsbrand“, was sich am 30. Juni zutrug. Diesmal brannte nicht der Bau, diesmal verbrannten die Seelen. Zwar keine drei Viertel, nicht einmal zwei Drittel stimmten für das „Projekt“, für eine lupenrein weltanschauliche Gesetzgebung, eine Predigt „an alle. Die Rechtsfolgen für die Zielgruppe sind gering, da ihnen ja schon „Verpartnerung“ offenstand (und wenig genutzt wurde). Man kann sich auch kaum darüber aufregen, dass der Kreis derer, die per Jawort eine Scheinehe eingehen, im Blick auf die Rechtsfolgen, jetzt brachial multisexuell erweitert wurde.

Aber es bleibt dabei: Die neue Lehre ist falsch. Wenn zwei (oder mehr?) homosexuelle Männer, das sind per definitionem solche, die eheunfähig sind, eine Ehe eingehen wollen, so wird ihnen trotz aller Ausschweifungen nicht ein einziger ehelicher Akt miteinander jemals gelingen. Übrigens hat die einst fürstliche Gesetzgebung die Intimität mehr oder weniger lesbischer Frauen nie kriminalisiert, weil diese grundsätzlich ehefähig bleiben, was heute auch niemanden mehr interessiert. Ein Parlament, das eine Gesetzgebung durchpeitscht, die verfassungswidrig, unvernünftig und tendenziell totalitär ist, steht in Flammen; auch wenn der spontane Triumphalismus der Regenbogenbanner, der sich im „Augenblick des Sieges“ ergoß, in Berlin, Köln, München und anderswo, davon noch erfolgreich ablenkt.

Schlaue Journalisten konstatieren, die Bundeskanzlerin habe sich einmal mehr erzpragmatisch von einer Bürde befreit. Kann sein. Denn alle anderen Parteien, man könnte mit F.A. Hayek auch sagen: die 'Sozialisten in allen Parteien', hatten für zukünftige Koalitionen das Unding zur Bedingung gemacht. Wie gesagt: Ich gönne meinen schwulen Nachbarn die staatlich approbierte Scheinehe, aber ich lasse mich nicht dazu zwingen, der Zivilehe neuen Typs (Verantwortung füreinander) zu huldigen. Non possumus. Insofern hat die Kanzlerin einmal mehr Kernkreise ihrer früheren Unterstützer brüskiert, wie mehrfach seit 2009 (Papstohrfeige“ vom 3. Februar). Aber was soll's: „Die“ (wir?) finden ja sowieso nirgendwo anders Asyl. Kann sein. Der Protestantismus sündigt seit jeher voller Kalkül drauflos, im Zwielicht zwischen Wollust und Schuldbekenntnis. Aber: Weiter so!

Dieses Motto haben sich unsere Kardinalprotestanten längst zu eigen gemacht. Das grandiose Wohlwollen, das ein mehr oder weniger ertappter Schwätzer beim derzeitig herrschenden - aber irgendwie: nicht regierenden - Papst genießt, hat den aktuellen Pontifikat schon lädiert, fast 'ad absurdum' geführt. Denn das Amt setzt Amtsausübung voraus, nicht etwa Amtsnegation. Das war sogar schon in der Nota praevia explicativa zu 'Lumen gentium' von 1964 enthalten, mittels derer Paul VI. den Konzilsvätern nochmals eigens den Primat des Papstes erläutern ließ. Der junge Joseph Ratzinger hat damals eindringlich auf die inneren, sittlichen Schranken der päpstlichen Autorität hingewiesen. Wir erleben dies gerade jetzt: Die Überspannung päpstlicher Amtshektik, vielleicht doch nach Maß und Vorbild eines argentinischen Caudillo, macht den Träger des höchsten und schwierigsten Amts auf Erden alsbald zu einem Kasperl in Weiß, dessen Interviews auf Rückflugen, nach vier oder fünf „Brüllern“, dann niemand mehr zuhören wird. Schon zu Pfingsten 2016 notierte ich in Rom: Es liege ein Hauch theologischer Sedisvakanz über der heiligen Stadt. Die vermochte auch der überaus moderne Dogmatiker Müller nicht zu füllen.

Weiter so! Wo auch immer noch erhabene Journalisten den Bonsai-Kardinälen zuhören: Die Ranschmeiße an 'Das Heute', an das regierende Etwas, hat die Herren in Rot, ob feist oder schmal, längst um jedes Format gebracht. Wenn mein Nachbar zu mir sagt: „Schönes Wetter heute!“ Dann ist das eine Friedenspfeife. Man sagt sich, dass man einander grün ist, auch ohne viele Worte. Wenn der Vorsitzende einer Bischofskonferenz sagt: „Schönes Wetter heute!“ Dann mag er das über 69 Seiten auswalzen, er sagt: nichts. Siehe wiederum: dbk.de oder unkatholisch.de

Bischof Wiesemann, mir noch aus Brilon bekannt, wo ich Verwandte hatte, predigte beim Requiem für Kanzler Kohl am 1. Juli immerhin Einiges von Wert. „Er wird seinen gerechten Richter finden.“ Er sagte aber nicht: 'Die Gesetzgebung von gestern hätte Kohl zu verhindern gewusst.' Die Kanzlerin ließ gleichsam die Bekennerflagge, diemit dem Regenbogen, über dem Grab des Kanzlers der Einheit hissen. Der 30. Juni ist Festtag der ersten römischen Märtyrer im römischen Kalender. Der 1. Juli wurde in diesem Jahr zu einem Tag des Glaubenszeugnisses, wenngleich dem verstorbenen Staatsmann in seinem Privatleben fast jeder heroische Tugendgrad fehlen mochte. Mag auch Sohn Walter Kohl noch so sauer sein: Es war sinnvoll, dass der große Europäer sich nicht im heidnischen Berlin ehren und bestatten ließ. Denn was hat uns Europäern das alte Berlin mit seinem seelisch verbrannten „Reichstag“ noch zu sagen? „Wir Römer“ sind draußen, exkommuniziert aus dieser neudeutsch-neuheidnischen „Kultur“, die ihre Diversität alljährlich wieder aucham Rhein grotesk zur Schau stellt.

Ich richte mich derzeit schon darauf ein, dass mich dieser Staat noch wegen Volksverhetzung anklagen wird, weil ich Ehe ud Familie so verstehe wie es die Verfassungsväter 1949 taten (ja, auch die vier„Mütter“ im parlamentarischen Rat waren Verfassungsväter). Es gibt nämlich kein Matrimonium ohne Erwartung von Mutterschaft. Da die Wertentscheidungen des Grundgesetzes auch einen Schutz für Minderheiten enthalten, die der Dikatur der Mehrheit ansonsten hilflos ausgesetzt würden, beansprucht die Minderheit von vielleicht 15% der Bevölkerung, die Ehe noch so versteht wie 1949 alle, mit Recht den Schutz der Verfassung vor der neuen Mehrheit, die anscheinendim Begriffe ist, eine Art von 'Rassismus sui generis' zu etablieren. „Deutsche, kauft nicht bei Familien?“ Der jüdisch-christliche 'Familismus' ist aber immer noch kein Faschismus, sondern im Gegenteil: eine Brandmauer gegen kulturelle Brandstifter aller Art, aus Ost und West, Nord und Süd.

Mitten in diesem Szenario feiert leise 'Summorum Pontificum' sein zehnjähriges Bestehen. Die zivilisatorische Bedeutung der Rettungsaktion für die „alte Messe“ tritt erst allmählich vor unser inneres Auge. Tatsächlich. Benedikt XVI. hat richtig gesehen. Das Bekenntnis zur liturgischen Tradition bewährt sich als eine Brandmauer anderer Art gegen jede Kulturrevolution. Denn in den römischen Rubriken ist kein Platz für Sentenzen aus der Mao-Bibel, auch nicht in stark verdünnter Dosis. Unter den „Worten des Vorsitzenden“ liest man beispielsweise sowas: „Wir müssen unseren Kampfstil voll entfalten, d.h. mutig kämpfen, keine Opfer scheuen, keine Erschöpfung fürchten und unablässig Kämpfe führen ... Tausende und Abertausende von Helden sind uns vorausgegangen und haben mutig ihr Leben für die Interessen des Volkes hingegeben ...“ (XIX. Revolutionärer Heroismus). Stark verdünnt ist diese Mentalität durchaus in die „Fürbittbücher“ der Gemeindemessen gelangt. Eine Jugendmesse vor „Nightfever“ (einer Anbetungsliturgie neuer Form) scheut derartig prätentiöse Platitüden jedoch mit besonnener Konsequenz. Non nobis, Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam! So beteten echte Kreuzfahrer.

Benedikt XVI. hat seinem geliebten Europa, damit über alle Beschränkungen des deutschen Idealismus hinausweisend, kleine Oasen liturgischer Beseelung hinterlassen. Die Gemeinden, die sich dort versammeln, überzeugen noch nicht allgemein, dass sie „Avantgarde“ des Neuen Alten Europa sein werden, das ja auch Papst Franziskus empfiehlt, wenngleich als Karlspreisträger nur wieder zweideutig und nicht-engagiert. Aber ohne glatten Bruch mit Kant + Co., Hegel und Marx kriegen wir das nicht mehr hin, ein Europa als Stadt auf dem Berge, als Licht in der Finsternis. Das Zeitfenster schließt sich. Es fehlt heute bereits ein zweiter Kanzler Kohl oder dritter Adenauer, der die Zeichen der Zeit erkennt.

Der Kaiserdom zu Speyer, geistliche Heimat für Helmut Kohl, verweist zurück in das alte, römische Deutschland. Die Salierkaiser halfen dem Papsttum und unterlagen ihm dann. Das Mittelalter war eine Zeit der Sündenfurcht, aber auch der Heilshoffnung. Kaiser und Papst, wenn auch im Streit um den Vorrang, waren beide in ihren Ämtern je Hoffnungszeichen für das größere „Design“, das von oben kommt und auf ewig bleibt. Erst in der Neuzeit brach der Hexenwahn aus. Er war modern, so wie heute die Neue Gesetzgebung. Es mag hundert Jahre und mehr dauern, bis der Wahn sich legt. Aber es wird dann ein Friedrich Spee kommen und aufklären: Eine Frau ist eine Frau, ein Mann ist ein Mann. „Wir tanzen Tango."

Wahrscheinlich wurde letztmalig einem deutschen Kanzler ein undeutsches Requiem gesungen, ja, partiell auf Latein. Schröder bekommt dereinst in Hannover einen weinerlichen Nachruf von Theologin Käßmann (geb. Margot Schulze) serviert, ohne Messwein. Die erste Kanzlerin erhält dereinst einen Staatsakt in Berlin, bei dem dann ihr Nachfolger Schulz erz-warme Worte verbreiten darf, ohne Segen, aber mit multikolorierten Bekennerflaggen überall. Das wird noch hübscher aussehen als die Beflaggung, die damals der Führer dem letzten preußischen Kaiser aufzog. Dann aber doch lieber: Kaiserdom anstatt Reichstag! Und unserem geliebten Papst Benedikt würde ein Ehrengrab in Regensburg mehr zustehen als eins im heidnischen Rom. Das Requiem dort würde, im traditionellen Ritus, zugleich unsere europäische Heimat feiern, mitten im Abendland. Aber er wird wohl im Kloster „Mater Ecclesiae“ noch eine Weile still über seine revolutionäre Gesetzgebung von 2007 wachen wollen.

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