Liturgisches Niemandsland oder Rituskirche
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- 05. Juli 2022
Die am Sonntag im Petersdom gefeierte Messe im „Ritus von Zaire“ hat die Frage (z.B. hier) aufgeworfen, in welchem Verhältnis dieser „Ritus“ zu der Liturgie des Novus Ordo steht und ob darin ein Widerspruch zu der Behauptung von Papst Franziskus liegt, die im Missale Pauls VI. vorgegebene Liturgie sei die einzige Lex Orandi der katholischen Kirche des lateinischen Ritus.
Papst Franziskus selbst hat diese Frage damit praktisch beantwortet, daß er selbst einmal die Messe in diesem Ritus in seiner Bischofskirche zelebriert hat (am 1. Dezember 2019) und ihr am vergangenen Sonntag am gleichen Ort quasi „in choro“ beiwohnte. Vermutlich sah er sich durch seine Gesundheitsbeschwerden daran gehindert, selbst zu zelebrieren. Beide Feiern fanden am Altar der Kathedra hinter dem Hauptaltar statt – wahrscheinlich, um der nicht allzu großen afrikanischen Gemeinde in Rom einen angemesseneren Rahmen zu bieten als den der riesigen Kathedrale.
Neben diesen praktischen Aktionen gibt es auch „liturgietheoretische“ Aussagen des Papstes zum Thema. Im vergangenen Juni wurde in Rom in Anwesenheit von Franziskus eine französische Ausgabe des bereits 2020 auf Italienisch erschienen Buches „Papst Franzikus und das römische Messbuch für die Diözesen Zaires“ vorgestellt. Dabei sagte Franziskus unter anderem:
Das Römische Messbuch für die Diözesen von Zaire ist bis jetzt das einzige inkulturierte Römische Messbuch, das aus der liturgischen Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils hervorgegangen ist“.
In seinem Vorwort zu diesem Buch, das uns leider nicht vorliegt, stellt Franziskus fest, dieses inkulturierte Missale stelle eine besondere Aufforderung des Heiligen Geistes an die Gläubigen dar, dessen verschiedenartiger Gaben an die ganze Menschheit aufzugreifen. Konkret drückt er dort die Erwartung aus, der „Ritus von Zaire“ könne das Vorbild eines „Ritus für den Amazonas“ bilden.
Danach kann es also keinen Zweifel geben, daß in den Augen von Franziskus der „Ritus von Zaire“ der angeblich vom Konzil gewollten Liturgie entspricht und eine legitime Form des „einzigen Ausdrucks des Römischen Ritus“ darstellt. Dafür kann Franziskus auch wörtliche Übereinstimmung mit Art. 1 von TC beanspruchen: „Libri liturgici a sanctis Pontificibus Paulo VI et Ioanne Paulo II promulgati, iuxta decreta Concilii Vaticani II, unica expressio “legis orandi” Ritus Romani sunt.“ Alles, was nach DEM KONZIL promulgiert wurde und promulgiert werden wird, ist gültiger Ausdruck des römischen Ritus – alles, was vorher war, nicht (mehr).
Wie stets, wenn Franziskus versucht, eine feste Aussage zu treffen, fangen damit die Fragen für alle, die ihren Traditionsbegrif nicht auf die Amtszeit des gerade amtierenden Pontifex zurückgeschnitten haben, erst an.
Zur Frage: „Kann das, was bis gestern das Höchste und heilig war, heute unzuträglich oder gar verboten sein?“ ist schon viel gesagt worden – nicht zuletzt von Franziskus’ Vorgänger Benedikt, der darauf mit einem klaren „Nein“ geantwortet hat.
Eine bisher weniger beachtete Frage ist: „Was ist eigentlich – nach DEM KONZIL – der Römische Ritus?" Anscheinend geht die Ansicht von Franziskus und der hinter ihm stehenden Liturgenschule von San Anselmo dahin, daß alles zum römischen Ritus gehört, was unter der unmittelbaren Jurisdiktion des römischen Stuhles steht. Eigenständige Riten hätten dann nur noch die über relative Autonomie verfügenden „Rituskirchen“ sui iuris – alles andere wäre „römischer Ritus“. Auch der nachkonziliar „reformierte“ ambrosianische Ritusrest von Mailand zum Beispiel.
So kann man das sehen – wenn man einen rechtspositivistischen Standpunkt vertritt und im Übrigen den hyperpapalistischen Allmachtsphantasien von Franziskus folgen will. Liturgiehistorisch impliziert diese Aufblähung des Begriffes eher die Auflösung des römischen Ritus in eine Reihe von Einzelriten, die nur noch eine lockere Übereinstimmung in einigen Grundelementen aufweisen und vor allem durch die Tatsache der Approbation durch die Zentrale verbunden sind.
Selbst die für den römischen Ritus über ein Jahrtausend lang konstitutive Übereinstimmung im Hochgebet wäre verschwunden – von der gemeinsamen Liturgiesprache und dem Vorzug der Gregorianik, die beide von DEM KONZIL ausdrücklich bekräftigt worden waren, ganz zu schweigen.
So würde sich also die freudige Behauptung von Josephe Gelineau SJ 1978 bewahrheiten: „Der römische Ritus wie wir ihn kennen, exisitiert nicht mehr“. Und der Weg wäre frei zur mittelfristigen Erreichung des von Gelineau anvisierten Idealzustandes, in dem jede Gemeinde und jede Gemeinschaft nach ihren konkreten Vorstellungen ihre eigene Liturgie entwickeln könnte – juristisch zusammengehalten nur durch eine römische Approbation, die zweifellos überall dort erteilt würde, wo Franziskus oder ein sein Unverständnis für das Wesen der Liturge teilender Nachfolger den Ungeist der modernistischen Konzilsinterpretation verwirklicht sähe.
Bei unserer Kritik kann es nicht darum gehen, jede Art von „Inkulturation“ strikt abzulehnen. Inkulturation im Sinne einer gewissen Offenheit gegenüber Formen aus einer lokalen oder zeitgebundenen Lebensweise hat es immer gegeben – als vorsichtig tastenden Prozess über die Jahrhunderte, der vor allem auf äußere Erscheinungsformen und Verhaltensweisen in der Liturgie beschränkt war. Das Paradoxe an der gegenwärtigen Propagierung einer umfassenden Inkulturation liegt darin, daß die stürmische Globalisierung der letzten 3 Jahrzehnte die authentischen Lokalkulturen in vielen Weltgegenden bereits unwiderruflich zerstört und durch einen nahezu global verbreiteten Einheitsbrei von Twitter- und Netflix-Unkultur ersetzt hat. Kein Wunder, daß Veranstaltungen wie die „Messe Zairoise“ im Petersdom den Eindruck von Aktionen der Fremdenverkehrsindustrie zur Förderung des Tourismus hervorrufen: Mit dem wirklichen Leben der Menschen hat das nicht mehr viel zu tun. Und je mehr die Globalisierung das Leben der Menschen bestimmt und Gläubige aus Rom, Paris, Kinshasa und Tokyo an einem Ort zusammenführt, desto verfehlter erweist sich der Versuch, den Gottesdienst mit kaum noch authentisch vorfindbarem irdischen Lokalkoloriert aufzuhübschen – statt ihn betont auf das Überirdische hin auszurichten. Genau das war und bleibt die Stärke des authentischen Römischen Ritus, die ihn auch da verständlich machte, wo seine Formen fremd waren.
Der Einsatz von Papst Franziskus für den „Rite Zairoise“ und andere exotische Phänomene erscheint unter den skizzierten Umständen als ein Bestandteil seines Krieges gegen den echten römischen Ritus und gegen die Tradition in Liturgie und Lehre der Kirche insgesamt. Man stelle sich einmal vor, bei einer Veranstaltung würde ihm die Replik einer Tiara überreicht in der Erwartung, daß er diese ebenso vergnügt aufsetzen würde wie diverse Federhüte diverser heidnischer Gottheiten.
So, wie die Machtverhältnisse in der Kirche liegen, haben diejenigen, die an den Traditionen der Kirche in Lehre und Liturgie festhalten wollen, einerseits nur wenig Möglichkeiten, dem Anschlag der Modernisten und Apostaten institutionellen Widerstand entgegenzusetzen. Franziskus und Spießgesellen können begrenzte Duldungen wie die den altrituellen Gemeinschaften bislang eingeräumten jederzeit mit einem Federstrich zurücknehmen. Sie können den Zugang zu Kirchen und Kapellen sperren und Gemeinschaften auflösen – soweit die örtlichen Autoritäten ihnen dabei folgen.
Andererseits: Soweit die Maßnahmen von römischer Zentrale und Ortsbischöfen erkennbar auf die Zerstörung der apostolischen Tradition gerichtet sind, haben die Zerstörer keinen Anspruch auf Gehorsam – das hat Bischof Huonder gerade wieder in einer Predigt ganz klar ausgeführt. Traditionelle Gruppierungen werden es sich in Zukunft dreimal überlegen, ob sie eine kirchliche Anerkennung anstreben sollen. Stärker als bisher werden sie sich auf eigene Räumlichkeiten für den Gottesdienst stützen – selbst da, wo sie bisher von „guten“ Bischöfen geduldet werden, denn ein in Rom wegen zu großer Traditionsnähe mißliebig gewordener Bischof kann schon morgen abgelöst werden.
Andrea Gagliarducci hat in seinem Monday Vatican vom 4. 7. die Beobachtung mitgeteilt, daß Papst Franziskus sich umso eher zu einem halbwegs zivilisierten Umgang mit kirchlichen Gruppierungen bereit findet, je weiter diese Gruppen aus seinem unmittelbaren Machtbereich entfernt sind. Daraus kann man etwas lernen – auch ohne dem Inhaber des römischen Bischofsstuhles die Anerkennung zu entziehen oder sein Amt und seinen Auftrag prinzipiell in Frage zu stellen. Falls Franziskus versucht, den authentischen römischen Ritus tatsächlich völlig aus der Kirche von Rom zu verdrängen und falls ein oder mehrere Nachfolger ihm darin folgen sollten, wird sich für diejenigen, die wissen, daß dieser Ritus nicht aufgegeben werden kann und darf, eher früher als später die Frage stellen, wie sie die Entstehung einer eigenständigen Rituskirche bewerkstelligen sollen. Auch wenn das große Schwierigkeiten, Gewissensnöte und die Verleumdung als „Schismatiker“ mit sich bringen sollte. Die Anerkennung einer solchen Kirche des Ritus des hl. Papstes Gregor durch den Papst von Rom wird dann schon eines Tages folgen. Vielleicht ist der künftige Gregor XVII. schon Seminarist einer glaubenstreuen Gemeinschaft.