Liturgiereform - Ziele und Resultate
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- 31. Januar 2019
Angesichts der faulen Früchte von 50 Jahre Liturgiereform stellt sich heute unabweisbar die Frage: War denn überhaupt eine Reform des öffentlichen Kultus der Kirche notwendig? Und wenn ja, welche? Die Schriften der Liturgischen Bewegung bis in die 50er Jahre artikulieren auf vielfache Weise ein Ungenügen an der liturgischen Praxis in den Gemeinden – ein einheitliches Reformkonzept enthalten sie noch nicht einmal in Ansätzen. Wenn es überhaupt etwas gibt, in dem sie weitgehend übereinstimmen, dann ist das die Absicht, den Kenntnisstand der Gläubigen zu Inhalt und Bedeutung der hl. Messe zu verbessern, um ihnen der Zugang zu den dort gebotenen Reichtümern zu erleichtern. Das aber war bei weitem keine Erfindung der liturgischen Bewegung, sondern spätestens seit Martin von Cochems um 1695 verfasster „Meßerklärung“ die Grundlage aller katechetischen Bemühungen. Stets ging es darum, die Menschen, ihr Wissen, ihre Haltung, ihre Frömmigkeit, zu verändern und näher an die Liturgie heranzubringen – die Liturgie selbst wurde im wesentlichen als vorgegeben und nur in großen historischen Zusammenhängen wandelbar wahrgenommen.
Genau hier bahnte sich schon vor dem zweiten Weltkrieg ein entscheidender Wechsel der Perspektive an, der dann nach dem Krieg 1956 durch den „Ersten Internationalen Pastoralliturgischen Kongress“ von Assisi auf eine griffige Formel gebracht wurde: „Erneuerung der Liturgie aus dem Geiste der Seelsorge“. Als das Vorgegebene, zumindest jedoch als Ausgangspunkt, erschien nun – auch wenn das damals noch nicht so formuliert wurde – die „Lebenswelt“ und das daraus abgeleitete Bewußtsein des Menschen der Gegenwart. Das zu Verändernde war nun die Liturgie – und damit war, hatte man erst einmal ein Auseinanderfallen von Bewußtsseinslage der Gläubigen und den Vollzügen des Gottesdienstes festgestellt, eine Liturgiereform unumgänglich.
Es wäre sicher eine interessante Aufgabe, diesen Perspektivwechsel im einzelnen nachzuzeichnen – das wäre Aufgabe einer um die Klärung ihrer eigenen Voraussetzungen bemühten Liturgiewissenschaft und kann hier in gar keiner Weise angegangen werden. Aber wir können uns einzelne Beispiel herausgreifen – etwa anhand von Hinweisen prominenter und wirkunmächtiger Vertreter der „Liturgischen Bewegung“ Also etwa bei Pius Parsch in seiner 1931 unter dem Titel „Liturgische Erneuerung“ herausgegebene Sammlung eigener Aufsätze zum Thema.
Grundsätzlich sieht sich Parsch noch in der traditionellen Form „liturgischer Unterweisung“ verankert, wenn er schreibt: „Geist und Leben der Liturgie müssen erfaßt und erarbeitet werden; das ist die liturgische Erneuerung“. Aber in dem „erneuern“ klingt schon ein Vorbehalt an: Maßstab ist weniger die Liturgie, wie sie sich durch zwei Jahrtausende entwickelt hat und gegenwärtig besteht, sondern eine „altchristliche objektive Seelenhaltung“. Dabei bleibt freilich offen, inwieweit dahinter eine Rekonstruktion des liturgischen Denkens der Väter steht, oder nur eine Projektion zeitgeistiger Befindlichkeiten in ein vermeintlich „goldenes Zeitalter“ der Vergangenheit. Neben dieser Rückwendung mißt Parsch dabei dem „objektiv“ ganz besondere Bedeutung zu. Er verlangt eine „neue Frömmigkeitskultur“, die „im Gegensatz zu dem früheren Subjektivismus auf die Liturgie baut“ und faßt dazu „eine (teilweise) Umwertung religiöser Mittel und Übungen“ ins Auge.
Daran ist zweierlei festhaltenswert: Die Erneuerung soll sich jedenfalls nicht nur auf verbesserte Unterweisung und Katechese beschränken, sondern auch die zunächst unpräzise angesprochenen „religiösen Mittel und Übungen“ erfassen. Und diese „religiösen Mittel und Übungen“ sollen sich vom früheren Subjektivismus abwenden und liturgisch verobjektivieren. Das kann man zunächst so verstehen, und dieser Gedanke klingt bei Parsch zweifellos auch mit an, daß die Liturgie selbst wieder als eine Art objektiver Maßstab für das gottesdienstliche Geschehen ins Recht gesetzt werden soll. Dahinter steht die einerseits die Vermutung, die aktuelle praktizierte Liturgie habe diese Art von Objektivität verloren und andererseits eine durchaus zeittypische Tendenz zur Herabstufung des „Subjektivem“ gegenüber einer übergeordneten „Objektivität“. Aus heutiger Sicht kann man darin durchaus zu Recht auch Anklänge an einen stark vom Kollektivismus beeinflussten Zeitgeist erkennen: Massen, die sich „wie ein Mann“ bewegen, Lieder, die „aus tausend Kehlen wie aus einer“ erklingen, hatten in den 20er und 30er Jahren für viele etwas höchst Faszinierendes.
Tatsächlich konstatiert Parsch in einem seiner Referate einen Gegensatz zwischen einer aktuell herrschenden „subjektiven, individualistischen Frömmigkeit“ und einer erstrebenswerten „objektiven Gemeinschaftsfrömmigkeit“. Allerdings verbindet er diesen Befund ausdrücklich mit einer Warnung, es in diesem Zusammenhang zu einer Lagerbildung in den Gemeinden kommen zu lassen.
Wir müssen mit der Tatsache rechnen, daß gewisse Menschen die liturgische Frömmigkeit überhaupt nicht erfassen werden. Verlangen wir daher nicht zuviel und schaffen wir Übergänge. Unzeitiges Überspannen hat schon viel verdorben. Besonders seien wir auch demütig, setzen wir uns ja nicht auf das hohe Roß und schauen wir nicht stolz auf die Gläubigen herab, die von Liturgie nicht viel verstehen.
Etwas mehr von diesem Bewußtsein hätte den späteren Reformern der 50er und 60er Jahre nicht geschadet.
Man wird Parsch zugestehen müssen, daß er mit der Gegenüberstellung subjektiv-objektiv in der Liturgie ein reales Problem angesprochen hat: Die sehr stark das subjektive und das innerliche betonende (Volks-)Frömmigkeit des 19. Jahrhunderts war der Ausbildung eines liturgischen Bewußtseins nicht gerade förderlich. Die seither betriebene Umorientierung zur „Gemeinschaftlichkeit“ hat allerdings nicht nur in vielen Gemeinden die bis heute andauernde Lagerbildung, vor der Parsch warnte, befördert. Sie hat auch vielerorts zu einem Verständnis und vor allem zu einer Praxis von Liturgie geführt, die den Gottesdienst zumindest tendentiell aus seinen transzendentalen Bezügen lösen und auf eine gemeinschaftiche Aktivität reduzieren. In der Folge wird sein eigentliches Wesen unkenntlich gemacht und schließlich sogar die Glaubenssubstanz selbst bedroht.
Zwei Beispiele aus heutiger Sich können das erläutern.
Der Gang zur Kommunion wurde von den Reformern ausdrücklich als „Prozession“ konzipiert. Das führte in der Prfaxis vielfach dazu, daß die Gläubigen bankweise nach vorne gingen und sich ein beträchtlicher sozialer Druck entwickelte, bei dieser Prozession mitzugehen. Zusammen mit anderen Veränderungen entwickelte sich daraus einer Verabsolutierung der Kommunion als „Gemeinschaftsmahl“. Im Ergebnis betrachten es viele in der Messe anwesende Personen – auch Nicht-Katholiken – als „diskriminierend“, aufgrund fehlender Teilnahmevoraussetzungen von dieser Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein. Und die Hierarchie antwortet darauf nicht etwa mit einer unmißverständlichen Einschärfung dieser Voraussetzungen, sondern mit deren Relativierung. Mysterium und Erhabenheit der Eucharistie verschwinden aus dem Bewußtsein und werden durch ein unbestimmtes Gemeinschaftserlebnis ersetzt.
Der Drang, die mitfeiernden Gläubigen als Gemeinschaft mitwirken zu lassen, hat vielfach dazu geführt, zahlreiche liturgische Aufgaben an Vertreter der Gemeinde zu delegieren. Und so ist es keine Seltenheit, daß das Erscheinungsbild einer Meßfeier von ganzen Scharen von „Laiendiensten“ geprägt wird, die als Dekorationsministranten, Vorleser, Fürbittenverkünder, Kantoren, Kelchträger, Präfationsassistenten, Kommunionhelfer (alle natürlich mitGendersternchen zu lesen) usw. den Priester in den Hintergrund drängen und den Opfercharakter der Messe verdunkeln. Das Kollektiv triumphiert. Die in so vielen Mitgliedern wie irgend möglich vereint agierende Gemeinde drängt Christus, der doch in der Person des Priesters der wahrhaft Handelnde ist, in den Hintergrund. Und eine für das Transzendente erblindete Theologie verklärt diese Selbstfeier der Gemeinde zur wahren Erfüllung des Auftrags „Tuet dies, sooft ihr es tut, zu meinem Gedächtnis“.