Bereichsnavigation Themen:

Aus der Zeit gefallen?

Bild: Manuskript aus der Larentianischen Bibliothek FlorenzWie aus der Zeit gefallen mag der 1. Februar in diesem Jahr den Gläubigen erscheinen, die ihr Leben an der überlieferten Liturgie der Kirche ausrichten: Mit dem Sonntag Septuagesima begann gestern die Vorfastenzeit, der äußere Vorhof des Osterfestkreises, dessen inneren Vorhof die Fastenzeit und dessen Heiligtum die Woche des Triduums und der Ostertag bildet. Doch erst morgen endet traditionell mit dem Fest der Reinigung Mariens die Weihnachtszeit: 40 Tage nach der Geburt eines Sohnes war die jüdische Mutter nach dem Gesetz Moses zu einem Reinigunsopfer verpflichtet, und selbstverständlich hat auch Maria die Gottesgebärerin dieses Gesetz eingehalten. Dieser 40. Tag ist in der Kirche des Westens seit der Festlegung des Weihnachtstages auf den 25. Dezember des Sonnenkalenders unverrückbar der 2. Februar. Das Datum von Septuagesima dagegen, der 9. Sonntag vor Ostern, schwankt mit dem Ostertermin, der an den Vollmond gebunden ist. Und wenn Ostern früh ist – das ist alle drei bis fünf Jahre der Fall, zum letzten Mal 2018 – beginnt nach dieser Logik der österliche noch vor dem Ende des weihnachtlichen Festkreises.

Das ist nicht die einzige Unschärfe, die sich mit dem heutigen Montag nach Septuagesima verbindet. Septuagesima – das wäre eigentlich der 70. Tag vor Ostern, aber da Ostern eine Sache des Sonntags ist und man in der Antike den symbolischen Wert von Zahlen mindestens so hoch veranschlagte wie den numerischen, sind die Sonntage der Vorfastenzeit nur annäherungsweise durchgezählt: Schon nach 7 Tagen folgt auf den „Siebzigsten“ der Sonntag „60 Tage vor Ostern (Sexagesima)“, und diesem nach weiteren 7 Tagen der Sonntag „50 Tage vor Ostern (Quinquagesima)“. Und überhaupt sind es ja nur 63 Tage, die hier großzügig als „70“ angesprochen werden, wohl um der Jahre vor der Erlösung Israels aus dem babylonischen Exil zu gedenken.

Im sakralen Raum gehen Uhren und Kalender anders als in der profanen Welt. Das ist der modernen Welt schwer vermittelbar und war wohl eines der Motive dafür, daß die Liturgiereform die ganze Vorfastenzeit und damit auch die anstößige Zählung ihrer Sonntage einfach „abschaffte“ und durch eine staubtrockene Zählung „im Jahreskreis“ ersetzte. So ist der Sonntag Septuagesima wenn auch vielleicht nicht aus der Zeit, doch aus dem römischen Meßbuch in seiner verstümmelten Form gefallen. Wer will, mag darin einen wichtigen Etappensieg des säkularen Geistes über den sich jeder Rechenmaschine entziehenden Geist des Säkularismus sehen. Der nächste Schritt wäre dann die Aufgabe des immer wieder auf Unverständnis stoßenden schwankenden Osterdatums. Endlich ein Kalender nach den Bedürfnissen von Handel und Industrie!

Natürlich hängt der christliche Glaube nicht von jeder Einzelheit der aus der Geschichte überkommenen Weltbilder und ihrer symbolischen Deutung ab, wie sie uns am Vorfastensonntag Septuagesima und dessen Überschneidung mit der Weihnachtszeit entgegentreten. Aber er hängt sehr wohl daran, daß die Christen ihre Wahrnehmungsfähigkeit nicht in opportunistischer Anpassungsbereitschaft auf das beschränken, was einer säkularistisch amputierten Rationalität einsichtig ist.

Zusätzliche Informationen