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Was läuft da bei den Thomas-Christen?

Bild: India TimesSeit Jahren gibt es in der mit Rom verbundenen Syro-Malabarischen Kirche Südindiens heftige Auseinandersetzungen um eine – anscheinend – liturgische Frage. Besonders in der Großstadt Ernakulam hat diese Auseinandersetzung bizarre Formen angenommen: Da werden denn auch schon einmal auf öffentlichen Demonstrationen Bilder und Puppen von Vertretern der Gegenseite auf Scheiterhaufen verbrannt, und bei einem kürzlich stattgefundenen Besuch einer römischen Delegation wurde – von beiden Seiten – mehr oder weniger offen mit der Aufkündigung der Kirchengemeinschaft gedroht.

Nach dem wenigen, was darüber normalerweise im Westen verlautet, geht es vor allem um die Frage der Zelebrationsrichtung. Nach einer jahrhundertelangen Geschichte der „Romanisierung“ des möglicherweise bis auf die Thomaschristen zurückreichenden autochthonen Ritus hatten die Syro-Malabaren nach der Liturgiereform auch die „Wendung zum Volk hin“ mitgemacht. Nun hat allerdings in den letzten Jahrzehnten nach der politischen auch die geistige „Entkolonialisierung“ große Fortschritte gemacht, und in deren Zuge kehrten viele Gemeinden wieder zur ursprünglichen Zelebrationsrichtung „ad orientem“ zurück. In unterschiedlichem Maß scheinen aber auch andere frühere Traditionen wieder belebt worden zu sein – etwa hinsichtlich der liturgischen Sprache und auch der in der Liturgie verwendeten Musik. Auf der anderen Seite ging aber auch die „Modernisierung“ weiter – wie es heißt wurde, von den Texten selbst einmal abgesehen, das Erscheinungsbild der Gottesdienste in den „progressiven Gemeinden“ immer mehr dem einer Messfeier nach dem Novus ordo angeglichen.

Hier geht es weiterNun ist das gesellschaftliche Klima Indiens noch viel stärker als in den wesentlichen Ländern von Stadt-Land-Unterschieden und mentalen Ungleichzeitigkeiten geprägt. In der Stadt feiern die, die das Geld dazu haben, die erfolgreichen Landung des ersten indischen Mond-Explorers mit ausgelassenen Disko-Parties – auf dem Land bricht vielfach immer noch der hauptsächlich muskelkraft-betriebene Verkehr zusammen, wenn eine heilige Kuh sich auf einer zentralen Kreuzung niedergelassen hat.

Daß es angesichts der oben in groben Strichen skizzierten liturgischen Entwicklung auch innerhalb der Kirche zu heftigsten Spannungen kommen mußte, leuchtet unmittelbar ein. Außerdem enthält diese Entwicklung auf beiden Seiten auch problematische Elemente. In den verwestlichten Bezirken der Großstädte lauern die auch hierzulande so wirkmächtigen Versuchungen von Modernismus und Säkularismus. Bei den von einer teilweise aggressiv-feindseligen Hindu-Gesellschaft umgebenen Restaurationisten ländlicher Gegenden besteht angesichts der großen kulturellen Affinität zu dieser Umgebung eher die Gefahr einer synkretistischen Einebnung: Wenn es doch in vielen Hindutempeln auch Jesus-Statuen gibt, könnten wir es doch auch einmal – streng außerliturgisch, versteht sich – mit einer Vishnu-Prozession versuchen. Ursprünglich protestantische Gemeinschaften in Indien bieten hier einiges Anschauungsmaterial.

Rom unter Bergoglio hat in diese schwierige Situation auf wenig glückliche Weise eingegriffen. In den Pontifikaten Johannes Pauls II. und Benedikts hatte Rom sich dem Vernehmen nach weitgehend zurückgehalten und mehr oder weniger erfolgreich darauf beschränkt, die gefährlichsten Fehlentwicklungen auf beiden Seiten zu verhindern. Es gibt Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, daß der Vatikan bereit gewesen wäre, eine Trennung zwischen den Traditionalisten und den Modernisten der Art zu akzeptieren, daß die Traditionalisten weiterhin eine „orientalische Kirche sui juris“ in Gemeinschaft mit Rom gebildet hätten, während die Modernisten – bei Wahrung einer gewissen organisatorischen Eigenständigkeit – liturgisch sich dem Novus-Ordo immer stärker angenähert hätten. Zumindest traditionalistische Teilen der Syro-Malabaren hatten auch immer wieder dahingehende Forderungen angemeldet.

Derartigen Vorstellungen kann das aktuelle Pontifikat offenbar nichts abgewinnen. Es beharrt auf der – anscheinend von beiden Seiten des Konfliktes als Belastung empfundenen – nur noch theoretisch bestehenden Einheit dieser etwa 7 Millionen Mitglieder umfassenden Teilkirche und hat einen „synodalen Prozess“ angeordnet, in dessen Verlauf dann auch – von den vermutlich handverlesenen Delegierten zumindest – ein von Rom vorgegebener Kompromiss angenommen wurde. Einzelheiten dieses Kompromisses, der im vergangenen Herbst als Gesetz in Kraft gesetzt wurde, sind bisher hier nicht bekannt geworden, nur sein Hauptpunkt: Danach sollen die der lateinischen Vormesse ähnelnden Teile der Liturgie in Zukunft „ad populum“ erfolgen, während die Eucharistiefeier im engeren Sinne „ad orientem“ stattfindet. Obligatorisch und ohne Ausnahme. Der jüngste Besuch des päpstlichen Delegaten in Indien galt dem Ziel, die bisher nicht zur Anerkennung dieser Regelung bereiten Kräfte unter Androhung schwerster Konsequenzen zur Annahme zu bewegen.

Das führt zu der wohl nicht nur in den Augen der „modernen Fraktion“ reichlich absurden Situation, daß soweit der Einfluß des Papstes reicht, überall in der Kirche die Zelebration der Eucharistiefeier „ad populum“ mit Nachdruck durchgesetzt wird – während diese Zelebrationsrichtung den dem westlichen Denken zugeneigten Syro-Malabaren untersagt sein soll. Sie sehen sich im Zeichen eines offenbar doch längst inhaltslos gewordenen Kulturverständnisses dazu genötigt, die äußere, formale Einheit mit einer ethnisch verwandten Gruppierung beizubehalten, von der sie sich innerlich und inhaltlich schon längst abgewandt haben – und das, obwohl angesichts der weltkirchlichen Situation – von Rom keinerlei theologischen Gründe dafür angeführt werden können. Politische schon eher – die freilich in liturgischen Fragen kein Gewicht haben sollten. Das moderne Rom hat offenbar längst vergessen, daß gerade in Rom selbst über 1500 Jahre lang in einigen Kirchen – nämlich denen mit einer prominenten Märtyrer-Confessio – die Priester, Bischöfe und Päpste (scheinbar) zum Volk hin zelebrierten, während in den kleineren Kirchen der Nachbarschaft selbstverständlich wie auch sonst überall Priester und Gemeinde gemeinsam in Richtung des wiederkehrenden Christus schauten.

In englischsprachigen Berichten zu diesem Thema wird diese den Syro-Malobarern jetzt vorgeschriebene einheitliche Form als „uniform rite“ bezeichnet – das trifft wohl ganz gut den ideologischen Hintergrund der Veranstaltung: In der Theorie strebt die moderne Liturgie nach globaler Einheitlichkeit, neuerdings allerdings – ebenfalls ideologisch – wieder aufgebrochen durch die Betonung einer „Inkulturation“, von der niemand zu sagen weiß, welche kulturellen Elemente da eigentlich mit welcher Begründung in die Liturgie „inkulturiert“ werden sollen.

Theoretisch strebt die moderne Theologie auch möglichst gleichgerichtetes Verhalten der Gläubigen an: „Wir stehen“, „Wir gehen in Prozession zum Kommunionempfang“ „Wir geben uns ein Zeichen des Friedens“… Praktisch nimmt sie es freilich hin, daß nicht nur wegen der grassierenden Optionitis, sondern auch aus einem fehlgeleiteten Verständnis von gemeindlicher Autonomie in einem Land wie Deutschland keine zwei Sonntagsmessen einander gleichen – und oft genug gravierende Unterschiede bei der Auswahl der Lesungen, der selbstgedichteten Tagesgebete oder sogar bei der Wahl eines (nichtautorisierten) Hochgebets auftreten. Das geht hin bis zu Varianten, die Zweifel an der Gültigkeit des Vorgeführten wecken müssen – etwa wenn LaiInnen den „Einsetzungsbericht“ mitsprechen und dabei Gesten vollführen, die dem geweihten Priester vorbehalten sind.

Warum „Rom“ diese Auflösung des paulinischen Ritus von 1969 in Deutschland kommentarlos hinnimmt und dagegen in Indien mit aller Macht eine – vom üblichen Kirchengebrauch abweichende – Einheitlichkeit durchsetzen will, ist schwer erkennbar. Der jüngste von einem päpstlichen Delegaten so nachdrückliche Aufruf zu Gehorsam und Unterordnung ist jedenfalls nicht befolgt worden.

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Zum historischen Hintergrund: https://www.katholisch.de/artikel/46631-bricht-indiens-kirche-mit-dem-vatikan

Zum jüngsten römischen Disziplinierungsversuch im Juli https://www.pillarcatholic.com/p/are-you-with-the-pope-or-against

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