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Ist der Mensch (noch) liturgiefähig?

Porträt von Carlo Crivelli, 1435 - 1495, Bild: WikimediaIn der seit über 50 Jahren diskutierten Frage, ob denn der Mensch der Gegenwart „noch liturgiefähig“ sei, steckt wohl von Anfang an die Erwartung einer negativen Antwort: Sie soll Freiraum und Freibrief geben, die Liturgie nach modernen Empfinden umzugestalten – und in der Folge den Glauben mit. Dabei ist es müßig, sich zu fragen, was hier Ursache und was Wirkung ist: Der Verlust an Glauben bewirkt die Unfähigkeit zur Liturgie ebenso wie diese den (weiteren) Verlust an Glauben.

Für Thomas von Aquin war das alles noch keine Frage. So, wie er darauf besteht, daß der Mensch aus Leib und Seele als zwei aufeinander zugeordneten Elementen besteht, geht er auch davon aus, daß die übernatürliche Welt sozusagen in die natürliche hineinragt und die Erfahrung der Sinne auch das Erfassen geistiger Gegenstände erleichtert, ja vielleicht sogar direkt bewirkt. In der Summa contra gentiles – jenem zweiten Hauptwerk, das er der Auseinandersetzung mit den Irrlehren des Islam gewidmet hat, schreibt Thomas :

Es ist dem Menschen natürlich, daß er durch das Sinnliche zur Erkenntnis des Geistigen gelange. Ein Zeichen aber besteht dadurch, daß einer durch es zur Erkenntnis von etwas anderem gelange. Weil daher die heiligen Dinge, die durch die Sakramente zeichenhaft bedeutet werden, geistliche und geistige Güter sind, durch die der Mensch geheiligt wird, so folgt, daß die Zeichenhaftigkeit der Sakramente sich erfülle in sinnfälligen Dingen; wie auch in der heiligen Schrift die geistlichen Dinge uns beschrieben werdendurch das Gleichnis sinnfälliger Dinge, und so kommt es, daß zu den Sakramenten sinnfällige Dinge erforderlich sind.“ 

David Berger, der dieses Zitat in seinem Buch Thomas von Aquin und die Liturgie (S. 61 f)anführt, folgert daraus, daß der Mensch nach seiner gottgegebenen Natur ein liturgisches Wesen sei, bzw. daß die Liturgie als sinnhafter Ausdruck der Religion dem Menschen quasi von Natur an mit- und aufgegeben ist. Und er verweist darauf, daß diese Einsicht nicht irgendwann im 13. Jahrhundert in einem entlegenen theologischen Wälzer vergraben worden ist, sondern über Jahrhunderte hinweg das Wissen der Kirche von Art und Auftrag ihres Gottesdienstes geprägt hat. Bis hin zu Papst Pius XII, der ihr in seiner Enzyklika folgendermaßen Ausdruck gegeben hat:

Der gesamte Kult, den die Kirche Gott darbringt, muß äußerlich und innerlich sein. Äußerlich, weil es sodas Wesen des aus Leib und Seele zusammengesetzten Menschen verlanght, dann, weil es von Gott so gefügt ist, daß ‚dieweil wir Gott mit leiblichem Auge erkennen, er in uns die Liebe zum Unsichtbaren entflammt‘, ferner liegt es in unserer Natur, daß alles Seelische sich sinnenhaften Ausdruck gibt.“

Wenn das heute als unverständlich und unzutreffend erscheint und daher von Vielen rundheraus bestritten wird, liegt das daran, daß der Glaube an die „gottgegebene Natur des Menschen“ bis weit in die Kirche hinein geschwunden ist. Und der dementsprechned betriebene Umbau der Liturgie bewirkt – das ist nach den Erfahrungen der letzten 50 Jahre keine These, sondern empirisch evident – ein weiteres Schwinden dieses Glaubens. Ohne dem gerade in der Liturgie und mit ihren Zeichen entgegen zu treten, wie es Kardinal Sarah mit seinem Aufruf zur Zelebration „ad dominum“ mehrfach versucht hat, wird sich dieser Trend nicht umkehren lassen.

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