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Bombenleger bei der Arbeit beobachtet

Michael Davies hat den Begriff der „Liturgischen Zeitbomben“ geprägt – damit meint er bestimmte doppeldeutige oder unklare Formulierungen in der Liturgiekonstitution und anderen Konzilsdokumenten. Diese Formulierungen klingen zunächst harmlos und konnten von den meisten Konzilsvätern, die ja alle ihre Prägung lange vor dem Konzil erhalten hatten, gar nicht anders als im ‚Sinne der Tradition, also in der „Hermeneutik der Kontinuität“ verstanden werden. Gleichzeitig bildeten diese Formulierungen aber auch Scharniere zu Bezugssystemen wie der Nouvelle Theologie und ließen sich aus einer modernistischen Perspektive auf völlig andere Weise deuten und in Dienst nehmen.

Die promovierte Physikerin und ehrenamtlich als Forschungsredakteurin für das Adoremus-Bulletin tätige Autorin Susan J. Benofy hat nun im Zusammenhang mit der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium (SC) einen bisher übersehenen Sachverhalt aufgedeckt, der weiteres Licht auf die Funktionsweise dieser „Zeitbomben“ wirft: Die Fassungen der Konstitution, die den Konzilsvätern während ihrer Beratungen vorgelegt wurden, waren gespickt mit Anmerkungen und Stellenverweisen zu den Enzykliken früherer Päpste, insbesondere aus Mediator Dei von Papst Pius XII. Sie hatten insgesamt einen Umfang von 25 Druckseiten. Sie bildeten einen überaus deutlichen Bezug zum ständigen Lehramt der Kirche und stellten sicher, daß die Aussagen des Textes im Sinne der Tradition verstanden wurden. In der Endfassung, die zur Abstimmung vorgelegt und vom Papst promulgiert wurde, waren diese Verweise sämtlich verschwunden – es blieben nur etwa 40 Anmerkungen übrig, die sich ausnahmslos auf die hl. Schrift (23), Kirchenväter (6), liturgische Bücher (9) und auf die Canones von Trient (4) bezogen.

Susan Benofy zieht daraus folgenden Schluss:

Wie hier gezeigt, arbeiteten die Konzilsväter bei ihren Debatten und während der abschnittsweise erfolgenden Abstimmungen mit einem Text, dessen zahlreiche Verweise auf frühere Dokumente eine klare Kontinuität der Vorgaben von SC zu den liturgischen Reformen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herstellten. Nur (bei der Endabstimmung) am 22. November und (zur Proklamation) am 4. Dezember hatten sie mit einem Text ohne diese Zitate zu tun. (...)

In in den weggelassenen Fußnoten zitierten Passagen zeigen in vielen Fällen, daß wichtige Aspekte der früheren Aussagen bei der viel knapperen Dartstellung in SC weggefallen sind. Das wird besonders deutlich in Kapitel VI über die Kirchenmusik, in dessen zehn Abschnitten insgesamt 23 erläuternde Zitate aus älteren Dokumenten weggelassen worden sind. Diese Passagen betonen mehrfach und begründen ausführlich, daß die Musik in der Kirche sakralen Charakter haben soll. Außerdem wiurden bestimmte ‚Abschnitte früherer Dokumente wiederholt zitiert, woraus man schließen kann, daß diese Gedanken aus früheren Reformabschnitten als besonders wichtig für eine Reform in Kontinuität angesehen wurde – selbst wenn sie im eigentlichen Text der Konstitution nur kurz erwähnt werden.

Leser von SC, die mit den liturgischen Lehren der Päpste aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht vertraut sind und die auch nicht durch die Anmerkungen auf die entsprechenden Erklärungen hingewiesen werden, können SC kaum anders verstehen als ein Dokument, das keinen Bezug zur jüngeren Vergangenheit hat. Sie können daher SC auch gar nicht so wahrnehmen wie die Konzilsväter – nämlich als die Fortführung von Reformen, die Papst Pius X. eingeleitet hatte.“

Susan Benofy zitiert in ihrem Artikel auch die Begründung, die einer der Redakteure der Konstitution, der Dominikaner Pierre Marie Gy, in seiner Autobiographie für das Weglassen der Anmerkungen und Zitate gegeben hat: Es sei darum gegangen, die stilistische Übereinstimmung mit anderen Konzilsdokumenten herzustellen und sich von „theologischen Disputen“ fernzuhalten. Nun waren freilich zum Zeitpunkt der Fertigstellung von SC noch gar keine weiteren Dokumente des 2. Vatikanums erarbeitet.

In seiner Vorstellung der Arbeit von Benofy auf New Liturgical Movement stellt Matthew Hazel überdies fest, daß andere Dokumente dieses Konzils sehr wohl päpstliche Lehrschreiben zitieren. Er benennt als Beispiele Dei Verbum mit Zitaten Leo XIII, Benedikt XV, Pius XI, Pius XII, Gaudium et Spes zitiert Leo XIII, Pius XI, Pius XII, St John XXIII, und Paul VI , Lumen Gentium schließlich Benedikt XIV, Pius IX, Leo XIII, St Pius X, Benedikt XV, Pius XI, Pius XII, und Paul VI.

Der Artikel von Susan Benofy dient im Adoremus-Bulletin quasi als Einleitung zum Abdruck einer Version von SC, die um die seinerzeit von den Redakteuren gestrichenen Anmerkungen und Zitate ergänzt ist. Eine außerordentlich aufschlussreiche Zusammenstellung. Die Redaktion des Magazins hat die aktuelle Ausgabe von Adoremus mit Benofys Artikel im Netz als unkomprimiertes PDF (50 MB) zum Download bereitgestellt. Da diese Datenmenge beim Download Probleme verursachen kann, haben wir uns erlaubt, eine komprimierte Fassung der Datei anzubieten, die bei identischem Inhalt nur 2% des Originalvolumens (890 KB) ausmacht.

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