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Das Lamm, das geschlachtet war

Bild: Francisco de Zurbarán, Agnus Dei, gemeinfreiDie Karwoche steht ganz im Spannungsfeld zwischen dem triumphalen Einzug Jesu in Jerusalem am Palmsonntag „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn“ und dem „Kreuzige ihn“ des Karfreitags. Es wäre zu leicht, diese fast unerträgliche Spannung allein auf die „Unaufgeklärtheit“ oder den Wankelmut des Volkes von Jerusalem zur Zeit Christi zurückzuführen. Das messianische Bewußtsein der Juden war ja tatsächlich überwiegend bis ausschließlich durch die Stellen der Schrift geprägt, die den Messias als den Erneuerer des Priesterkönigtums der Vorzeit darstellen und von diesem „Gottessohn“ zunächst die Erlösung aus Irdischer Not und Befreiung aus nationaler Knechtschaft erwarteten. Das „im Namen des Herrn“ bezieht sich ganz offensichtlich auf das goldene Stirnband (oder die Krone!) mit dem unaussprechlichen Namen, das der Hohepriester bei seinem einmal im Jahr erfolgenden Besuch des Allerheiligtums am Sühnetag Jom Kippur trug, und die Palmzweige gehören zu der feierlichen Prozession, in der die Männer des Volkes an eben diesem Tag um den Brandopferaltar vor dem Heiligtum zogen. Beides zusammen gehört zum Bild des Priesterkönigs der Zeit Davids, das die Erwartung des Messias über die Jahrhunderte geprägt hatte.

Viel weniger einflußreich und im Bewußtsein des theologisch eher wenig gebildeten Volkes vermutlich überhaupt nicht präsent war das Bild des Messias als leidender Erlöser. Während der Messias des Volkes am Entsühnungstag im königlichen Ornat des Hohenpriesters als der „heute habe ich Dich gezeugt“ Sohn Gottes aus dem Heiligtum tritt, entsprach der Messias als leidender Erlöser doch viel mehr dem „Sündenbock“, dem der Hohepriester am gleichen Tag die Sünden des Volkes aufs Haupt legte, und der dann in die Wüste getrieben und von einem steilen Felsen zu Tode gestürzt wurde. Beide Bilder sind gegensätzlicher kaum zu denken – und kreisen doch um den gemeinsamen Bezugspunkt von Liturgie und Theologie des Entsühnungstages: Tag der Erlösung von den Sünden.

Die eindringlichste Darstellung des Messias als Opfer für die Sünden des Volkes in den Schriften des Alten Testaments findet sich beim Propheten Jesaja im vierten Lied vom Leidenden Gottesknecht. Insgesamt enthält Jesaja 4 Lieder vom Gottesknecht . Die drei ersten (42, 1-9; 49, 1 – 16; 50, 4 – 9;) berichten unter zahlreichen Parallelen zu messianischen Passagen der Psalmen vom Wirken und der Würde des Gottesknechtes, der hier mehr als wundertätiger Prophet denn als König dargestellt wird. Das vierte und längste Lied (52, 13 – 53, 12) berichtet dann einigermaßen unerwartet vom grausamen Leiden des Gottesknechtes, der sein Volk dadurch erlöst, daß er für seine Sünden in den Tod geht.

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Der Text ist inhaltlich und sprachlich schwierig. Wir bringen das Lied vom leidenden Gottesknecht hier in der Übersetzung der Neuen Evangelistischen Übersetzung von Karlhein Vanheiden auf dem BibleServer – nicht, weil diese besonders genau einem Urtext (welchem? Dem griechischen, oder dem masoretischen?) entspräche, sondern weil sie gleichzeitig verständlich und dennoch relativ genau ist, ohne durch übertriebene oder auch nur vermeintliche Präzision Verständnishürden zu errichten.

[52] 13 Seht, mein Diener wird erfolgreich sein!
Er wird sich erheben, /wird emporgetragen
und zu höchsten Ehren gelangen.
14 Viele haben sich über sein Aussehen entsetzt,
denn er war völlig entstellt
und kaum noch als Mensch zu erkennen.
15 Doch nun sind viele Völker überrascht,
selbst Könige halten die Hand vor den Mund.
Denn auf einmal sehen sie, was ihnen nie erzählt worden war,
wovon sie nie etwas hörten, verstehen sie jetzt.
[53] 1 Wer hat denn unserer Botschaft geglaubt?
Und an wem hat sich Jahwes Macht auf diese Weise gezeigt?
2 Wie ein kümmerlicher Spross wuchs er vor ihm auf,
wie ein Trieb aus dürrem Boden. / Er war weder stattlich noch schön.
Er war unansehnlich, / und er gefiel uns nicht.
3 Er wurde verachtet, / und alle mieden ihn.
Er war voller Schmerzen, / mit Leiden vertraut,
wie einer, dessen Anblick man nicht mehr erträgt.
Er wurde verabscheut, / und auch wir verachteten ihn.
4 Doch unsere Krankheit, / er hat sie getragen,
und unsere Schmerzen, / er lud sie auf sich.
Wir dachten, er wäre von Gott gestraft,
von ihm geschlagen und niedergebeugt.
5 Doch man hat ihn durchbohrt wegen unserer Schuld,
ihn wegen unserer Sünden gequält.
Für unseren Frieden ertrug er den Schmerz,
und durch seine Striemen sind wir geheilt.
6 Wie Schafe hatten wir uns alle verirrt;
jeder ging seinen eigenen Weg.
Doch ihm lud Jahwe unsere ganze Schuld auf.
7 Er wurde misshandelt, / doch er, er beugte sich
und machte seinen Mund nicht auf.
Wie ein Lamm, das zum Schlachten geführt wird,
wie ein Schaf, das vor den Scherern verstummt,
so ertrug er alles ohne Widerspruch.
8 Durch Bedrückung und Gericht wurde er dahingerafft,
doch wer von seinen Zeitgenossen dachte darüber nach?
Man hat sein Leben auf der Erde ausgelöscht.
Die Strafe für die Schuld meines Volkes traf ihn.
9 Bei Gottlosen sollte er liegen im Tod,
doch ins Steingrab eines Reichen legte man ihn,
weil er kein Unrecht beging
und kein unwahres Wort aus seinem Mund kam.
10 Doch Jahwe wollte ihn zerschlagen.
Er war es, der ihn leiden ließ.
Und wenn er sein Leben als Schuldopfer eingesetzt hat,
wird er leben und Nachkommen haben.
Durch ihn gelingt der Plan Jahwes.
11 Nach seiner Seelenqual sieht er das Licht
und wird für sein Leiden belohnt.
Durch seine Erkenntnis wird mein Diener, der Gerechte,
den Vielen Gerechtigkeit bringen;
und ihre Vergehen lädt er auf sich.
12 Darum teile ich die Vielen ihm zu,
und die Starken werden seine Beute sein,
weil er sein Leben dem Tod ausgeliefert hat
und sich unter die Verbrecher rechnen ließ.
Dabei war er es doch, der die Sünden der Vielen trug
und fürbittend für Verbrecher eintrat.

Wie man beim Lesen sofort feststellt, hat die Kirche mehrere Verse aus diesem Lied in ihre Gebete übernommen; einige, wie Verse 2+3, 5, oder 7 sind geradezu sprichwörtlich geworden. Mit dem Gesamttext hat die Kirche sich schwer getan. Im traditionellen Lesungsbestand erscheint der Anfang aus Kapitel 52 überhaupt nicht; der Teil aus Kapitel 53 wird als 2. Lesung vom Mittwoch in der Karwoche quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit vorgetragen. Dabei folgt der Text der Vulgata, während die deutsche Übersetzung im alten Schott davon zugunsten der Verständlichkeit stellenweise abweicht.

Die neue Leseordnung bringt das ganze Vierte Lied in der Liturgie des Karfreitags sowie in einigen Messen „Zu besonderen Gelegenheiten“. Die dazu von Schott-Online gebotene Übersetzung ist stellenweise sehr schwer verständlich und entspricht so wohl kaum der Absicht des Konzils, dem Volk die Schatzkammer der Schrift weiter zu öffnen. Schwer tut sich mit diesem Text übrigens auch die offizielle Liturgie der Synagoge: Jesaja 53 ist zwar auch Bestandteil des hebräischen Kanons, wurde aber nicht in die Haftara, das offizielle Lesungsverzeichnis für den Sabbat, aufgenommen: Das masoretische Judentum wartete weiter auf den Messias mit der Krone des Priesterkönigs.

Doch der war und ist kein anderer, als der, der am Karfreitag unter dem Spott der Menge zum Kreuz geführt worden ist und dessen endgültigen Triumph der Seher im 5. Buch der Geheimen Offenbarung besingt:

Würdig ist das Lamm, / das geopfert worden ist,
würdig zu empfangen die Macht / und Reichtum und Weisheit,
Stärke und Ehre, / Ruhm und Anbetung! (...)
Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm:
Preis und Ehre, / Ruhm und Macht / für immer und ewig!"

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