Mit Feuer und Flamme für die Tradition?
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- 19. März 2022
Im südindischen Bundesstaat Kerala, wo mit der Syrisch-Malabarischen Kirche die größte und älteste christliche Minderheit des Subkontinents zuhause ist, ist es wegen einer Liturgiereform zu tumultarischen Protesten gekommen. Als makabrer Höhepunkt wurden sogar in Talar gekleidete Strohpuppen mit den Photo-Gesichtern der Kardinäle Leonardi Sandri und George Alencherry verbrannt. Ein Pressesprecher der in Einheit mit Rom stehenden Kirche äußerte sichauf höchste empört, sprach von einer „offenen Herausforderung von Kirche und Papst“ und kündigte „Maßnahmen gemäß den Bestimmungen des Kirchenrechtes“ gegen die Aufrührer an. Worum geht es?
Die Syro-Malabarische Kirche verfügt über eine sehr eigentümliche und vermutlich bis ins 7. Jahrhundert zurückreichende Liturgie, deren Hauptkennzeichen darin besteht, daß ihr Hochgebet, die Qurbana nach Addai und Mari, die Wandlungsworte in keiner der im Evangelium überlieferten Formen enthält, sondern in einer uns eher umständlich anmutenden Weise umschreibt oder besser noch umkreist. Diese Tatsache galt lange als Hindernis für die Anerkennung der Syro-Malabaren bzw. deren zur Union mit Rom bereiten Teile, die darin begründeten Auseinandersetzungen fanden erst unter dem Pontifikat von Johannes Paul II. einen Abschluß, als dessen Experten – darunter auch Joseph Ratzinger – die Gültigkeit der Qurbana bestätigten.
Damit war der Konfliktstoff in der indischen Kirche, die ihren Ursprung bis auf die freilich sagenhafte Indienmission des hl. Thomas zurückführt, jedoch nicht ausgeräumt. Die Liturgie hatte im Lauf der Jahrhunderte zahlreiche Lokalformen entwickelt und unterlag in der Zeit der portugiesischen bzw. englischen Kolonialherrschaft einem starken Romanisierungsdruck: Je „fortschrittlicher“ ein lokaler Klerus sich fühlte und, wie wir hinzufügen dürfen, je stärker er mit politischen Interessen der Kolonialherrschaft verbunden war, desto größer war die Bereitwilligkeit, eigene Traditionen abzustoßen und westliche Formen, zu übernehmen. Diese Konflikte verschärften sich noch nach der Liturgierefom von 1969, als besonders progressive Kreise die auch in den Ostkirchen völlig ungebräuchliche Zelebrationsrichtung „ad populum“ übernahmen und propagierten.
Schon einige Jahre zuvor war allerdings im Zuge von Entkolonialisierung und Neubewertung nationaler Traditionen eine eher umgekehrte Tendenz stark geworden, die dann Ende der 80er Jahre zur Rückkehr zu (mehr oder weniger glücklich erschlossenen) traditionellen Formen führte. Oder besser gesagt: Hätte führen sollen, denn im multikulturellen Biotop der indischen Gesellschaft war eine zentral angeordnete Vereinheitlichung nicht durchführbar, und es entstand ein liturgischer Flickenteppich, in dem – wie es heißt – keine zwei benachbarten Gemeinden die gleiche Liturgie feierten.
Also fast wie in Mitteleuropa, wo der in seinem Optionen-Unwesen und ungerügter Disziplinlosigkeit zerfasernde Novus Ordo ebenfalls die liturgische Einheit zerstört hat.
Anders als hierzulande, wo das Chaos gerne als Reichtum verklärt wird, wurde diese Uneinheitlichkeit bei den Syromalabaren jedoch eher als Problem empfunden, und die Bischöfe drangen, darin seit dem Beginn des Pontifikates von Franziskus nachdrücklich aus Rom unterstützt, auf Schrite zur Vereinheitlichung. Als erstrangiger Knackpunkt erwies sich dabei – soweit wir das von hier aus sehen können – die Frage der Zelebrationsrichtung. Eine mehr weltkirchlich argumentierende Fraktion wollte „ad populum“ auf jeden Fall beibehalten und allgemeinverbindlich machen – die Gegenfraktion betonte die eigene Tradition und die Gemeinsamkeit mit den anderen östlichen Riten und strebte Vereinheitlichung nach ihrem Modell an.
Der einen Ehrenprimat innerhalb der syro-malabarischen Kirche einnehmende Kardinal-Erzbischof Alencherry von Ernakulam-Angamalay hat nun versucht, diesen Konflikt mit einem salomonischen Sowohl-als-auch zu lösen. Seine nach anscheinend unzureichender Konsultation mit den verschiedenen Grippierungen in einen Erlaß gefasste Lösung sieht vor, daß der Priester sich während der als Wortgottesdienst zu sehenden Teile am Anfang und am Ende der Liturgie zur Gemeinde wendet, während das Hochgebet zum Altar bzw. zum liturgischen Osten hin verrichtet wird. Damit brachte er nun aber Unzufriedene aus beiden Fraktionen gegen sich auf – ob sie gemeinsam antraten, um den Kardinal in effigie den Flammen zu übergeben, ist den Nachrichten nicht zu entnehmen.
Für uns und aus sicherer Entfernung bietet die Entwicklung Anlaß zu einer dreifachen Überlegung:
Sind Formalkompromisse wie „halb ad dominum, halb ad populum“ wirklich geeignet, die doch tiefer reichenden Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen zu überwinden: dem didaktisch-gemeindeorientierten und zur anthropozentrische Denkweise neigenden Verfahren bei „ad populum“ und dem latreutischen, auf das Lob und die Verherrlichung Gottes gerichteten („gebt dem Herrn die Ehre seines Namens“) Verfahren von „ad dominum“?
Ist Vereinheitlichung wirklich ein so hohes Gut, daß sie koste es, was es wolle, durchgesetzt werden muß – auch wenn dabei in der Tradition oder in der besonderen Form einer Spiritualität wurzelnde Unterschiede weggehobelt werden müssen?
Sind die in solchen Unterschieden zum Ausdruck kommenden „Befindlichkeiten“ der Gläubigen Verfügungsmasse von Experten, die ihre allzuoft ja nur vermeintlichen „wissenschaftlichen Erkenntnisse“ über das stellen, was über Jahrzehnte und Jahrhunderte gewachsen ist und den Gläubigen geistige Heimat bietet?
Es liegt uns fern, die Verbrennung von oberhirtlichen Strohpuppen in irgendeiner Weise als Vorbild für Demonstrationen zur Erhaltung liturgischer Traditionen hierzulande zu betrachten oder gar zu empfehlen. Und doch denken wir mit etwas Wehmut an Zeiten, in denen auch in Europa liturgische Neuerungen oder Mißbräuche kleine oder große Volksaufstände auslösten. So im kleinen Maßstab einmal zur Zeit des hl. Papstes Gregor, als dieser es versäumte, einen vom Volk erwarteten Schlußsegen zu spenden – oder im großen, als fast tausend Jahre später gläubige Engländer lieber den Einsatz einer königlichen Streitmacht provozierten, als die Verwendung des jeden Bilderschmuckes entkleideten und herumgedrehten „Luthertisches“ in ihren Kirchen hinzunehmen. Das gläubige – damit ist das wirklich gläubige gemeint – Volk hatte oft ein gutes Gespür, daß Liturgie viel zu wichtig ist, um sie der Beliebigkeit politisierender Oberhirten oder der wissenschaftlich verbrämten Willkür ehrgeiziger Elfenbeinturm-Bewohner zu überlassen.