Das Brot der Gegenwart
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- 29. März 2018
Zwei Passagen aus dem alten Testament, die auf das heiligste Sakrament des Altares vorausdeuten, sind allgemein bekannt: Das Opfer von Brot und Wein, das der Hohepriester Melchisedech beim Treuegelöbnis Abrahams darbrachte (Gen. 14), wird seit den frühesten Zeiten der Kirche im römischen Kanon als Vorgestalt des Meßopfers genannt. Und das Manna, das der Herr seinem wandernden Volk in der Wüste spendete, war nicht nur Nahrung zum Überleben. Es wird von Paulus im 1. Brief an die Korinther (Kap. 10) ausdrücklich als „geistliche Speise“ bezeichnet und zusammen mit dem wasserspendenden Felsen mit Christus gleichgesetzt. Auch dieser Abschnitt kommt in der Liturgie vor, und zwar als Lesung des Sonntags Septuagesima.
Weniger im allgemeinen Bewußtsein ist eine andere Erwähnung von Brot und Wein als Bestandteil des Tempelkultes – vielleicht, weil sie nicht in die Liturgie der Kirche aufgenommen worden ist und ihr Verständnis durch die gängigen Übersetzungen eher behindert als befördert wird. Die Rede ist von den zwölf „Schaubroten“, die auf einem goldenen Tisch im Heiligtum des Tempels bereitgestellt waren, zusammen mit dem Räucheraltar und dem Siebenarmigen Leuchter, durch einen Vorhang abgetrennt vom Allerheiligsten mit der Lade des Bundes. Die gesamte Einrichtung ist in Exodus 25 bis ins Detail beschrieben. Eine nach Auskunft von Kennern der alltestamentarischen Sprache bessere Übersetzung für die „Schaubrote“ wäre „Brote der Gegenwart“ oder „Brote des Angesichts“, denn zu den drei hohen Festtagen des Jahres, an denen die Juden aufgefordert waren, den Tempel zu besuchen „um das Angesicht Gottes zu schauen“ wurde der Tisch samt den Broten herausgetragen und der frommen Menge gezeigt. Allerdings nur in verhülltem Zustand, denn „kein Mensch kann das Angesicht Gottes schauen und am Leben bleiben.“ (Exodus 33)
Die „Brote der Gegenwart“ waren lebendige Zeichen der Gegenwart Gottes in seinem Tempel und in seinem Volk. Sie wurden an jedem Sabbat – an dem sonst jede Arbeit streng verboten war - nach ins Einzelne gehender Vorschrift neu gebacken. Die Brote der Vorwoche wurden von den Leviten „an einem würdigen Ort“ vermutlich in zeremoniellem Rahmen verzehrt. (Levitikus 24) Niemand, der nicht dem priesterlichen Stamm angehörte, konnte daran teilhaben. Zusammen mit den Broten standen auch Gefäße mit Wein auf dem Tisch im Heiligtum. Im Gesetz des Moses ist von „Kannen und Krügen für die Trankopfer“ die Rede, so daß wir nicht wissen, ob der darin enthaltene Wein lediglich als Opfer ausgegossen, oder beim Verzehr der Brote von den Leviten getrunken wurde. Dagegen spricht, daß dazu in Levitikus 24 im Unterschied zu den Broten keine dahingehende Anordnung überliefert ist. Dafür spricht unter anderem, daß die gesamte Einrichtung des ersten Tempels auf die Visionen des Moses auf dem Sinai zurückgeht, als Moses mit den Ältesten des Volkes – in Abweichung von der oben genannten Regel – „Gott schauen durfte, und sie aßen und tranken“ (Exodus 24)
Zunächst geben die „Schaubrote“ einen Hinweis darauf, daß unblutige Opfer, in der Zeit Abrahams und Melchisedechs erstmals eingeführt, auch im Tempelkult eine hervorragende Rolle spielten. Im Gegensatz zu den öffentlichen und weithin sichtbaren Brandopfern wurden sie im inneren Bereich des Heiligtums dargebracht.
Während die Thora im Buch Exodus lediglich die materielle Ausstattung des Bundeszeltes bzw. des späteren Tempels beschreibt, gibt Levitikus 24 auch Hinweise zum Verständnis der spirituellen Bedeutung der Schaubrote. Die ältere Einheitsübersetzung spricht hier von einer „dauernden Bundesleistung seitens der Israeliten“, die neuere bezeichnet sie als „ewigen Bund vonseiten der Israeliten“. Der Anklang an die in der Wandlung wiederholten Einsetzungsworte vom „Kelch meines Blutes, des neuen und Ewigen Bundes“ ist nicht zu überhören. Ganz bestimmt nicht überhört haben ihn die Apostel beim letzten Abendmahl, die vielleicht keine Schriftgelehrten im strengen Sinne waren, aber doch von ihren alljährlichen Wallfahrten zum Tempel über die „Schaubrote“ und deren Bedeutung wohl unterrichtet gewesen sein dürften.
Eine zweite Parallele zwischen dem Wesen der Schaubrote im alten Bund und dem Brot und Wein der Eucharistie des neuen Bundes ist zu konstatieren. Die „Brote der Gegenwart“ sind einerseits Opfergabe Israels an seinen Gott – andererseits sind sie Zeichen der Gegenwart des Herrn in seinem Volk und von daher eine Vorgestalt des sacrum commercium, des wunderbaren Tausches, der im Opfer der Eucharistie seine Vollendung findet.
Die „Schaubrote“ mögen in der Vorzeit, als der Herr Israel allmählich aus dem Glauben der es umgebenden Heidenvölker herausführte, nicht mehr gewesen sein als Opfergaben vor einem Götterbild. Doch je mehr der Herr sich offenbarte, desto tiefer wurde die Erkenntnis, daß ein Bild, womöglich mit einem Stier- oder Falkenkopf, Gottes Wesen unmöglich wiedergeben konnte. Vom Götterbild blieb nur der leere „Gnadenthron“ auf der Bundeslade, und die Gegenwart der Gottheit zeigte sich im immerwährenden Austausch des Brotes des Bundes. Bis die Menschwerdung des Erlösers die Realität und die Bilder auf eine neue Ebene hob. Damit veränderte auch das Bundesopfer Inhalt und Gestalt.
So ist der neue Bund, seine Lehre und seine Liturgie, organisch aus dem Glauben und der Praxis des alten Bundes hervorgegangen. Beides sollte sich nach der Zerstörung des Tempels drastisch verändern. Der Bruch, der sich in der Folge immer mehr vertiefte, entsteht in seinem Wesen daraus, daß die einen den Jesus von Nazareth als den Messias, den Vollender der Offenbarung und Erlöser aller Menschen anerkennen – und insoweit auf ihren Vorrang als einziges Volk der Auserwählung verzichten – während die Anderen sich dieser Zumutung verweigern.
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Materialgrundlage für diesen Beitrag bildete das Kapitel „The Bread of the Presence“ in Brand Pitre, Jesus and the Jewish Roots of the Eucharist, S. 116-146, Doubleday 2011.