Änderungen im italienischen Missale
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- 07. Juni 2019
In Italien wird in den nächsten Monaten eine neue Ausgabe des landessprachlichen Meßbuches erscheinen, die zumindest in zwei Punkten bemerkenswerte Änderungen bringt: Im Text des Vaterunser heißt es künftig: „und lasse uns nicht in Versuchung fallen“, und im Gloria tritt nun – wie in der deutschen Version schon seit langem – das „Friede den Menschen seiner Gnade“ an die Stelle des früheren „Friede den Menschen guten Willens“.
Beiden Formulierungen ist gemeinsam, daß sie als problematische oder zumindest sehr weitherzige Interpretation gegenüber der im aktuellen Missale Romanum niedergelegten lateinischen Fassung angesehen werden müssen. Beim Paternoster ist das Lateinische völlig eindeutig: „et ne nos inducas in tentationem“. Das kann nur so übersetzt werden, wie es seit Jahrhunderten übersetzt wurde und von den (freilich nur in manchen Dingen) texttreueren Protestanten auch heute noch gelesen wird, weshalb in Deutschland hier eine Änderung „aus ökumenischen Rücksichten“ nicht auf der Tagesordnung steht.
Von daher bleibt uns zumindest fürs erste der in anderen Ländern „aus pastoralen Gründen“ und nun auch in Italien eingeschlagene Irrweg erspart, dem es angeblich darum geht, Gott von dem Verdacht zu reinigen, daß er als Versucher selbst die Rolle der Schlange spiele, die den Menschen dazu bringt, die Frau oder den Besitz des Nächsten und ganz allgemein die Äpfel an verbotenen Bäumen mehr zu begehren als das, was ihm selbst zugeteilt wurde. Natürlich ist es nicht Gottes Wille und Einflüsterung, daß wir sündigen – aber es ist Gottes Wille, daß wir uns in der Versuchung bewähren. Dafür hat er uns den freien Willen gegeben und der Versucher spielt durchaus seine ihm zugedachte Rolle im Großen Plan.
Beim Gloria sind die Dinge etwas schwieriger. Das Latein ist mit „hominibus bonae Voluntatis“ nur auf den ersten Blick eindeuti, denn das „Menschen (des) guten Willens“ läßt sich mit ein wenig Anstrengung durchaus auch so verstehen, daß damit der stets gute Wille Gottes gemeint sei. Beim Blick auf die griechischen Fassungen (zur Wahl stehen der Gloria-Hymnus der Septuaginta und die gleichlautende Zeile des Weihnachtsberichts des Lukasevangeliums 2,14) ist diese Zweideutigkeit ebenfalls erkennbar. Der Text läßt sich „geradeaus“ gelesen am besten so wiedergeben: Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede, bei den Menschen Wohlgesinntheit/Wohlwollen (eudoxia). Auch hier hat man wieder die Wahl, ob man eher das Wohlwollen, das von Gott ausgeht, oder die Wohlgesinntheit, die die Menschen selbst einander und Gott gegenüber aufbringen sollen, in den Vordergrund rücken will – wobei zu berücksichtigen ist, das sich beide Lesungen nicht ausschließen, sondern eher ergänzen.
Hier könnte man nun der Reihe nach die Predigten der Kirchenväter durchgehen, um zu sehen, welche Lesart sie jeweils bevorzugten und wie sie das begründet haben. Einfacher ist es, sich das Verständnis zu eigen zu machen, das in der Kirche seit der Zeit der Kirchenväter allgemein akzeptiert war – und da neigt sich die Waage klar zum Verständnis der „Menschen guten Willens“ in dem Sinne, daß auch seitens der Menschen ein Beitrag an „Wohlgesinntheit“ gefordert ist. Erst Luther ist davon abgerückt und hat das bedingungslose (oder auch im Sinne einer engen Prädestinationslehre willkürliche) Wohlwollen Gottes in den Vordergrund gerückt.
So stimmen beide Änderungen darin überein, den Beitrag des Menschen zu einem Leben nach Gottes Willen klein zu sehen und Gott allein in den Vordergrund zu stellen – ganz im Gegensatz zu anderen aktuellen Trends, die Gott weit zurücktreten lassen und den Menschen selbst für das Schicksal des Planeten und das Glück der Menschen verantwortlich machen wollen. Nun ist es sicher nie falsch, Gott in den Vordergrund zu stellen – aber in den beiden hier vorliegenden Fällen doch geeignet, den Aspekt der eigenen Verantwortlichkeit klein zu machen. Diese Verantwortlichkeit schließt die Möglichkeit des Versagens ein. Wir werden nicht verurteilt, weil Gott uns sein Wohlwollen entzogen oder in der Versuchung seine Unterstützung versagt hätte, sondern weil wir den uns gestellten Anforderungen nicht gerecht geworden sind – trotz der von Gott in seinem grenzenlosen Wohlwollen gewährten Gnade.
So sind die beiden Änderungen des italienischen Missales zum einen Ausdruck der allgemeinen Tendenz zu Allerlösungslehren, die den Anteil des menschlichen „guten Willens“ am Gelingen des Erlösungswerkes geringschätzen. Zum anderen dann der nach wie vor grassierenden liturgischen Änderungssucht, die nichts überkommenes als vorgegeben hinnehmen kann, sondern allem ihren eigenen Stempel aufdrücken will.